ArchivDeutsches Ärzteblatt27-28/2022Akute Impfreaktion nach COVID-19-Vakzinierung und Höhe der Antikörperspiegel im längerfristigen Verlauf
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Trotz Anhalten der SARS-CoV-2-Pandemie und nachgewiesenem Nutzen von COVID-19-Schutzimpfungen ist die Impfquote in der deutschen Allgemeinbevölkerung derzeit vergleichsweise niedrig. Im Gesundheitswesen ist diese höher, dennoch ist auch hier ein relevanter Anteil der Mitarbeiter ungeimpft (1). Begründungen der Nicht-Inanspruchnahme einer COVID-19-Schutzimpfung sind divers, vor allem wird auf potenzielle Nebenwirkungen hingewiesen (2). Wir haben uns die Fragen gestellt, welche Nebenwirkungen auftreten und ob das Auftreten von Nebenwirkungen mit der Höhe der gemessenen Antikörperspiegel (AS) assoziiert ist und dazu eine große Population von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gesundheitswesen untersucht.

Methoden

Bei Mitarbeitern aller Berufsgruppen des Universitätsklinikums Ulm wurde an mehreren Zeitpunkten nach Zweit- sowie Drittimpfung die Höhe der SARS-CoV-Spike-Antikörper analysiert. Als Immunoassay wurde der Elecsys-Anti-SARS-CoV-2-S-Test (Roche) zur quantitativen Bestimmung von Antikörpern gegen die SARS-CoV-2-Spike-Proteinrezeptor-Bindungsdomäne verwendet. Zur Differenzierung wurde gleichzeitig auf Nukleokapsidantikörper mittels Elecsys-Anti-SARS-CoV-2-Test (Roche) getestet. Parallel wurden Impfreaktionen mittels standardisiertem Fragebogen erfasst und darauf basierend eine Dichotomisierung des Auftretens von Impfreaktionen vorgenommen. Die statistische Auswertung erfolgte explorativ und aufgrund asymmetrisch verteilter AS mithilfe des Mann-Whitney-U-Tests. Als statistisches Signifikanzniveau wurde p < 0,05 gewählt. Die Studie wurde durch die Ethikkommission Ulm bewilligt (Nummer 118/21).

Resultate

Zwischen Mai 2021 und März 2022 wurde am Universitätsklinikum Ulm eine systematische Erhebung von AS nach COVID-19-Schutzimpfung durchgeführt. 1 842 Probandinnen und Probanden wurden nach der Zweitimpfung und 573 nach der Boosterimpfung eingeschlossen. Signifikant höhere mediane AS zeigten sich 14 Wochen (± 2 Wochen) nach zweimaliger Impfung mit Comirnaty (n = 1 077, 1 120 U/mL) und insbesondere nach heterologer Impfreihenfolge Vaxzevria-Comirnaty- (n = 597, 2 513 U/mL) gegenüber zweifacher Vaxzevria- (n = 152, 460,5 U/mL) Impfung. Signifikant höher waren die AS bei unter 30-Jährigen (n = 354, AS 2 307,5 U/mL (71,8–17 033) im Vergleich zu älteren Probanden (n = 1 486, AS 1 303 U/mL (0,62–16 962); p = 0,001). Bei 49 Probanden (2,6 %) wurden bereits vor der Drittimpfung zusätzlich Nukleokapsidantikörper nachgewiesen (im Sinne einer durchgemachten COVID-19-Infektion). Diese zeigten auch deutlich höhere AS gegenüber Nukleokapsid-AK negativen Probanden (median AS 5 473 U/mL (53,9–17 033) versus 1 453 U/mL (0,62–12 500). Nach der Drittimpfung waren bereits 5,8 % (n = 33) der Probandenen Nukleokapsid-AK positiv. Im zeitlichen Verlauf 24 Wochen nach Zweitimpfung fielen die AS im Median um 237 U/mL (0,62–10 257) ab (n = 403). Lediglich bei 54 Probanden blieben diese gleich oder stiegen im Median um 66,5 U/mL (0–1 825) an. Die Drittimpfung führte zu einem ausgeprägten „Boost“ der AS (Tabelle). Bei den meisten Probanden (89 % nach Erst-/Zweitimpfung, 83 % nach Drittimpfung) traten Impfreaktionen auf, die überwiegend als mild bis moderat gewertet wurden. Deutlich führend waren lokale Nebenwirkungen, gefolgt von systemischen Reaktionen wie Müdigkeit/Erschöpfungsgefühl, Kopfschmerzen und muskuloskelettalen Schmerzen. Ein Ereignis im zeitlichen Zusammenhang mit der Drittimpfung wurde als „schwere“ potenzielle Impfreaktion eingestuft (Immunthrombozytopenie). Es bestand eine Assoziation zwischen dem Auftreten einer Impfreaktion und der Höhe des AS nach Zweitimpfung (Impfreaktion: n = 1 641, median AS 1 563 U/mL [0,62–17 033]); keine Impfreaktion: n = 201, 840 U/mL [28,2–12 500]; p < 0,001), siehe Grafik. Diese Assoziation konnte auch weiterhin nach Drittimpfung nachgewiesen werden (Impfreaktion: n = 478, median AS 15196 U/mL [769–25 000]; keine Impfreaktion: n = 95, 11 672 U/mL [42–25 000]; p = 0,0012), wobei in beiden Gruppen eine hohe Immunogenität hervorgerufen wurde.

Höhe der Antikörperspiegel nach COVID-19-Schutzimpfung in Abhängigkeit einer Impfreaktion
Grafik
Höhe der Antikörperspiegel nach COVID-19-Schutzimpfung in Abhängigkeit einer Impfreaktion
Kohortendeskription und Ergebnisse der Antikörperspiegelbestimmungen
Tabelle
Kohortendeskription und Ergebnisse der Antikörperspiegelbestimmungen

Diskussion

Mehrere Studien zeigen „Angst vor Nebenwirkungen“ als wesentliche Determinante der Ablehnung einer COVID-19-Schutzimpfung, sowie die Überzeugung derer Ineffektivität (3). Unsere Datenerhebung erfolgte in einer repräsentativen Kohorte von Mitarbeitern einer deutschen Universitätsklinik. Analog zu Vorpublikationen konnten wir in allen Subgruppen eine ausreichende Impfantwort nachweisen. Lediglich bei zwei Probanden (0,1 %) blieben die AS nach Zweitimpfung unterhalb des angegeben Cutoffwertes (≥ 0,8 U/mL). Mitarbeiter mit heterologer Impfung (Vaxzevria-Comirnaty) wiesen nach der Zweitimpfung signifikant höhere AS auf als solche mit homologer, analog zu Daten anderer Arbeitsgruppen (4). Die Höhe der AS nach Drittimpfung mit einem mRNA-Impfstoff wurden durch das vorherige Impfschema nicht beeinflusst. Wir konnten eine erhebliche Altersabhängigkeit der Immunantwort nach Zweit- und Drittimpfung nachweisen. Während in älteren „prä-COVID“-Arbeiten ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der akuten Impfreaktion („cytokine release“) und der Impfeffektivität postuliert wurde, wird dieser Aspekt aktuell kaum adressiert. Wenngleich das Ausmaß der Impfeffektivität in hohem Maße komplexer ist als die alleinige Antikörperbildung und B-Zell-Antwort, so wurde für „non-Omikron“-Virusvarianten eine Korrelation zwischen AS-Höhe und Risikoreduktion für eine COVID-19-Infektion beschrieben (5). Wir konnten signifikant höhere AS nach der Zweit- wie Drittimpfung bei Probanden mit akuter Impfreaktion nachweisen, verglichen zur Gruppe ohne akute Impfreaktion. Im Rahmen der Drittimpfung erreichten alle Probanden einen Impftiter, der höher als nach der Zweitimpfung lag. Erfreulicherweise zeigten sich auch bei „Non-Respondern“ auf Erst- und Zweitimpfung ein Anstieg jenseits des Cut-off-Wertes. Kritisch hervorzuheben ist die retrospektive Erfassung der Impfnebenwirkungen zum Zeitpunkt der Antikörperbestimmung, welche anfällig für einen gewissen „Recall-Bias“ ist. Zusammenfassend können wir in einem Kollektiv von Mitarbeitern des Gesundheitswesens neben einer vorbekannt generell hohen humoralen Impfantwort gerade bei den Probanden mit akuten Impfreaktionen einen signifikant höheren Antikörperspiegel nach Zweit- und Drittimpfung nachweisen, bei insgesamt guter Verträglichkeit der verwendeten Impfstoffe.

Lukas Perkhofer, Jana Nägele, Joris Kroschel, Benjamin Mayer, Martin Müller*, Thomas Seufferlein*

Danksagung

Wir danken allen Mitarbeitern des Universitätsklinikums Ulm, die an der Studie teilgenommen haben und der „Corona-Task Force“ des Universitätsklinikums Ulm für die Initiierung der vorliegenden Studie. Im Besonderen danken wir folgenden Personen, die an der Ermöglichung und Umsetzung der Studie beteiligt waren: Prof. Udo X. Kaisers, Dr. Thomas Gscheidmeier, Prof. Roman Wennauer, Patrick Schauppel, Steffen Bolek, Will Qian, Annsophie Thies und allen Mitarbeitern der Zentralen Einrichtung Klinischen Chemie.

Interessenkonflikt
Die Autorinnen und Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 28.01.2022, revidierte Fassung angenommen: 06.04.2022

Zitierweise
Perkhofer L, Nägele, Kroschel J, Mayer B, Müller M, Seufferlein T: Acute reactions after vaccination against COVID-19 and long-term antibody levels. Dtsch Arztebl Int 2022; 119. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0195

Dieser Beitrag erschien online am 04.05.2022 (online first) unter www.aerzteblatt.de.

►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de

1.
Robert Koch-Institut: KROCO – die Krankenhausbasierte Online-Befragung zur COVID-19-Impfung Ergebnisbericht zur Dritten Befragungswelle. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Projekte_RKI/Kroco-Report100122.pdf?_blob=publicationFile ( last accessed on 10 January 2022).
2.
forsa: Befragung von nicht geimpften Personen zu den Gründen für die fehlende Inanspruchnahme der Corona-Schutzimpfung. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Befragung_Nichtgeimpfte_-_Forsa-Umfrage_Okt_21.pdf (last accessed on 16 Dezember 2021).
3.
Cerda AA, Garcia LY: Hesitation and refusal factors in individuals’ decision-making processes regarding a coronavirus disease 2019 vaccination. Front Public Health 2021; 9: 626852 CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.
Stuart ASV, Shaw RH, Liu X, et al.: Immunogenicity, safety, and reactogenicity of heterologous COVID-19 primary vaccination incorporating mRNA, viral-vector, and protein-adjuvant vaccines in the UK (Com-COV2): a single-blind, randomised, phase 2, non-inferiority trial. Lancet 2022; 399: 36–49 CrossRef MEDLINE PubMed Central
5.
Khoury DS, Cromer D, Reynaldi A, et al.: Neutralizing antibody levels are highly predictive of immune protection from symptomatic SARS-CoV-2 infection. Nat Med 2021; 27: 1205–11 CrossRef MEDLINE
*Die Autoren teilen sich die Letztautorenschaft
Klinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Ulm (Perkhofer, Nägele, Müller, Seufferlein) thomas.seufferlein@uniklinik-ulm.de
Zentrale Einrichtung Klinische Chemie, Universitätsklinikum Ulm (Kroschel)
Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie, Universität Ulm (Mayer)
Höhe der Antikörperspiegel nach COVID-19-Schutzimpfung in Abhängigkeit einer Impfreaktion
Grafik
Höhe der Antikörperspiegel nach COVID-19-Schutzimpfung in Abhängigkeit einer Impfreaktion
Kohortendeskription und Ergebnisse der Antikörperspiegelbestimmungen
Tabelle
Kohortendeskription und Ergebnisse der Antikörperspiegelbestimmungen
1.Robert Koch-Institut: KROCO – die Krankenhausbasierte Online-Befragung zur COVID-19-Impfung Ergebnisbericht zur Dritten Befragungswelle. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Projekte_RKI/Kroco-Report100122.pdf?_blob=publicationFile ( last accessed on 10 January 2022).
2.forsa: Befragung von nicht geimpften Personen zu den Gründen für die fehlende Inanspruchnahme der Corona-Schutzimpfung. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Befragung_Nichtgeimpfte_-_Forsa-Umfrage_Okt_21.pdf (last accessed on 16 Dezember 2021).
3.Cerda AA, Garcia LY: Hesitation and refusal factors in individuals’ decision-making processes regarding a coronavirus disease 2019 vaccination. Front Public Health 2021; 9: 626852 CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.Stuart ASV, Shaw RH, Liu X, et al.: Immunogenicity, safety, and reactogenicity of heterologous COVID-19 primary vaccination incorporating mRNA, viral-vector, and protein-adjuvant vaccines in the UK (Com-COV2): a single-blind, randomised, phase 2, non-inferiority trial. Lancet 2022; 399: 36–49 CrossRef MEDLINE PubMed Central
5.Khoury DS, Cromer D, Reynaldi A, et al.: Neutralizing antibody levels are highly predictive of immune protection from symptomatic SARS-CoV-2 infection. Nat Med 2021; 27: 1205–11 CrossRef MEDLINE

Der klinische Schnappschuss

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