MEDIZINREPORT
Antigenschnelltests: Kein einheitliches Ergebnis


Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) attestierte einem Großteil der Schnelltests eine vergleichbare Sensitivität für die Omikron-Variante. Inzwischen liegt ein neuer Preprint vor, der dies nicht bestätigt. Große begutachtete Studien zu variantenabhängigen Unterschieden fehlen jedoch weiterhin.
Als das Paul Ehrlich Institut (PEI) am 24. März die Ergebnisse seiner lang erwarteten Untersuchungen präsentierte, war das Fazit eindeutig: Der Omikron-Nachweis mit Antigenschnelltests sei ebenso gut wie bei Delta (1, 2). Die Warnungen der US-Arzneimittelbehörde FDA könne das PEI nicht bestätigen. Die FDA wollte sich auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblatts (DÄ) nicht zu den aktuellen Ergebnissen des PEI äußern. Sie verweisen auf ihre Stellungnahme vom Dezember, die auf bislang nicht publizierten Daten basiert (3).
In Deutschland hatte zunächst der Münchner Virologe Prof. Dr. med. Oliver Keppler von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) dem PEI widersprochen (4). Er ist Letztautor einer Studie, die bei 8 von 9 untersuchten Tests eine reduzierte Sensitivität zum Nachweis der Omikron- gegenüber der Delta-Variante gezeigt hatte (5).
Der am 5. April publizierte Preprint zeigte, dass die Sensitivität von 3 Antigenschnelltests bei fast 100 Omikron-Infizierten mit hoher Viruslast signifikant niedriger war (50,00 %) im Vergleich zu gut 80 Wildtyp-Infektionen (79,31 %) (6). Die Sensitivitätsunterschiede zwischen Delta und Omikron waren jedoch nicht signifikant, die Konfidenzintervalle überlappen deutlich. Der Antigennachweis korrelierte mit der Viruslast: Niedrige Viruslasten gingen einher mit einer niedrigeren Sensitivität. Diese Unterschiede waren vermutlich aufgrund der begrenzten Probenzahl erst bei hoher Viruslast signifikant, erklärte der Erstautor Dr. med. Dipl.-Inf. Manuel Krone vom Universitätsklinikum Würzburg.
Abweichende Sensitivitäten
Die Forschenden hatten mit 35 479 Proben bei etwa 25 000 Patientinnen und Patienten die bisher größte Zahl an oropharyngealen Abstrichen untersucht. Im Unterschied zu den Studien aus München und der Untersuchung des PEI wurde kein experimentelles, sondern ein klinisches Setting gewählt.
Anders als in der Studie aus Würzburg wiesen dieselben 3 Antigenschnelltests laut dem PEI Sensitivitätsunterschiede für Delta auf: MEDsan: 58,0 %; Panbio 64,0 %; NADAL 36,0 % (gemittelte Werte für niedrige bis hohe Viruslast, Konfidenzintervalle wurden nicht angegeben). „Diese Zahlen des PEI spiegeln sich in unseren Untersuchungen nicht wider. Ausgerechnet der NADAL-Test erreichte in unseren klinischen Tests die höchste Sensitivität, wenn auch ohne statistische Signifikanz“, erläuterte Krone. Die Gesamtsensitivität reichte von 36,79 % für MEDsan über 37,65 % für Panbio bis 48,08 % für NADAL. 2 Einschränkungen: Variantenspezifische Aussagen waren nicht möglich, da die Sensitivitäten zu den Varianten über die 3 Tests gemittelt wurden. Auch die Viruslast wurde an dieser Stelle nicht aufgeschlüsselt. Die Sensitivitäten der Tests bezogen sich auf heterogen zusammengesetzte Probenpopulationen, die jeweils mit einem der Tests ausgewertet wurden.
In anderen Studien falle wie bei der Untersuchung des PEI der Antigennachweis bei hoher Viruslast für die Omikron-Variante wie für die anderen Varianten vergleichbar häufig positiv aus, sagte Prof. Dr. med. Cichutek, Präsident des PEI. Insofern sei der Befund einer relativ zu den anderen Varianten geringeren Sensitivität gegenüber Omikron bei Proben hoher Viruslast, nicht hingegen bei geringerer Viruslast, eigenartig. „Unklar ist auch, durch welche(n) Test(s) dies bestimmt wurde. Die Schlussfolgerungen zur relativen Sensitivität gegenüber verschiedenen Varianten erscheinen vor diesem Hintergrund diskutabel“, so Cichutek. Ursachen für die Abweichungen zu den PEI-Daten könnten laut Krone aber auch im Studiendesign liegen: Die Würzburger hatten deutlich mehr Proben analysiert als das PEI, das 4 klinische und 6 Zellkulturproben mit der Omikron-Variante exemplarisch evaluiert hatte. Den Abstrich hatten die Forschenden um Krone zudem bei Infizierten durchgeführt, das PEI hat klinische Proben auf eine definierte Viruslast eingestellt. „Da das PEI keine Konfidenzintervalle angibt, können wir die Signifikanz der Ergebnisse nicht einordnen“, sagte Krone dem DÄ. Zudem habe das PEI nur Schnelltests untersucht, die keine Bindestellen im Omikron-Mutationsbereich aufweisen, ergänzte Dr. med. Andreas Osterman, Erstautor der Münchner Studie vom Max von Pettenkofer-Institut der LMU.
Das Bridging entscheidet
Diese Bindestellen stellen einen zentralen Angelpunkt in der Bewertung des PEI dar. Die Theorie: Bei Zielregionen innerhalb des Nukleokapsid-(N-)Proteins, die nicht von einer Omikron-Mutation betroffen sind, gibt es „theoretisch keine Grundlage für einen verminderten Omikron-Nachweis“. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte daher die Hersteller von mehr als 600 Tests um Auskunft gebeten, die Frist lief am 13. April ab. Hersteller von Tests, deren Antikörperbindung einen bei Omikron mutierten Abschnitt des Virus betreffen, müssen wie in den neuen Mindestkriterien verlangt, eine Evaluation vorlegen, die zeigt, dass auch Omikron-Viren zuverlässig erkannt werden (7). Fehlt dieser Nachweis, wird das BfArM den Test von der Liste streichen. Alle anderen werden in der am 24. März neu eingeführten Bridging-Spalte mit „Ja“ gekennzeichnet. Die Aussagekraft dieses Kriteriums stellt der Erstautor der Münchner Studie, Osterman, jedoch infrage (Kommentar).
Die aktuelle Datenlage zu Antigenschnelltests für Omikron überzeugt Krone nicht, da eine große Studie mit Peer Review fehlen würde.
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1622
oder über QR-Code.
Kommentar
Dr. med. Andreas Osterman, Facharzt für Virologie, Max von Pettenkofer-Institut, LMU München
Omikron-Erkennung: Löst die Bridging-Prüfung alle Probleme?
Zwar bringt das Bridging-Verfahren etwas Licht ins Dunkel der Antigenschnelltests (AGST), aber es ist davon auszugehen, dass das Bundesministerium für Gesundheit und das BfArM die Hersteller von AGST zur Kooperation und Preisgabe der Firmengeheimnisse über die Bindestellen der Test-Antikörper gedrängt haben, indem sie auf die sonst drohende Streichung von der BfArM-Liste hingewiesen haben. Wie verlässlich sind somit solche Angaben? Schon in der Vergangenheit konnten unabhängige Evaluationen zeigen, dass Herstellerangaben zur Sensitivität unzuverlässig waren (8).
Selbst wenn das PEI und das BfArM die dringend empfohlene, unabhängige wissenschaftliche Prüfung dieser Bridging-Angaben durchführen, wären ähnliche Vorgehensweisen zu befürchten, wie sie Prof. Dr. med. Roman Wölfel, Leiter des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr, am 11. Februar gegenüber der Zeit im Rahmen der Sensitivitätsevaluationen beschrieb: Bis das BfArM Tests mit falschen Angaben von der Erstattungsliste streicht, kann die gleiche Testkassette unter anderem Namen schon wieder in den Verkauf gebracht worden sein.
Unsere Studie, aber auch die Daten aus Würzburg und Genf zeigen Schwächen bei der Erkennung von Omikron-Infektionen durch AGST (5, 6, 9). In allen Studien kamen auch Tests zum Einsatz, die ein „Bridging-Ja“ erhalten haben. Das PEI hat nur anhand weniger Proben die Bridging-Hypothese aufgestellt und zudem keine Kontrolldaten zu Tests veröffentlicht, deren Bindestellen in den mutierten Omikrondomänen liegen.
Dass es nicht ausgeschlossen ist, in zukünftigen Varianten auch Mutationen in Domänen des N-Proteins zu finden, die in der Bridging-Bewertung des PEI als vermeintlich unbedenklich beurteilt werden, zeigen die neuesten Varianten BA.4 und 5 (10). Eine Mutation liegt hier in einem Bereich, in dem laut PEI-Angaben mindestens 310 der auf dem Markt befindlichen AGST mit ihren Antikörpern binden (11).
Es könnte durchaus sein, dass Mutationen zwar außerhalb der Erkennungsstelle eines Antikörpers liegen, diese aber die Form des N-Proteins im Test so verändern, dass Antikörper trotzdem schlechter binden. Wie genau die Extraktionspuffer der AGST in diesem Zusammenhang arbeiten, ist ebenso nicht bekannt. In einer Arbeit aus dem Universitätsklinikum Ulm zeigte sich, dass diese Puffer unterschiedlich harsch arbeiten (12). In welchem Ausmaß die viralen Partikel also lysiert und in welcher Form das eventuell denaturierte N-Protein im Test vorliegt, bleibt daher unklar. Folgende Überlegungen würden ebenso ein schlechteres Erkennen von Omikron durch AGST erklären: Bei Omikron-Infizierten könnte in der Schleimhaut im Vergleich zu früheren Varianten weniger N-Protein bei gleicher Viruslast produziert werden. Darüber hinaus könnten SARS-CoV-2-spezifische Antigen-Antikörperinteraktionen bei Infizierten durch Impfung oder frühere Infektionen, die variantenspezifische Positivrate der Tests unterschiedlich beeinflussen.
Welche Schlussfolgerungen aus den PEI-Daten und Herstellerangaben gezogen werden können, gilt es daher zunächst zu prüfen.
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