ArchivDeutsches Ärzteblatt16/2022Mortalität hospitalisierter Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner mit COVID-19
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SARS-CoV-2 hat die Pflegeheime massiv getroffen (1). Die Mortalität auf der Basis von Krankenhausfällen ist für die Gesamtbevölkerung in Deutschland gut beschrieben (2), jedoch besteht dringender Bedarf an der Untersuchung der Mortalität von Bewohnerinnen und Bewohnern stationärer Altenpflegeeinrichtungen (PHB), die mit COVID-19 in ein Krankenhaus aufgenommen wurden – auch im Vergleich zu denjenigen PHB ohne COVID-19 im Krankenhaus –, und auch an der Analyse der Risikofaktoren, die mit einem erhöhten Sterberisiko assoziiert sind.

Methoden

Im Projekt „COVID-Heim“ wurden Routinedaten aller AOK-versicherten PHB über 60 Jahren (N = 531 533) analysiert; untersucht wurde die 90-Tage-Mortalität aller PHB mit einem stationären COVID-19-Krankenhausaufenthalt (gesicherte COVID-19-Diagnose [ICD U07.1] und COVID-19-relevanter Hauptdiagnose [2]) mit einer Aufnahme ab dem 1. 1. 2020 und einem Sterbedatum beziehungsweise Entlassung bis einschließlich 30. 6. 2021. Die 13 899 COVID-19-bedingten Krankenhausfälle der Stichprobe entsprechen 63,9 % der insgesamt dem Robert Koch-Institut übermittelten hospitalisierten COVID-19-Fälle aus Einrichtungen nach § 36 Infektionsschutzgesetz (Pflegeeinrichtungen etc.) (3). Daten zum Versterben lagen in Wochenschnitten vor. COVID-19-relevante Komorbiditäten nach Rößler et al. (4) wurden auf Grundlage von Daten ab dem Jahr 2018 bis zum Quartal vor der Krankenhausaufnahme operationalisiert.

In einem ersten Schritt wird die Kaplan-Maier-Kurve der PHB mit COVID-19-relevantem Krankenhausaufenthalt verglichen mit – je Pandemiewelle – 33 Gruppen gewichteter Zufallsstichproben aus PHB ohne COVID-19-bedingten Krankenhausaufenthalt. Die Operationalisierung der Wellen erfolgte nach Tolksdorf et al. (5). Die Gewichtung der Zufallsstichproben, für die ein zufälliges Einschlussdatum generiert wurde, erfolgte anhand von Geschlecht, Alterskategorie, Pflegegrad und Komorbiditäten, wodurch adäquate Vergleichsgruppen resultieren. Einzelne unplausibel generierte Einschlussdaten wurden ausgeschlossen, was zu leichten Fallzahlreduktionen führte. Die Zufallsstichproben der jeweiligen Wellen wurden gepoolt, sodass eine adäquate Verteilung des generierten Einschlussdatums erreicht wurde.

Im zweiten Schritt wurde für die Gruppe der mit einer COVID-19-Diagnose hospitalisierten PHB eine multivariate Ereigniszeitanalyse („Cox proportional hazard model“) nach verstorben/nicht verstorben durchgeführt und nach Risikofaktoren gemeinsam über alle drei COVID-19-Wellen untersucht.

Ergebnisse

Die univariate Ereigniszeitanalyse zeigt deutliche Unterschiede zwischen den zwei Vergleichsgruppen. Die Gruppe der PHB mit stationärem COVID-19-Krankenhausaufenthalt hatte in den 90 Tagen nach Aufenthalt ein Sterberisiko von 58,1 %. Die Wellen unterscheiden sich deutlich untereinander, wobei in der 2. Welle das höchste Sterberisiko mit 59,3 % vorlag, dagegen in der 1. und 3. Welle mit 53,3 % und 51,6 % geringer war. Die Mortalitätsraten sind ferner deutlich höher als in den nach Wellen gepoolten Vergleichsstichproben von PHB mit simulierten Krankenhausfällen (1. Welle: 8,2 %; 2. Welle: 9,7 %; 3. Welle: 8,1 %) (Grafik).

Kaplan-Maier-Kurven
Grafik
Kaplan-Maier-Kurven

Auch in der multivariaten Ereigniszeitanalyse (Tabelle) der PHB mit COVID-19-assoziiertem Krankenhausfall zeigt sich, dass diejenigen, die während der 2. Welle der COVID-19-Pandemie ins Krankenhaus kamen, das höchste Mortalitätsrisiko aufwiesen. Männer hatten gegenüber Frauen ein höheres Risiko zu versterben. Jüngere PHB hatten im Gegensatz zu den 80- bis 84-Jährigen ein niedrigeres Risiko, während Ältere ein höheres Risiko aufwiesen. Im Vergleich zum Pflegegrad 3 hatten PHB mit niedrigerem Pflegegrad ein verringertes Risiko und mit höherem Pflegegrad ein höheres Risiko. Aus den 35 COVID-19-relevanten Komorbiditäten wiesen chronische Niereninsuffizienz, Demenz, hämatoonkologische Erkrankungen mit Therapie (Hazard Ratio [HR]: 1,62), immunsuppressive Therapie (HR: 1,20) und Zustand nach Organtransplantation (HR: 1,57) ein statistisch signifikant erhöhtes Sterberisiko auf. COPD und sonstige schwere Lungenerkrankungen (HR: 0,93), Depression (HR: 0,92), Dialyse (HR: 0,79) und immunkomprimierende Erkrankungen (HR: 0,90) waren mit einem statistisch signifikant niedrigeren Sterberisiko assoziiert. Mit Ausnahme von chronischer Niereninsuffizienz (HR: 0,99) sowie COPD und sonstigen schweren Lungenerkrankungen (HR: 1,17) in der 3. Welle bleiben die Richtungen der Assoziationen in den wellenspezifischen Subgruppenanalysen bestehen.

Mortalitätsrisiko von Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohnern mit COVID-19-Krankenhausaufenthalt
Tabelle
Mortalitätsrisiko von Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohnern mit COVID-19-Krankenhausaufenthalt

Diskussion

Die vorliegenden Befunde bestätigen die hohe Mortalitätsrate von im Krankenhaus behandelten Pflegeheimwohnerinnen und -bewohnern mit COVID-19. Die Analyse weist mit 58,1 % einen deutlich höheren Anteil auf als in einer vorherigen Analysen zur 1. Welle (1). Dies resultiert auch aus dem veränderten COVID-Aufgriff nach Günster et. al. (Hinzunahme COVID-19-relevanter Hauptdiagnose als Kriterium) (2). In der vorausgegangenen Studie verstarben von den vollstationär Pflegebedürftigen mit COVID-Diagnose 42,7 % noch im Krankenhaus, bei den sonstigen PHB 25,7 % (1). Unterschiedliche Mortalitätsraten zwischen den Wellen sind vor dem Hintergrund unterschiedlicher Krankenhaus-Aufnahmewahrscheinlichkeiten in den Wellen zu diskutieren; denn in die Analysen gingen allein diejenigen ein, die ins Krankenhaus aufgenommen wurden. Für männliches Geschlecht, Alter ≥ 90, Pflegegrad > 3 sowie für chronische Niereninsuffizienz, Demenz, hämatoonkologische Erkrankung mit Therapie, immunsuppressive Therapie und Zustand nach Organtransplantation konnte über alle Wellen hinweg ein erhöhtes Risiko ermittelt werden. Dies unterstreicht die Bedeutung des Infektionsschutzes für PHB mit diesen Risiken. Zukünftige Forschung sollte neben individuellen Faktoren weitere versorgungsbezogene Risikofaktoren und Strukturmerkmale der Pflegeheime untersuchen.

Raphael Kohl, Antje Schwinger, Kathrin Jürchott, Christian Hering, Annabell Gangnus, Elisabeth Steinhagen-Thiessen, Adelheid Kuhlmey, Paul Gellert

Interessenkonflikt
Die Autorinnen und Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 28. 10. 2021, revidierte Fassung angenommen: 8. 2. 2022

Zitierweise
Kohl R, Schwinger A, Jürchott K, Hering C, Gangnus A, Steinhagen-Thiessen E, Kuhlmey A, Gellert P: Mortality among hospitalized nursing home residents with COVID-19. Dtsch Arztebl Int 2022; 119 DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0140

Dieser Beitrag erschien online am 15. 3. 2022 (online first) auf www.aerzteblatt de.

►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de

1.
Kohl R, Jürchott K, Hering C, Gangnus A, Kuhlmey A, Schwinger A: COVID-19-Betroffenheit in der vollstationären Langzeitpflege. In: Jacobs K, Kuhlmey A, Greß S, Klauber J, Schwinger A (eds.): Pflege-Report 2021: Sicherstellung der Pflege: Bedarfslagen und Angebotsstrukturen. Berlin, Heidelberg: Springer 2021; 3–20 CrossRef
2.
Günster C, Busse R, Spoden M, et al.: 6-month mortality and readmissions of hospitalized COVID-19 patients: a nationwide cohort study of 8,679 patients in Germany. PLoS One 2021; 16: e0255427 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.
RKI: Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19). 30.06.2021. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Jun_2021/2021-06-30-de.pdf?__blob=publicationFile (last accessed on 18 February 2022).
4.
Rößler M, Jacob J, Risch L, et al.: Hierarchisierung von Risikofaktoren für schwere COVID-19-Erkrankungsverläufe im Kontext der COVID-19-Schutzimpfungen. Epid Bull 2021, 19: 3–12 .
5.
Tolksdorf K, Buda S, Schilling J: Aktualisierung zur „Retrospektiven Phaseneinteilung der COVID-19-Pandemie in Deutschland“. Epid Bull 2021; 37 : 13–4.
Charité – Universitätsmedizin Berlin (Kohl, Hering, Gangnus, Steinhagen-Thiessen, Kuhlmey, Gellert), raphael.kohl@charite.de
Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) (Schwinger, Jürchott)
Kaplan-Maier-Kurven
Grafik
Kaplan-Maier-Kurven
Mortalitätsrisiko von Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohnern mit COVID-19-Krankenhausaufenthalt
Tabelle
Mortalitätsrisiko von Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohnern mit COVID-19-Krankenhausaufenthalt
1.Kohl R, Jürchott K, Hering C, Gangnus A, Kuhlmey A, Schwinger A: COVID-19-Betroffenheit in der vollstationären Langzeitpflege. In: Jacobs K, Kuhlmey A, Greß S, Klauber J, Schwinger A (eds.): Pflege-Report 2021: Sicherstellung der Pflege: Bedarfslagen und Angebotsstrukturen. Berlin, Heidelberg: Springer 2021; 3–20 CrossRef
2.Günster C, Busse R, Spoden M, et al.: 6-month mortality and readmissions of hospitalized COVID-19 patients: a nationwide cohort study of 8,679 patients in Germany. PLoS One 2021; 16: e0255427 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.RKI: Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19). 30.06.2021. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Jun_2021/2021-06-30-de.pdf?__blob=publicationFile (last accessed on 18 February 2022).
4.Rößler M, Jacob J, Risch L, et al.: Hierarchisierung von Risikofaktoren für schwere COVID-19-Erkrankungsverläufe im Kontext der COVID-19-Schutzimpfungen. Epid Bull 2021, 19: 3–12 .
5.Tolksdorf K, Buda S, Schilling J: Aktualisierung zur „Retrospektiven Phaseneinteilung der COVID-19-Pandemie in Deutschland“. Epid Bull 2021; 37 : 13–4.
Themen:

Der klinische Schnappschuss

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