

Das deutsche Gesundheitssystem muss dringend zukunftsfest werden. Die Rahmenbedingungen dafür sind aktuell aber mehr als schwierig. Zunächst braucht es schlicht Geld. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) schiebt im kommenden Jahr ein Defizit von rund 17 Milliarden Euro vor sich her. Das Finanzstabilisierungsgesetz, das Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigt hat, liegt immer noch nicht vor und man darf bezweifeln, dass man mal eben so diese gewaltige Summe einspart. Die Bevölkerung wird sich auf höhere Beiträge der Krankenkassen einstellen müssen.
Gleichzeitig führt die demografische Entwicklung dazu, dass der medizinische Versorgungsbedarf immer schneller steigt. Die Babyboomer kommen mit Macht auf die Sozialsysteme zu. Mehr ältere, multimorbide und chronisch kranke Patientinnen und Patienten sind eine große Herausforderung für jedes Gesundheitssystem. Hinzu kommen die steigenden Belastungen, die durch die sogenannten Volkskrankheiten wie Adipositas, Diabetes oder Bluthochdruck entstehen, die inzwischen auch viele Jüngere betreffen.
Auf der anderen Seite brechen immer mehr Angehörige der Gesundheitsberufe weg. Pflegekräfte und Medizinische Fachangestellte werden händeringend gesucht und die neueste Ärztestatistik macht deutlich, dass der Trend zur Teilzeitarbeit anhält und auch die Zahl der Ärztinnen und Ärzte ohne ärztliche Tätigkeit mit 128 000 erschreckend hoch ist.
Wie dramatisch der Fachkräftemangel zum Teil ist, sieht man in Mecklenburg-Vorpommern. Dort teilte Landesgesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD) Ende März mit, dass Auszubildende in der Pflege im zweiten Ausbildungsjahr für bis zu vier Wochen vom schulischen Unterricht befreit werden, um in den Einrichtungen ihres Arbeitgebers einspringen zu können. Außerdem sollen Medizinstudierende an den Universitätskliniken in Rostock und Greifswald mit anpacken: Dort wird der Semesterstart des zweiten klinischen Jahres um vier Wochen verschoben.
Der Ruf, eines der besten Gesundheitssysteme der Welt zu sein, ist schnell verspielt. Gerade diejenigen, die jeden Tag im Krankenhaus oder der Arztpraxis Patientinnen und Patienten versorgen, fragen sich schon länger, was an ihren Arbeitsbedingungen diesen Ruf rechtfertigt. Demografie, Finanzierungslücken und Personalmangel sind aber nicht die einzigen Gründe für die genannten Defizite. Ganz klar muss man die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens nennen. Sie führt zu Qualitätsmängeln und zu einer erheblichen Belastung von Ärztinnen und Ärzten. Wo Medizin zum Geschäft wird, kann dies nur die logische Folge sein.
Um die Problematik sichtbar zu machen, hat das Deutsche Ärzteblatt Ärztinnen und Ärzte befragt, wie sehr sich die Kommerzialisierung auf ihren Arbeitsalltag auswirkt. Die Ergebnisse zeigen deutlich die negativen Folgen. So sagten 88 Prozent der 1 047 Befragten, dass der wirtschaftliche Druck wesentlichen Einfluss auf die Zeit für die unmittelbare Patientenbehandlung nimmt (Seite 895).
Dass zunehmend mehr Angehörige aus den Gesundheitsberufen ihrem Job den Rücken kehren, liegt auch an der Kommerzialisierung. Wenn das deutsche Gesundheitswesen zukunftsfest werden soll, muss die Politik dringend gegensteuern. Bevor immer mehr sagen: „Ich bin dann mal weg.“
Michael Schmedt
Chefredakteur