POLITIK
Überbevorratung von Coronaimpfstoffen: Abnehmer dringend gesucht


Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht wegen seiner Impfstoffbeschaffungspolitik zunehmend in der Kritik. Nachdem er im Dezember vor einem massiven Mangel gewarnt hatte, droht nun die millionenfache Vernichtung von Impfstoffen.
Es gibt weltweit zu viel Impfstoff gegen COVID-19. Dem internationalen Pharmaverband IFPMA zufolge wurden seit Ende 2020 13,7 Milliarden Dosen hergestellt, aber nur 11 Milliarden verimpft. Ein darstellbarer Anteil des Überschusses lagert hierzulande: Rund 70 Millionen Dosen Coronaimpfstoff – überwiegend von BioNTech und Moderna – befanden sich Ende März im Zentrallager des Bundes in Quakenbrück. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Unionsfraktion hervor. Demnach hat der Bund bis zum 18. März insgesamt 677,4 Millionen Dosen geordert, die nicht nur für die deutsche Bevölkerung, sondern auch die Spendenzusagen an die Covax-Initiative gedacht sind – mit vertraglich vereinbarter Lieferung bis spätestens 2023, in den allermeisten Fällen bereits bis Jahresende 2022.
Lauterbach legt nach
Anfang Dezember 2021 lag diese vertraglich zugesicherte Menge noch bei 557 Millionen Dosen. Doch Lauterbach zeigte sich höchst besorgt: Deutschland laufe in einen Engpass, ohne weitere Beschaffung sei nicht genug für die Boosterkampagne da, insbesondere zu Jahresbeginn könne es Lieferlücken geben, warnte er im Dezember. Schon damals wurde ihm von der Opposition Panikmache vorgeworfen, doch der Minister ließ sich nicht beirren. Aus Polen, Portugal und Rumänien beschaffte er kurzfristig insgesamt 13,4 Millionen zusätzliche Dosen. Mit weiteren Nachbestellungen erhöhte er die zusätzliche zugesagte Liefermenge um 120 Millionen Dosen.
Dabei prognostizierte die Bundesregierung nach eigenen Angaben Ende März 2022 selbst unter der Prämisse einer hundertprozentigen Zweit-, Dritt- und Viertimpfungsrate sowie der – letztlich ja gescheiterten – Einführung einer allgemeinen Impfpflicht nach eigenen Angaben nur einen Gesamtbedarf von 125 bis 165 Millionen Dosen in diesem Jahr. „Zum Jahreswechsel wurden unter vollkommener Fehleinschätzung des tatsächlichen Bedarfs enorme Vorräte an Impfstoff aufgebaut und weitere Bestellungen getätigt“, kritisiert Georg Kippels, Obmann der CDU im Bundesgesundheitsausschuss, auf Anfrage. „Jetzt drohen erhebliche Mengen dieses wertvollen globalen Gutes zu verfallen.“ Es sei offensichtlich, dass entgegen Lauterbachs Panikmache niemals ein Impfstoffmangel geherrscht habe, betont auch Unionsfraktionsvize Sepp Müller.
Ende März ging die Bundesregierung noch davon aus, dass rund 10,5 Millionen Dosen bis Jahresmitte verfallen. Durch die kürzlich erfolgte Erhöhung der Haltbarkeitsdauer verringert sich deren Zahl auf rund drei Millionen – aber bereits bis Ende des vierten Quartals prognostizierte die Bundesregierung den Verfall von fast 50 Millionen Dosen. Dass die vorher komplett oder auch nur größtenteils verimpft werden, scheint äußerst unwahrscheinlich. „Wir begrüßen alle Anstrengungen, die freiwillige Impfbereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen. Sollte absehbar sein, dass Impfstoffe national nicht verwendet werden können, so wäre – rechtzeitig vor dem Ablaufen der Wirksamkeit – eine Belieferung anderer Länder denkbar“, erklärt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) dazu. Auch der Deutsche Hausärzteverband plädiert für rechtzeitige Spenden. „Das sollte natürlich nicht erst geschehen, wenn der Impfstoff kurz vor dem Ablaufdatum steht. Kurzfristig wird das wahrscheinlich ohnehin sehr schwierig, denn auch die Impfinitiative Covax nimmt derzeit offenbar keine weiteren Impfstoffspenden an“, erklärt der Bundesvorsitzende Ulrich Weigeldt.
Kaum Bedarf
Tatsächlich würde die Bundesregierung momentan gern mehr spenden: 176 Millionen Dosen sollen es bis Jahresende sein, 30 Millionen davon stehen noch aus, wie das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage erklärt. Ob es die 30 Millionen Dosen noch abgeben kann, ist nicht sicher. Die Abgabemenge hänge „von der Absorptionsfähigkeit der Empfängerstaaten sowie von weltweit verfügbaren Impfstoffmengen ab“, erklärte die Bundesregierung bereits auf die Unionsanfrage. „Da die internationale Versorgungslage mit Impfstoffen derzeit sehr gut ist, reguliert auch dieser Faktor die Menge der abzugebenden Impfdosen und determiniert die Auswahl möglicher bilateraler Empfänger.“ Dass Impfstoff in größerem Umfang vernichtet werden muss, scheint also fast sicher. Wie viel, das kann auch die Bundesregierung selbst noch nicht beziffern. Tobias Lau
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