

Auch zur Osterruhe machte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) keine mediale Pause. In der Bild am Sonntag warnte er vor einer „absoluten Killervariante“ von SARS-CoV-2. Er halte eine hochansteckende Variante wie Omikron, die so tödlich wie die Delta-Variante sei, für möglich. Ein Gesundheitsminister, der nach eigenen Aussagen auf wissenschaftlicher Basis entscheiden will, kann mit dem Begriff „Killervariante“ eigentlich nur verlieren. Als Arzt sollte Lauterbach wissen, dass gute Kommunikation ein wichtiger Erfolgsfaktor ist. Schlechte Kommunikation führt dagegen zu Unsicherheit und Verärgerung.
Folglich bekam der Minister dieses Mal nicht nur heftigen Gegenwind aus der Ecke derjenigen Wissenschaftler, die seine Rolle als Mahner seit Langem kritisieren. Auch bislang vorsichtigere Mediziner, wie der Leiter der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Prof. Dr. med. Stefan Kluge, kommentierten Lauterbachs Äußerungen zu der potenziellen „Killervariante“ von SARS-CoV-2 schlicht als „unpassend“. „Keine Expertin und kein Experte kann derzeit sicher sagen, welche Variante wir im Herbst bekommen“, erläuterte Kluge. Gleichzeitig verwies der Intensivmediziner aber darauf, dass man sehr wohl auf eine Variante vorbereitet sein sollte, die zu einer höheren Krankheitsschwere führt.
Lauterbachs Aussagen sind Wasser auf die Mühlen derjenigen, die ihn immer wieder als „Panik-Minister“ titulieren. Jetzt umso mehr, da ihm keiner aus dem „Team Vorsicht“ zur Seite gesprungen ist. Mit anhaltenden Maximalaussagen bewirkt man genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen will, und man beschädigt seine Glaubwürdigkeit. Zudem heizt es wieder die Schwarz-Weiß-Diskussion an, die in der Pandemie immer wieder dazu beigetragen hat, pragmatische und schnelle Lösungen oder präventive Maßnahmen nicht oder zu spät umzusetzen.
Es ist jetzt höchste Zeit, sich um die blinden Flecken der Pandemie zu kümmern und das schnell. Der Herbst beginnt in vier Monaten. Dass eine hochinfektiöse SARS-CoV-2-Variante möglich ist, darin stimmen die Experten ja überein. Aber immer noch warten wir auf die „kreative Impfkampagne“, die Lauterbach letztens angekündigt hat. Immer noch fehlen wichtige Daten, um die Pandemie besser bewerten zu können. Das Robert Koch-Institut veröffentlicht weiterhin nur „Schätzimpfraten“. Und als jemand, der einen Master of Public Health an der Harvard School of Public Health mit Schwerpunkten Epidemiologie und Health Policy and Management hat, sollte der Minister wissen, dass gerade für belastbare epidemiologische Aussagen in Deutschland noch Handlungsbedarf besteht. Ein großes Bevölkerungspanel fehlt genauso wie interdisziplinäre Modellierungsplattformen und es müssten mehr Interventionsstudien auf Bevölkerungsebene angestoßen werden (Seite 753). Das Infektionsgeschehen muss gut überwacht werden, damit eine fundierte Grundlage für schnelle Entscheidungen vorhanden ist.
Lauterbach könnte sich jetzt profilieren, denn aus einer guten Datenbasis folgt mehr Evidenz und damit Vertrauen in politische Entscheidungen. Wenn man dann noch mehr praktische Erfahrung, sprich ärztliche Expertise, einfließen lässt, könnte der Minister zu Recht sagen, er entscheide auf wissenschaftlicher und praxisorientierter Basis. Das könnte er dann fast schon als Killerargument für künftiges Handeln verkaufen.
Michael Schmedt
Chefredakteur