POLITIK: Das Interview
Interview mit Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. med. Karl Lauterbach: Minister skeptisch bei neuer GOÄ
;


Die Coronapandemie hat die vergangenen Jahre geprägt. Das hat dazu geführt, dass manche Probleme im Gesundheitswesen noch nicht angepackt wurden. Was nun auf der Agenda steht – und was eher nicht – sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Interview.
Die Coronakrise ist noch nicht überwunden. Was ist das wichtigste, was bis zum Herbst in die Wege geleitet werden muss?
Im Herbst sind insbesondere Virusvarianten zu erwarten, die von zwei Serotypen abstammen können. Dem Serotyp-1 – der Wuhan-Varianten und Abkömmlingen – oder dem Serotyp-2, also aus der Omikron-Familie. Für beide Varianten haben wir oder werden wir ausreichend Impfstoff besorgen.
Und neben dem Impfen?
Die Krankenhäuser, die COVID-19-Patienten versorgen, werden wir erneut unterstützen, wenn wir wieder in eine Welle kommen. Darüber hinaus werden wir mit den Arztpraxen eng zusammenarbeiten, wenn dort die Impfkampagne wieder anläuft. Auch die Impfzentren wollen wir offen halten. Darüber hinaus ist für uns auch die medikamentöse Therapie von großer Bedeutung. Wir werden orale Therapien und Antikörper für diejenigen zur Verfügung stellen, die früh behandelt werden müssen. Dazu müssen allerdings auch Ärztinnen und Ärzte gut informiert werden, damit sie wissen, wie diese Medikamente genutzt werden.
Was bedeutet das genau?
Bei den Arzneimitteln handelt es sich um Präparate, die nur dann gut wirken, wenn sie schnell bei Risikopatienten eingesetzt werden. Wir werden stärker darauf hinweisen, für welche Risikopatienten die Präparate geeignet sind, welche Nachweise dafür benötigt werden und wie die Patienten an die Medikamente kommen. Mir ist aufgefallen, dass Medikamente, die wir haben, längst nicht immer da eingesetzt werden, wo sie eingesetzt werden könnten. Ein ähnliches Defizit haben wir übrigens bei der vierten Impfung, also der zweiten Boosterimpfung. Da sind die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission klar. Die Auffrischimpfungen werden aber bisher nicht ausreichend genutzt. Dazu werde ich auch mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Bundesärztekammer in Kontakt treten. Wenn wir derzeit die vierte Impfung und die COVID-Arzneimittel stärker nutzen würden, hätten wir weniger Todesfälle.
Die Belastung der Ärztinnen und Ärzte war in der Coronapandemie immens hoch. In einer noch laufenden Umfrage des Deutschen Ärzteblattes haben die Leserinnen und Leser eine Durchschnittswochenarbeitszeit von 47 Stunden angegeben. 18 Stunden davon wurden nur für Bürokratie und Dokumentation aufgewendet. Sehen Sie da Handlungsbedarf?
Die Ergebnisse sind für mich nicht überraschend. Ich bin ja mit sehr vielen Ärztinnen und Ärzten, die mit mir zusammen studiert haben, befreundet und tausche mich mit ihnen aus. Ich finde es problematisch, wenn der bürokratische Aufwand zu hoch ist. Den Dokumentationsaufwand in der Praxis zu reduzieren, ist etwas, woran wir als Ministerium arbeiten. Allerdings basiert ein großer Teil der Dokumentationen, die von vielen Ärzten als Last empfunden werden, nicht auf gesetzlichen Grundlagen, sondern ist von der Selbstverwaltung entwickelt worden. Dabei sind Teile der Dokumentationen auch sinnvoll, weil sich damit die medizinische Versorgung verbessert.
In der Umfrage berichten die Ärzte auch, dass der wirtschaftliche Druck, der auf sie ausgeübt wird, zunehmend ihr ärztliches Handeln beeinflusst.
Für das Gefühl und die Beobachtung der Kolleginnen und Kollegen habe ich großes Verständnis. Wirtschaftliche Überlegungen etwa darüber, ob jemand noch einen Tag auf der Station bleibt, ob jemand, der in der Notfallaufnahme behandelt wird, aufgenommen wird oder nicht – oder eine Leistung stationär erbracht wird, obwohl sie auch ambulant hätte durchgeführt werden können, diese Fragen kommen immer stärker auf sie zu. Der ökonomische Druck wächst. Und die Ökonomisierung der Medizin ist gerade im Krankenhaussektor weit fortgeschritten und dringt immer weiter in den Alltag. Das frustriert Ärztinnen und Ärzte, die sich eigentlich ausschließlich um ihre Patienten kümmern wollen.
Welche Lösung gibt es für das Problem?
Es gibt viele Kliniken, die arbeiten an der Existenzgrenze. Wenn diese Krankenhäuser trotzdem für die Versorgung benötigt werden, müssen Länder und Kommunen einspringen. In unserem System sind sie verpflichtet, die Krankenhäuser mitzufinanzieren. Dabei geht es um Investitionskosten und notwendige Zulagen, die Einrichtungen benötigen, zum Beispiel in Brennpunkten. Generell brauchen wir in der Krankenhauspolitik aber eine große Reform, sie ist überfällig. Für eine gute wissenschaftliche Zuarbeit werden wir eine Kommission einsetzen mit Topexperten aus der Medizin und Epidemiologie auf der einen Seite und der Juristerei und Ökonomie auf der anderen.
Inklusive der gemeinsamen Selbstverwaltung?
Es geht um einen wissenschaftlichen Beirat. Die Selbstverwaltung wird von der Kommission angehört und somit eingebunden. Die Kommission soll einige Punkte abarbeiten, die im Koalitionsvertrag schon angeschnitten sind.
Die da wären?
Es stellen sich eine Reihe von Fragen. Es geht etwa darum, ob im DRG-System ausreichend abgebildet ist, dass die Krankenhäuser unterschiedliche Vorhaltekosten haben. Braucht man für bestimmte Leistungsstufen von Krankenhäusern eine Ergänzung zum DRG-System? Ist die Universitätsmedizin ausreichend abgebildet – oder sind nicht die Fallkosten in einer DRG sehr viel unterschiedlicher als zwischen DRG? Ist die ambulante Versorgung in Krankenhäusern mit dem derzeitigen Instrumentarium abbildbar und wie setzen wir die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Hybrid-DRG um? Wie kann das DRG-System ergänzt werden, beispielsweise in der Kinderheilkunde oder der Geburtsheilkunde? Müssen außer der Pflege noch andere Berufsgruppen aus der DRG herausgenommen werden? Werden in der DRG Qualitätsaspekte ausreichend abgebildet oder nicht? Seit dem Krankenhausstrukturgesetz 2015 können die Länder Qualitätsaspekte in die Krankenhausplanung einfließen lassen. Das findet kaum statt. Bei der Krankenhausplanung ist die Qualität ebenfalls bisher nicht ausreichend berücksichtigt. Der Bund beteiligt sich bereits über den Krankenhausstrukturfonds sowie den Krankenhauszukunftsfonds an der Finanzierung der Krankenhäuser, kann aber bei der Krankenhausplanung nicht mitbestimmen. Also stellt sich die Frage: Muss der Bund eine Rolle spielen bei der Krankenhausplanung? Auch mit dem Belegarztsystem soll sich die Kommission befassen. Das klassische Belegarztsystem gibt es in dieser Form ja nur in Deutschland. Sind wir da an einer Grenze angekommen oder brauchen wir andere Formen? All diese Punkte soll diese wichtige Expertenkommission beratschlagen.
Werden Sie an den Sitzungen teilnehmen?
Ja. Ich werde regelmäßig zu Gast sein, weil mich die Debatten sehr interessieren ...
... und große Krankenhausreformen ...
Naja. Am ursprünglichen DRG-System bin ich ja stark beteiligt gewesen. Diese letzte große Strukturreform, das Krankenhausstrukturgesetz, habe ich damals mitverhandelt. Und die Pflege aus den Fallpauschalen zu nehmen, war ebenfalls unser Verhandlungserfolg in der letzten Legislaturperiode.
Sie haben jetzt eine Reihe von wichtigen Vorhaben angesprochen, die die Expertenkommission beraten soll. Haben Sie dazu keine eigenen Lösungsvorschläge?
Natürlich.
Verraten Sie uns einige?
Das wäre nicht hilfreich. Ich möchte der Expertenkommission nicht vorgreifen. Eine Kommission ist nicht dafür da, die eigenen politischen Vorschläge, die man ohnedies hat, abzubilden. Das ist nicht richtig. Da muss man ergebnisoffen reingehen. Und das tue ich. So gehe ich übrigens auch mit dem Expertenrat Pandemie um. Wir wollen hier gemeinsam etwas lernen und das soll dann zu Politik werden.
Da werden sich die Krankenhausgesellschaft, Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung und andere aus der Selbstverwaltung schon fragen, warum Sie nicht in der Kommission sitzen.
Eine Kommission der Betroffenen ist ein anderes Konzept als eine wissenschaftliche Kommission, die Stellungnahmen und Vorschläge auf der Grundlage von Fachwissen und der wissenschaftlichen Literatur entwirft. Selbstverständlich werden die sogenannten Bänke wie gesagt auch in der Kommission gehört. Sie haben die Möglichkeit, ihre Vorstellungen, Sorgen und Nöte vorzutragen.
Noch mal zurück zu den DRG. Sie sagten gerade, die Kommission solle prüfen, ob außer der Pflege noch andere Berufsgruppen aus den DRG herausgenommen werden sollten. Ist das aus Ihrer Sicht eine gute Idee auch für Ärzte?
Nein, das sehe ich nicht. Wir haben doch jetzt schon einen dramatischen Ärztemangel – und er wird in fünf bis zehn Jahren noch viel dramatischer. Wir kommen jetzt in eine Situation hinein, in der es viele kleinere Krankenhäuser nicht mehr schaffen werden, alle Abteilungen ärztlich auszustatten. In der Chirurgie wird das der Fall sein, Geburtshilfe und Gynäkologie wird schwierig werden, HNO ebenso. Wir haben eine Reihe von Bereichen, in denen es immer schwerer werden wird, genug Ärzte zu finden, die dort arbeiten können oder dort arbeiten wollen. Das wird ein großes Problem. Uns fehlen ungefähr 5 000 Studierende in der Medizin pro Jahr. Es ist daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht so, dass Ärztestellen abgebaut werden. Die Kliniken sind ja froh, wenn sie genug Ärzte finden.
Muss man also doch die Zahl der Krankenhäuser reduzieren? Vorschläge hat es dazu ja schon einmal aus der Bertelsmann Stiftung oder vom AOK-Bundesverband gegeben.
Eine solche pauschale Senkung der Zahl der Krankenhäuser wird hier im Haus nicht verfolgt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das ein Vorschlag der Expertenkommission sein wird. Das Entscheidende ist, dass die Kliniken das Richtige machen und am richtigen Platz sind. Was problematisch ist, ist, dass Kliniken, nur um wirtschaftlich überleben zu können, Leistungen erbringen, für die sie eigentlich nicht optimal vorbereitet sind. Hier handelt es sich aber um einen Qualitätsaspekt und nicht um einen ökonomischen Aspekt.
Durch das Krankenhauszukunftsgesetz wurde den Kliniken Geld für die Digitalisierung bereitgestellt. Jetzt fragen sich die ambulanten Ärzte, warum sie nichts bekommen. Wird das nachgeholt?
Auch niedergelassene Ärzte bekommen Geld für die Digitalisierung ihrer Praxen. Diese Erstattungsbeträge werden ja regelmäßig zwischen der KBV und dem GKV-Spitzenverband ausgehandelt. Viel wichtiger als die Frage, wer die Kosten der Ausstattung einer Praxis trägt, ist aber, dass die digitalisierte Ausstattung für den Arzt einen Wert hat. Ärzte sollten Digitalisierung als einen Gewinn erleben, sie soll ihre Arbeit verbessern und erleichtern. Daran muss gearbeitet werden. Ich glaube, dass die Perspektive, was bringen die Digitalisierungsinitiativen der Ärzteschaft und was den Patienten, bisher noch zu wenig beachtet wurde.
Ist das eine Kritik an der gematik?
Darum geht es nicht. Ich lege jedenfalls sehr stark Wert darauf, was die Anwendung aus Perspektive der Patienten und der Ärzte bringt. Ich halte daher die schnelle Nutzung der elektronischen Patientenakte bei Neupatienten oder Patienten, die parallel bei Kolleginnen und Kollegen in Behandlung sind oder die zugewiesen sind, für zentral.
Darum die Opt-out-Regelung?
Genau. Ich halte es für essenziell, dass Ärztinnen und Ärzte schnell auf Befunde zugreifen können, die sie brauchen. Ich bin oft an Zweitmeinungen beteiligt und erlebe es dort immer wieder. Der natürliche Feind der Zweitmeinungen sind die fehlenden Befunde. Das war übrigens schon mein Argument bei der Einführung der elektronischen Patientenakte 2002. Wir brauchen die elektronische Patientenakte, damit die Qualität der Versorgung verbessert wird, indem ein einzelner Arzt schneller auf alle Befunde eines Patienten zugreifen kann – auch mit einer Suchfunktion. Das ist bis heute meine Überzeugung, dass das eine Kernanwendung einer elektronischen Patientenakte sein sollte.
Aber alleine die Anmeldung für die Patientenakte bei den Krankenkassen ist teils sehr kompliziert. Jede Anmeldung für ein Onlinebanking ist da harmonisch und schön …
Das geht natürlich nicht und das gehört zu den Dingen, die wir aufgreifen werden.
Wird das geplante Gesundheitsdatennutzungsgesetz da mit hineinspielen?
Ziel des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes muss es sein, Gesundheitsdaten sowohl für eine bessere Versorgung des Einzelnen als auch für die Forschung zugänglich zu machen – ohne dabei das Recht der Patienten an ihren Daten infrage zu stellen. Ein Opt-out-System, das Bereiche ausklammern kann, die der Einzelne nicht zugänglich machen möchte, das halte ich für richtig. Da bin ich auch mit dem Datenschutzbeauftragten Herrn Kelber im engen Austausch, der das nicht anders sieht.
In der Arzneimittelversorgung haben wir gerade mit Tamoxifen wieder Lieferengpässe beobachten müssen. Wie sind die Pläne, dem verstärkt zu begegnen?
Das ist ein Thema, an dem ich mit meinem Amtsvorgänger bereits gemeinsam gearbeitet habe. Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind ein vielschichtiges Problem und sind schwerer zu lösen als gedacht. Manchmal gelingt es – wie bei Tamoxifen zum Beispiel. Da konnten über Importe schnell ausreichend Ersatz organisiert werden. Aber es ist tatsächlich so, dass bestimmte Wirkstoffe in Europa nicht mehr produziert werden können, weil es sich schlicht nicht lohnt. Die Produktionskosten würden dazu führen, dass diese Arzneimittel im Rahmen von Rabattverträgen nicht überleben könnten. Daher müssen wir noch einmal an die Frage heran, ob etwa Unternehmen, die besondere Leistungen erbringen im Rahmen der Sicherstellung von Wirkstoffen, die stark von Lieferengpässen betroffen sind, unterstützt werden. Am Ende muss eine Lösung stehen, die es wahrscheinlicher macht, dass die Unternehmen die Wirkstoffe in Europa produzieren.
Was genau schwebt Ihnen da vor?
Das ist noch offen. Prinzipiell prüfen wir mehrere Ansätze, sowohl national als auch auf EU-Ebene: Bevorratung kritischer Wirkstoffe, stärkere Diversifizierung der Produzenten bei der Beschaffung von Arzneimitteln und Anreize für Produktion in der EU.
Also eventuell neue Anreize für die Industrie. Die soll zugleich nach jüngsten Plänen aus dem Ministerium aber ihren Teil zur Stabilisierung der GKV-Finanzen beitragen – Stichwort Preismoratorium?
Wir werden in Kürze ein Finanzstabilisierungsgesetz vorstellen. Derzeit gehen wir von einer Deckungslücke im kommenden Jahr von rund 17 Milliarden Euro aus. Wir werden die vier Blöcke Effizienzreserven, Reserven der Krankenkassen, die Erhöhung des Steuerzuschusses und darüber hinaus auch Beitragssatzerhöhungen einbeziehen. Leistungsausschlüsse für Versicherte kommen für mich nicht infrage. Daher müssen die genannten vier Bereiche in den Blick. Ich bitte um Verständnis, dass ich einzelne Aspekte nicht vortragen möchte. Dazu bin ich in engem Austausch mit den Koalitionspartnern.
Leistungskürzungen bleiben also tabu?
Leistungskürzungen schließe ich aus. Aber um Leistungen nicht zu kürzen, müssen wir Effizienzreserven konsequent nutzen und die Lasten auf mehrere Schultern verteilen.
Apropos Finanzen. Wenn sich Bundesärztekammer, Private Krankenversicherung (PKV) und Beihilfe auf eine neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) geeinigt haben, was spricht dann noch dagegen, diese in dieser Legislaturperiode umzusetzen?
Wenn ein Vorschlag zur GOÄ kommt, dann werden wir uns diesen in jedem Fall anschauen. Das ist ja klar. Trotzdem muss ich die Erwartungen etwas dämpfen.
Warum?
Wir werden in dieser Legislaturperiode nichts machen, was das Verhältnis von PKV zur Gesetzlichen Krankenversicherung, also zur GKV, verschiebt. So haben wir es im Koalitionsvertrag beschlossen. Und daran halte ich mich. Natürlich ist es kaum möglich, eine Reform der GOÄ vorzunehmen, die dieses Verhältnis nicht berühren würde. Trotzdem erwarte ich mit Spannung das gemeinsame Ergebnis von Bundesärztekammer und PKV.
Sie würden eine Reform also mit der FDP diskutieren?
Ich schaue mir den Reformvorschlag erst einmal grundsätzlich an, bevor ich darüber weiter spekuliere. Aber ich bin sehr skeptisch, dass wir in dieser Legislaturperiode da viel beschließen können.
Bei steigenden Kosten aufgrund demografischer Faktoren und sinkender Einnahmen der GKV wird sich die Teilnahme aller am medizinischen Fortschritt anders als durch Kosten-Nutzwert-Analysen nicht bewältigen lassen. Das haben Sie 1997 in einem Beitrag im Deutschen Ärzteblatt geschrieben. Würden Sie das heute noch einmal so schreiben?
Ja. Es war auch ein Vorschlag aus meinem Institut, den ich damals gemacht habe, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) einzuführen. Dem Grunde nach ging es darum schon in dem Artikel von 1997. Es ging um die Nutzenbewertung von diagnostischen und therapeutischen Verfahren, aber auch die Kosten-Nutzen-Bewertung. Aber Letztere ist nie von der Selbstverwaltung richtig umgesetzt worden. Wenn die Selbstverwaltung mehr Kosten-Nutzen-Analysen machen würde, würde ich das in jedem Fall begrüßen.
Weil?
Die Effizienz ist die bessere Alternative zur Leistungskürzung. Von daher ist die schnelle Antwort, dass ich die ethische Notwendigkeit immer noch sehe. Wo ich durch bessere Effizienz Leistungskürzungen vermeiden kann, muss dies geschehen.
Das Interview führten Thorsten Maybaum und Michael Schmedt
Zur Person
Prof. Dr. med. Karl Lauterbach (21. Februar 1963) ist Universitätsprofessor und seit 1998 Leiter des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie, eine interdisziplinäre Einrichtung der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln. Seit seiner Wahl in den Bundestag 2005 ist er beurlaubt. Studiert hat er Humanmedizin in Deutschland und den USA. Den Master of Public Health (MPH) erwarb er an der Harvard School of Public Health. Lauterbach ist zwischen 1999 und 2005 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen gewesen. Von 2013 bis 2020 war er stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD. Seit Dezember 2021 ist er Bundesminister für Gesundheit.
Torremante, Elio