ArchivDeutsches Ärzteblatt12/2022Impfquoten sind mit der COVID-19-Inzidenz in Österreich assoziiert
Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt bemühen sich die COVID-19-Impfraten zu erhöhen, um Infektionen einzudämmen. Zwar wurde gezeigt, dass zugelassene COVID-19-Impfstoffe symptomatische SARS-CoV-2-Infektionen und schwerwiegende Folgen verhindern können (1), doch ist über ihre Wirksamkeit bei der Verhinderung der Ausbreitung des COVID-19 verursachenden Virus weniger bekannt. Eine neuere US-amerikanische Studie legt nahe, dass die Ausbreitung von COVID-19 nicht mit dem Grad der Durchimpfung zusammenhängt (2), während eine deutsche Studie (Vorabdruck) festhält, dass die „derzeitige COVID-19-Krise hauptsächlich von den nicht Geimpften verursacht wird“ (3). Um diese Frage zu klären, haben wir eine ökologische Studie durchgeführt, in der die COVID-19-Inzidenzraten und ihr Anstieg durch die Impfquoten in 94 österreichischen Bezirken während zweier Phasen der Infektionsdynamik vorhergesagt wurden: eine Phase mit steigenden Infektionsraten und eine Phase, in der die Infektionsraten stabil blieben.

Methode

Für die erste Analyse mit steigenden Infektionsraten untersuchten wir den Zusammenhang zwischen den durchschnittlichen COVID-19-Sieben-Tage-Inzidenzraten pro 100 000 Einwohner (20. 10. 2021) und dem Prozentsatz der Bevölkerung, der drei Wochen zuvor (29. 9. 2021) ein gültiges COVID-19-Impfzertifikat (das heißt Impfungen gemäß der Europäischen Arzneimittelagentur) hatte; unter Verwendung von aggregierten Daten aus 94 österreichischen Bezirken mit insgesamt 8,9 Millionen Einwohnern (Quelle: www.data.gv.at/covid-19/, last accessed on 10 November 2021), für Wien, eine Stadt mit 23 Bezirken, waren nur zusammengefasste Daten verfügbar). Diese Zeitspanne wurde gewählt, da eine schützende Immunität durch COVID-19-Impfstoffe in der Regel etwa 2 Wochen nach der vollständigen Impfung erreicht wird. Zusätzlich analysierten wir die Veränderung der Inzidenzraten über einen Zeitraum von 14 Tagen (20. Oktober bis 3. November). Für die zweite Analyse mit konstanten Infektionsraten haben wir die Inzidenzrate am 22. September und deren Veränderung bis zum 6. Oktober mit der Impfrate ab dem 1. September mit genau demselben Design untersucht. Um die Zusammenhänge zwischen der COVID-19-Inzidenz und den Impfraten zu bewerten, berechneten wir Korrelationen unter Verwendung von Spearman‘s Rangkorrelationskoeffizienten.

Ergebnisse

Bei der ersten Analyse (steigende Infektionsraten) lag die mediane COVID-19-Inzidenzrate bei 194,5 (Inter-Quartil-Abstand [IQA] 140,5 Spanne 0–654,1) Fällen/100 000 Einwohner, bei einer medianen Impfquote von 59,5 % (Spanne 49,1–71,6 %). Die anschließende Veränderung der Inzidenzraten stieg um den Median von 262,3 (IQA 219,2; Spanne 64,3–1 203,5) an. Die Ergebnisse zeigen eine mittlere negative Korrelation zwischen den Impf- und COVID-19-Inzidenzraten (r = −0,60; p < 0,001) in den 94 österreichischen Bezirken mit ihren sehr unterschiedlichen Impf- und COVID-19-Inzidenzraten (Grafik 1). Die Impfraten waren auch mittelgradig negativ mit dem beobachteten Anstieg der COVID-19-Inzidenzraten während dieses Zeitraums korreliert (r = −0,51; p < 0,001; Grafik 2). Bei der zweiten Analyse (stabile Infektionsraten) lag die mediane Inzidenzrate bei 106,4 (IQA 72,4; Spanne 11,7–332,4) Fällen/100 000 Einwohner, mit einer medianen Impfrate von 57,3 % (Spanne 46,9–69,6 %). Hier betrug der mediane Anstieg der Inzidenzraten lediglich 9,4 (IQA 79,0; Spanne −149,2; bis 154,3). Auch diese Analyse zeigte einen kleinen bis mittleren negativen Zusammenhang zwischen den Impfraten und den COVID-19-Inzidenzraten (r = −0,45; p < 0,001), aber keine Korrelation zwischen den Impfraten und der Veränderung der Inzidenzraten (r = −0,14; p = 0,186).

Impfquoten und COVID-19-Inzidenz
Grafik 1
Impfquoten und COVID-19-Inzidenz
Impfquoten und Anstieg der COVID-19-Sieben-Tage-Durchschnittsinzidenz
Grafik 2
Impfquoten und Anstieg der COVID-19-Sieben-Tage-Durchschnittsinzidenz

Diskussion

Im Gegensatz zu einer früheren Studie (2) fanden wir eine negative Korrelation zwischen Impfung und COVID-19-Raten sowohl bei gleichbleibender als auch bei steigender COVID-19-Inzidenz. In Übereinstimmung mit dieser Studie (2) konnten wir jedoch keinen Zusammenhang zwischen den Impfraten und der Veränderung der Inzidenz während einer Phase stagnierender COVID-19-Inzidenzen feststellen. Die fehlende Korrelation zwischen der COVID-19-Impfquote und der Inzidenz, die in dieser früheren Studie berichtet wurde, könnte daher darauf zurückzuführen sein, dass Daten aus einer Zeit mit geringer Infektionsdynamik einbezogen wurden. Es sind jedoch weitere Studien erforderlich, um einen Einblick in den Zusammenhang zwischen den Impfraten und der Ausbreitung der COVID-19-Infektion zu erhalten.

Limitationen unserer Studie waren die Analyse von Daten auf Gruppenebene, was zu Ergebnissen führt, die nicht unbedingt auch für die Individuen dieser Gruppen gelten, und dass Variablen wie das Alter die gefundenen Zusammenhänge zumindest teilweise beeinflussen können. Darüber hinaus hätte ein komplexerer statistischer Ansatz möglicherweise einen besseren Einblick in die Daten erlaubt.

Neben nicht-pharmakologischen Maßnahmen wie körperlicher Distanzierung und das Tragen von Mund-Nasen-Schutzmasken (4) bleibt die Impfung ein Eckpfeiler bei der Eindämmung der Verbreitung von SARS-CoV-2. Die COVID-19-Infektionsraten könnten jedoch auch von Faktoren wie der Infektiosität der jeweiligen Variante (zum Beispiel Delta- oder Omikron-Virus) und dem Zeitpunkt abhängen, an dem die Immunität gegen COVID-19-Impfstoffe nachlässt, so dass Auffrischungsimpfungen erforderlich werden, wie in einem kürzlich erschienenen Preprint (5) beschrieben. Zukünftige Studien werden auch diese Faktoren berücksichtigen müssen.

Gerhard Blasche, Cem Ekmekcioglu, Eva Schernhammer

Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin, Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, Österreich (Blasche, Ekmekcioglu) gerhard.blasche@meduniwien.ac.at

Abteilung für Epidemiologie, Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich (Schernhammer)

Channing Division of Network Medicine, Harvard Medical School and Brigham and Women’s Hospital, Boston (Schernhammer)

Danksagung

Wir danken Prof. Michael Kundi für seine Unterstützung.

Interessenkonflikt
Die Autorin und die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt
besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 23. 12. 2021, revidierte Fassung angenommen: 1. 2. 2022

Zitierweise
Blasche G, Ekmekcioglu C, Schernhammer E: Vaccination rates are associated with COVID-19 incidence in Austria. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 214–5. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0132

Dieser Beitrag erschien online am 15. 3. 2022 (online first) auf
www.aerzteblatt.de

►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de

1.
Chung H, He S, Nasreen S, et al.: Effectiveness of BNT162b2 and mRNA-1273 COVID-19 vaccines against symptomatic SARS-CoV-2 infection and severe COVID-19 outcomes in Ontario, Canada: test negative design study. BMJ 2021; 374: n1943 CrossRef MEDLINE PubMed Central
2.
Subramanian SV, Kumar A: Increases in COVID-19 are unrelated to levels of vaccination across 68 countries and 2947 counties in the United States. Eur J Epidemiol 2021; 36: 1237–40 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.
Maier BF, Wiedermann M, Burdinski A, et al.: Germany’s current COVID-19 crisis is mainly driven by the unvaccinated. medRxiv 2021: 2021.11.24.21266831 CrossRef
4.
Chu DK, Akl EA, Duda S, et al.: Physical distancing, face masks, and eye protection to prevent person-to-person transmission of SARS-CoV-2 and COVID-19: a systematic review and meta-analysis. Lancet 2020; 395: 1973–87 CrossRef
5.
Canaday DH, Oyebanji OA, Keresztesy D, et al.: Significant reduction in humoral immunity among healthcare workers and nursing home residents 6 months after COVID-19 BNT162b2 mRNA vaccination. medRxiv 2021; 2021.08.15.21262067 CrossRef
Impfquoten und COVID-19-Inzidenz
Grafik 1
Impfquoten und COVID-19-Inzidenz
Impfquoten und Anstieg der COVID-19-Sieben-Tage-Durchschnittsinzidenz
Grafik 2
Impfquoten und Anstieg der COVID-19-Sieben-Tage-Durchschnittsinzidenz
1.Chung H, He S, Nasreen S, et al.: Effectiveness of BNT162b2 and mRNA-1273 COVID-19 vaccines against symptomatic SARS-CoV-2 infection and severe COVID-19 outcomes in Ontario, Canada: test negative design study. BMJ 2021; 374: n1943 CrossRef MEDLINE PubMed Central
2.Subramanian SV, Kumar A: Increases in COVID-19 are unrelated to levels of vaccination across 68 countries and 2947 counties in the United States. Eur J Epidemiol 2021; 36: 1237–40 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.Maier BF, Wiedermann M, Burdinski A, et al.: Germany’s current COVID-19 crisis is mainly driven by the unvaccinated. medRxiv 2021: 2021.11.24.21266831 CrossRef
4.Chu DK, Akl EA, Duda S, et al.: Physical distancing, face masks, and eye protection to prevent person-to-person transmission of SARS-CoV-2 and COVID-19: a systematic review and meta-analysis. Lancet 2020; 395: 1973–87 CrossRef
5.Canaday DH, Oyebanji OA, Keresztesy D, et al.: Significant reduction in humoral immunity among healthcare workers and nursing home residents 6 months after COVID-19 BNT162b2 mRNA vaccination. medRxiv 2021; 2021.08.15.21262067 CrossRef

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.
Themen:

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote