

Wenn Bundestagsdebatten ohne Fraktionszwang anstehen, hofft man immer auf die viel beschworenen Sternstunden der Demokratie. Dieser Begriff geisterte schon Wochen vor der Bundestagsdebatte zur Coronaimpfpflicht durch die Medien. Allerdings sorgten in der vergangenen Woche weder die Impf- noch die Isolationspflicht in der Coronapolitik für irgendeine Sternstunde.
Den Anfang machte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Er wollte das Ende der Isolationspflicht eng mit den Bundesländern abgestimmt umsetzen. Die scharfe Kritik der Länder wie beim Infektionsschutzgesetz wollte der Gesundheitsminister sicher nicht noch einmal provozieren.
Also den Vorschlag zur Abstimmung an die Gesundheitsminister der Länder geschickt, Zeit für die Prüfung eingeräumt und schon war die Verständigung da. Der vermeintliche Erfolg schlug schnell ins Gegenteil um, denn die Kritik war laut, sehr laut. Selbst der Öffentliche Gesundheitsdienst, der ja mit dem Ende der Isolationspflicht entlastet werden sollte, plädierte im Fall eines positiven Coronanachweises weiterhin für eine Isolation von fünf oder sieben Tagen wie die Vizechefin des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Elke Bruns-Philipps, der Rheinischen Post sagte.
Um zu verstehen, dass bei einem Ende der Isolationspflicht und gleichzeitiger Abschaffung der Maskenpflicht die Personalausfälle steigen würden, wenn Infizierte ins Büro kommen, dafür muss man weder Wissenschaftler noch Gesundheitsminister sein. Das hätte auch Lauterbach auffallen müssen. Dann reagierte er, wie man ihn kennt. Nicht mit einem offiziellen Pressestatement, sondern in der Talkshow Markus Lanz. Und später um 2.27 Uhr auf Twitter: „Hier habe ich einen Fehler gemacht.“ Der Bundesgesundheitsminister bleibt seiner Kommunikationsstrategie und den dafür genutzten Kanälen treu. Auch wenn es positiv ist, wenn ein Politiker einen Fehler eingesteht, die Art der Kommunikation zeugt nicht von Respekt für diejenigen, die die Entscheidung zur Aufhebung der Isolationspflicht mitgetragen haben. Abgesehen von der Wahrnehmung in der Bevölkerung, die inzwischen bei politischen Coronaentscheidungen wohl gar nicht mehr hinhört.
Eine Chance für eine Sternstunde kam dann mit der Impfpflichtdebatte. Diese stand aber bereits im Vorfeld unter dem Motto: „Wer taktiert am besten?“ Eigentlich war die Abstimmung ohne Fraktionszwang als Gewissensentscheidung geplant. Die Unionsfraktion unterlief dies kurzerhand, sie riet kurz vor der Debatte ihren Mitgliedern, nur für den Unionsvorschlag zu stimmen. So geriet die Abstimmung zur Farce.
Dies spiegelte sich auch in der rund 70-minütigen Debatte wider: überwiegend Parteipolitik, gegenseitige Vorwürfe, wer mit wem nicht gesprochen hat und wenig Diskussion um die Sache selbst. Auch nicht um diejenigen vulnerablen Gruppen, die noch nicht geimpft sind. Die Impfquoten verharren seit Wochen auf demselben Stand. Das lässt leider vermuten, dass sich dies bis zum Herbst nicht ändert. Man geht jetzt ins Risiko. Umso mehr ist jetzt die vor Wochen angekündigte Ausweitung der Impfkampagne gefragt. Lauterbach will jetzt auf „kreative Werbung“ setzen. Die Gefahr aber bleibt, dass im Herbst und Winter die Gesundheitsberufe wieder mal die politische Entscheidungs- und Handlungsunfähigkeit ausbaden müssen.
Michael Schmedt
Chefredakteur
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