POLITIK
Öffentlicher Gesundheitsdienst: Public-Health-Ansatz stärken


Unter dem Eindruck der Coronapandemie beschlossen Bund und Länder, mehrere Milliarden Euro für die Weiterentwicklung des ÖGD zur Verfügung zu stellen. Erste Zwischenziele wurden erreicht, nun stehen mit Blick auf die weitgefächerten Kompetenzfelder des ÖGD weitere Schritte an.
Die Gesundheitsämter in ganz Deutschland sollen personell aufgestockt, modernisiert und vernetzt werden – das sind die erklärten Ziele des Paktes für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), auf den sich die Gesundheitsministerinnen und -minister von Bund und Länder geeinigt haben und der Ende September 2020 beschlossen wurde. Für mehr Personal, Digitalisierung und modernere Strukturen stellt der Bund insgesamt vier Milliarden Euro zur Verfügung. Um die finanziellen Mittel sinnvoll einsetzen zu können, sind im Pakt klare Ziele definiert: In den Ländern sollten bis Ende 2021 mindestens 1 500 neue Stellen geschaffen und mit Ärztinnen und Ärzten sowie Fach- und Verwaltungspersonal besetzt werden. Bis Ende 2022 sollen mindestens weitere 3 500 Vollzeitstellen geschaffen werden. Die Verbindung des ÖGD mit der Wissenschaft soll ausgebaut werden und der ÖGD mit seiner Aufgabenvielfalt im Bereich des bevölkerungsbezogenen Gesundheitsschutzes, der Gesundheitsförderung und Prävention sowie der Gesundheitsplanung insgesamt gestärkt werden. Eine zentrale Rolle spielt zudem die Digitalisierung: In diesen Bereich sollen 800 Millionen Euro fließen.
Stellenaufbau übertrifft gesetzte Ziele
Das erste Etappenziel – die Schaffung von 1 500 neuen Stellen im Öffentlichen Gesundheitsdienst bis Ende 2021 – wurde sogar übertroffen. Deutschlandweit konnten etwa 2 000 neue Stellen geschaffen werden, sagte Gesa Kupfer vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) jüngst im Rahmen einer Tagung. Gemäß den Personalaufwuchskonzepten für den Stellenaufwuchs würden die Länder circa 25 Prozent der Stellen für Ärztinnen und Ärzte vorsehen, so Kupfer. Für rund die Hälfte der Stellen sei weiteres Fachpersonal eingeplant, für 25 Prozent Verwaltungspersonal. Bislang lägen zur exakten Personalbesetzung in den Gesundheitsämtern „wenig Daten“ vor. Dies wolle man ändern. Laut Kupfer sollen im kommenden Quartal die Zahlen einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes mit Stichtag 31. Januar 2020 vorgelegt werden. Zahlen einer aktualisierten Erfassung zum Stichtag 31. Dezember 2021 sollen dann folgen. Perspektivisch sei vorgesehen, den Personalbestand routinemäßig zu erfassen und die Ergebnisse dann auch zu veröffentlichen. Die entsprechende gesetzliche Grundlage sei bereits geschaffen – die nötige Verordnung befinde sich aber noch in der Ausarbeitung.
Knapp 800 Millionen Euro für die Digitalisierung
Ebenfalls noch in der Ausarbeitung beziehungsweise Umsetzung befänden sich die Maßnahmen zur weiteren Digitalisierung. Wie Kupfer erläuterte, sollen insgesamt 600 Millionen Euro zur Stärkung der lokalen IT-Strukturen an die Gesundheitsämter fließen. Davon seien bereits 65 Millionen Euro an die Länder ausgeschüttet worden. Die übrigen Mittel würden im Rahmen eines mehrjährigen Förderprogramms beginnend in diesem Jahr zur Verfügung gestellt. Die entsprechende Förderrichtlinie befände sich in der Abstimmungsphase. Antragsberechtigt seien Einrichtungen des ÖGD – wie die Gesundheitsämter, die befassten Landesstellen und obersten Landesbehörden. Basis der dann möglichen finanziellen Förderung solle ein Reifegradmodell werden, welches sich in der Entwicklung befinde. Weitere 170 Millionen Euro stelle man im Rahmen des Paktes für zentrale IT-Dienste, wie etwa Kommunikationsplattformen, bereit, so Kupfer.
Neben einer Stärkung der personellen und digitalen Strukturen spiele für Bund und Länder auch die bessere Integration des ÖGD in die Wissenschaftslandschaft eine Rolle, betonte die Vertreterin des BMG. So prüfe man beispielsweise, wie man Stiftungsprofessuren fördern könne. Auch bei der vorgesehenen Forschungsförderung im Bereich der öffentlichen Gesundheit gebe es Fortschritte: „Noch dieses Jahr“ seien erste Bekanntmachungen zu erwarten. „Spannend“ sei laut Kupfer die Frage, wie das geplante neue Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit in die laufenden Optimierungsprozesse eingebunden werde – in der Idee stecke viel Potenzial. Zum Hintergrund: Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP sieht ein neues Bundesinstitut vor, in dem die „Aktivitäten im Public-Health-Bereich, die Vernetzung des ÖGD und die Gesundheitskommunikation des Bundes“ angesiedelt sein sollen.
Prof. Dr. med. Ansgar Gerhardus vom Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen regte in diesem Zusammenhang an, das künftige Bundesinstitut könne Leitlinien für bestimmte Arbeitsfelder des ÖGD entwickeln. Analog zum Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), welches den Nutzen und den Schaden von medizinischen Maßnahmen für Patientinnen und Patienten untersucht, könne so ein stärker evidenzbasiertes Handeln ermöglicht werden. Gerhardus ist Mitglied im Beirat zur Beratung für die Weiterentwicklung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (Kasten), welcher neben regelmäßigen Beiratssitzungen auch umfassende Detailarbeit in thematisch gegliederten Arbeitsgruppen leistet.
Bei struktureller Stärkung über Infektionsschutz hinaus denken
Thomas Altgeld, Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen, übte durchaus kritische Töne am ÖGD-Pakt. Vieles sei in Anbetracht des breit gefächerten Aufgabenportfolios der Gesundheitsämter in der „Hektik unter der Schockstarre der Pandemie“ zu kurz gedacht. So müssten beispielsweise bei der strukturellen Aufbauarbeit viele Fachberufe beachtet werden – die diesbezügliche Diskussion dürfe sich nicht auf die Vergütung der Ärztinnen und Ärzte verengen. Zudem gelte es, bei den Bestrebungen für eine bessere digitale Datenpflege und -nutzung die umfassende Verknüpfung mit anderen Akteuren zu ermöglichen. Andernfalls drohe ein „eigenes Biotop“, welches kaum externe Wirkung entfalten werde. Eine deutlich verbesserte Datenerhebung und Datenverfügbarkeit unter der zwingenden Prämisse der Interoperabilität sind auch für Dr. med. Nicolai Savaskan, Leiter des Gesundheitsamtes des Berliner Bezirks Neukölln, wichtige Punkte bei der Digitalisierung. Die Daten dürften eben nicht nur von „Amt zu Amt und vom Amt zur Landesbehörde“ fließen, sondern müssten schnittstellenoffen und barrierefrei insbesondere für die Wissenschaft nutzbar gemacht werden.
Savaskan pflichtete Altgeld bei, dass der ÖGD und die Arbeit der Gesundheitsämter interprofessionell gedacht werden müsse. Wolle man den Public-Health-Ansatz, ein Kernelement des in Deutschland für den ÖGD entwickelten Leitbildes, stärker als bislang zur Geltung bringen, müssten zudem Wissenschaft und Gesundheitskommunikation weitaus besser miteinander verbunden werden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) habe jedenfalls in der Coronapandemie „nicht groß geholfen“.
Für eine deutliche Stärkung des „Health-in-all-Policies“-Ansatzes sprach sich Prof. Dr. habil. Heike Köckler von der Hochschule für Gesundheit in Bochum aus. Die negativen gesundheitlichen Auswirkungen sozialer Ungleichheiten hätten sich in der Pandemie erneut gezeigt. Die Vulnerabilität bestimmter Bevölkerungsgruppen beziehungsweise innerhalb benachteiligter sozialer Räume müsse viel stärker als Kriterium der öffentlichen Gesundheit Beachtung finden. Dazu sollte im Verbund vieler Politikfelder, von der Gesundheitspolitik über die Umwelt- und Stadtplanung bis hin zum Bildungsbereich, vorausplanender als bislang agiert werden. Bei der Überwindung des eher reaktiven Public-Health-Verständnisses in Deutschland könne der ÖGD einen großen Beitrag leisten, betonte Köckler. Um allerdings eigene Belange aktiv einbringen zu können, brauche es ein „Empowerment“ für den ÖGD.
In die gleiche Richtung zielt auch das in einem offenen Diskussionsprozess mit ÖGD, Verbänden, zuständigen Gremien sowie der Wissenschaft konsentierte und von der Gesundheitsministerkonferenz 2018 befürwortete Leitbild für einen modernen Öffentlichen Gesundheitsdienst. Festgestellt wurde, dass der ÖGD sozialkompensatorisch, planerisch und gestalterisch tätig sein solle, um gesundheitliche Chancengleichheit und bestmögliche Gesundheit für alle zu ermöglichen. Ein starker ÖGD sei eine Voraussetzung für das Funktionieren des Public-Health-Systems insgesamt.
Blaupause für Entwicklung einer Public-Health-Strategie
ÖGD-Beiratsmitglied Gerhardus betonte in diesem Zusammenhang, die Empfehlungen des Beirates seien eben gerade nicht als grundsätzliches Konzept „so soll der ÖGD sein“ zu interpretieren. Die Arbeit des Beirates sei unter der politischen Maßgabe der Pandemiebereitschaft erfolgt. Diese Maßgabe habe man zwar bewusst so weit wie möglich ausgelegt – trotzdem müsse aus seiner Sicht ein breite Debatte zum Selbstverständnis und zur konzeptionellen Rolle des ÖGD im Zusammenhang mit Public Health erfolgen.
Das Zukunftsforum Public Health (ZfPH), ein breiter Zusammenschluss von Akteuren der öffentlichen Gesundheit einschließlich vieler Ärztinnen und Ärzte, setzt sich für die Entwicklung einer Public-Health-Strategie ein. Unter Einbindung von weit über 300 Akteuren wurde vergangenes Jahr ein Eckpunktepapier ausgearbeitet und vorgelegt, welches als Blaupause für die Entwicklung einer Public-Health-Strategie verstanden werden kann.
Demnach müsse eine solche bundesweite Strategie besonders die sozialen Determinanten der Gesundheit adressieren und auf dem Health-in-All-Policies-Ansatz basieren – Gesundheit solle als Querschnittsthema in allen Politikfeldern verankert werden. Hierfür sei ein politikebenen- und ressortübergreifendes Planen und Handeln (zum Beispiel durch eine Bund-Länder-Kommission) und die Einbeziehung aller relevanten gesellschaftlichen Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft notwendig.
Etablierung einer umfassenden Public-Health-Surveillance
Insbesondere in den Gesundheitsämtern, aber auch den Landes- und Bundesbehörden, müssten entsprechende Kompetenzen und Kapazitäten ausgebaut beziehungsweise entwickelt werden. Neben einer ausreichenden und nachhaltigen Finanzierung erfordere dies den Auf- und Ausbau von Aus-, Fort- und Weiterbildungsstrukturen, die Schaffung und Institutionalisierung koordinierender Strukturen – insbesondere auf lokaler und überregionaler Ebene – sowie die Schaffung einer leistungsfähigen Infrastruktur für Forschung und Entwicklung. Für die Identifizierung von Problemlagen und die Planung, Implementierung und Evaluation von Public-Health-Maßnahmen sei eine kontinuierliche und systematische Erhebung, Analyse, Interpretation und Berichterstattung von gesundheitsbezogenen Daten notwendig. Hierfür bedürfe es eines Konzepts für eine nationale Public-Health-Surveillance, die auch die Länder- und kommunale Ebene umfassen solle und Daten aus anderen Politikbereichen (zum Beispiel Sozialindikatoren oder Umweltdaten) integrieren kann.
Auf den weit über den reaktiven und akuten Infektionsschutz hinausgehenden Fähigkeits- und Aufgabenkatalog der Gesundheitsämter verwies das Robert Koch-Institut (RKI) anlässlich des Tages des Gesundheitsamts am 19. März – der Tag stand unter dem Motto „Das Gesundheitsamt – Ihr Public-Health-Institut vor Ort“. „Die rund 400 Gesundheitsämter in Deutschland sind eine zentrale Säule für den Schutz und die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung“, betonte Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Lothar H. Wieler, Präsident des RKI.
Im Unterschied zur ärztlichen Tätigkeit in Krankenhäusern oder Arztpraxen, die vorwiegend individualmedizinisch ausgerichtet sei, hätten im Öffentlichen Gesundheitsdienst bevölkerungsbezogene Aspekte mit präventivem Ansatz eine große Bedeutung. „Damit haben die Gesundheitsämter einen viel größeren Einfluss auf die Gesundheit, als vermutlich vielen bewusst ist“, unterstrich Wieler. Besonderes Augenmerk richteten die Gesundheitsämter in diesem Kontext auf Bevölkerungsgruppen, für die kein oder ein erschwerter Zugang zur gesundheitlichen Regelversorgung gegeben ist – zum Beispiel Geflüchtete.
Zusätzliche Herausforderungen durch Flüchtlingsversorgung
Aktuell sind die Gesundheitsämter in Deutschland durch die hohen Coronainfektionszahlen und die notwendige Versorgung von Flüchtlingen aus der Ukraine extrem und in doppelter Hinsicht gefordert. Darauf weist Dr. med. Johannes Nießen, Leiter des Gesundheitsamtes der Stadt Köln und Verbandsvorsitzender des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt (nachfolgende Seite) hin. Bei der Betreuung von Flüchtlingen stehen neben der Versorgung bei akuten Infektionskrankheiten auch die Sicherstellung der medizinischen Versorgung chronischer Erkrankungen und der Impfschutz bei der Unterbringung in Gemeinschaftseinrichtungen im Fokus. Die Kinder- und Jugendgesundheitsdienste in den Ämtern kümmern sich zudem um die Aufnahme in Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas und Schulen und die dortige Betreuung, um traumatisierten Kindern und Müttern möglichst rasch wieder ein Stück Normalität zu ermöglichen – hier zeigt sich das interprofessionelle Handeln des ÖGD über das rein medizinische hinaus.
„Die Arbeit in einem Gesundheitsamt ist immer ein sozialmedizinisches Engagement für die Bevölkerung, für die Schwächeren und die vulnerablen Gruppen. Dazu zählen gerade Kinder und Flüchtlinge. Unsere Solidarität, unser Mitgefühl und unser Einsatz gilt den Ukrainerinnen und Ukrainern, hier und in ihrer Heimat“, betonte die stellvertretende BVÖGD-Vorsitzende Dr. Elke Bruns-Philipps. André Haserück
Beirat erarbeitet Empfehlungen
Im Zusammenhang mit der Coronapandemie haben die Bundesregierung und die Ministerpräsidentenkonferenz der Bundesländer (MPK) Weichenstellungen eingeleitet, um den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) strukturell zu stärken und weiterzuentwickeln. Zur Beratung wurde ein externer und unabhängiger Beirat berufen. Der Beirat hat entsprechend seinem Auftrag Maßnahmen zur Modernisierung des ÖGD mit Blick auf kommende Pandemien erarbeitet.
Krisenmanagement und Katastrophenschutz
Die Vernetzung aller Beteiligten, einschließlich der Klärung von Aufgaben und Zuständigkeiten, könne nicht erst mit Eintritt einer akuten Krise erfolgen, sondern müsse langfristig angelegt werden. In allen Gesundheitsdienstgesetzen der Länder sollten daher die Aufgaben und Strukturen des ÖGD im Krisenmanagement und seine Mitwirkungspflichten im Katastrophenschutz festgeschrieben werden, um eine Rechtsgrundlage für eine entsprechende landesweit einheitliche Ausgestaltung zu schaffen.
Personal, Finanzierung und Ressourcen
Die dauerhafte Finanzierung eines personell gestärkten ÖGD müsse über das Jahr 2026 hinaus für die Planungssicherheit der Träger in Bund, Ländern und Kommunen umgehend gewährleistet werden. Neben der notwendigen Schaffung von Stellen müsse auch die Bezahlung der einzelnen Berufsgruppen geprüft werden, da viele vorhandene Stellen wegen geringer finanzieller Attraktivität bereits aktuell nicht besetzt werden können. Anders als bisher müsse die öffentliche Gesundheit grundsätzlich bei der Planung der medizinischen Versorgung und deren finanzieller Ausstattung mitberücksichtigt werden. Dies erfordere eine Optimierung der organisatorischen Strukturen und eine Veränderung der Finanzierung im Gesundheitswesen.
Vernetzung und Vorsorge für den Krisenfall
Die Gesundheitsämter benötigten für ein Schnittstellenmanagement flächendeckend anschlussfähige Strukturen. Das umfasse die gesundheitsbezogene Organisationsentwicklung im Katastrophen- und Pandemiefall ebenso wie die sozialräumliche Verankerung von dauerhaften Hilfsangeboten im Alltag. Angebote der Krisenkommunikation, angemessene Warnsysteme für die Bevölkerung und die Bereiche der strategischen Prävention und Gesundheitsförderung müssten kritisch überprüft und gegebenenfalls neu aufgesetzt werden. Notwendig sei zudem die Weiterentwicklung von sektorenübergreifenden Kooperationen auf kommunaler Ebene, die Unterstützung von vulnerablen Gruppen und ein evidenzbasiertes Vorgehen mit einer Stärkung der Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitsfolgenabschätzung. Der Beirat empfiehlt auch eine systematische Erhebung der Digitalisierungsbedarfe im ÖGD. Vorangetrieben werden müsse die Vereinheitlichung der Strukturen, die Bereitstellung von Schnittstellen und der zeitnahe Anschluss an die Telematikinfrastruktur.
Forschung und Aus-, Fort- und Weiterbildung
Empfohlen wird die Etablierung von fachlichen Leitstellen auf Bundes- und Landesebene zur Entwicklung von evidenzbasierten Empfehlungen. Zudem sollten Lehr- und Forschungsgesundheitsämtern etabliert, eine wissenschaftliche Infrastruktur geschaffen und Kooperationen zwischen ÖGD und Forschungseinrichtungen gefördert werden. Ausbaufähig sei auch die universitäre Vernetzung der bestehenden ÖGD-Akademien und die Ausschreibung von Forschungsprogrammen. Für die Aus-, Fort- und Weiterbildung empfiehlt der Beirat eine stärkere Akademisierung aller Fachberufsgruppen, eine stärkere Integration von Inhalten des Öffentlichen Gesundheitswesens in relevante Ausbildungen und Studiengänge, eine Stärkung der ärztlichen Weiterbildung und interdisziplinäre Fortbildungen.
ÖGD-Plattform Agora
Agora, der zentrale Fest-, Versammlungs- und Marktplatz im antiken Griechenland, ist der Name der neuen Kollaborationsplattform für den ÖGD. Agora soll es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ermöglichen, sich untereinander besser auszutauschen, zu kollaborieren und Wissen gemeinsam über den gesamten ÖGD hinweg aufzubereiten – etwa mithilfe von Foren, Messenger- und Videokonferenzfunktion sowie einem ÖGD-Adressbuch. Die Plattform basiert auf der modularen Open-Source-Software Nextcloud, die bereits viele der Funktionsanforderungen abdeckt, und soll in Zusammenarbeit mit dem DigitalService4Germany – der bundeseigenen Softwareentwicklungseinheit – stetig weiterentwickelt werden. Derzeit wird Agora bereits mit Gesundheitsämtern pilotiert und mit spezifischen Funktionen für den ÖGD ergänzt.
Bessere Datenqualität durch DEMIS-Plattform
Mit dem Deutschen Elektronischen Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (DEMIS) soll das existierende Meldesystem für Infektionskrankheiten schrittweise weiterentwickelt und verbessert werden. Mit der ersten DEMIS-Ausbaustufe wird die elektronische Meldung von positiven SARS-CoV-2-Erregernachweisen seit Juni 2020 umgesetzt, seit Anfang 2021 ist die Meldung über DEMIS verpflichtend. Mittlerweile sind alle 375 Gesundheitsämter angebunden. Das System wird stetig gepflegt: Nach und nach sollen weitere Prozesse in DEMIS integriert werden. Die neuesten verfügbaren Features ermöglichen beispielsweise Hospitalisierungsmeldungen über das DEMIS-Portal (seit Mitte März) oder weitere Erregermeldungen gemäß § 7 IfSG Abs. 1 – dies betrifft unter anderem Hepatitisviren, Masern oder das West-Nil-Virus. Ziel ist unter anderem, dass die Arbeit in den Gesundheitsämtern digital unterstützt und die Kommunikation – innerhalb des Öffentlichen Gesundheitsdienstes aber auch mit anderen beteiligten Akteuren – verbessert wird. Die Auswertung von Meldedaten soll durch benutzerfreundliche Abfragen und bessere Visualisierung unterstützt werden, sodass die Meldedaten besser für die Planung von langfristigen Maßnahmen genutzt werden können.
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