THEMEN DER ZEIT
Suizidbeihilfe: Anlauf für neue Gesetzgebung


Mehr als zwei Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts startete der Deutsche Bundestag mit einer Orientierungsdebatte ohne Fraktionszwang eine erneute gesellschaftliche Diskussion über eine Neuregelung der Suizidbeihilfe. Drei Gruppenvorschläge dienten als Grundlage.
Das Thema ist hoch emotionales und betrifft sowohl den individuellen Menschen und die Gesellschaft als auch das ärztliche Selbstverständnis zutiefst: die Beihilfe zum Suizid. Nur wenige Tage vor dem 126. Deutschen Ärztetag in Bremen startete der Deutsche Bundestag mit einer Orientierungsdebatte am 18. Mai einen neuen Anlauf für eine gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe.
Die Abgeordneten erörterten verschiedene Regelungsmöglichkeiten der Sterbehilfe sachlich, ausgewogen und ohne Fraktionszwang. Während einige das Recht auf selbstbestimmtes Sterben betonten, warnten andere vor einer Normalisierung von Suiziden und forderten eine Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Suizidhilfe und mehr Suizidprävention.
Anlass für die wiederholte Orientierungsdebatte war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020. Dieses hatte das 2015 vom Parlament beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid, den § 217 Strafgesetzbuch (StGB), gekippt und den Bereich der Suizidbeihilfe wieder gesetzlich ungeregelt zurückgelassen. In der Urteilsbegründung vom Februar 2020 hieß es, dass das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ die Freiheit einschließe, „sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen“. Dies gelte für jeden Menschen – unabhängig von Krankheit oder Alter, so die Richter.
„Freiwillige Hilfe Dritter“
Das Urteil war für die Gesellschaft ein wegweisendes Signal, insbesondere aber für Ärztinnen und Ärzte. Denn an sie denken Menschen am häufigsten, wenn es um die „freiwillige Hilfe Dritter“ beim Suizid geht. Zudem hatte das Bundesverfassungsgericht kritisiert, dass die ärztliche Muster-Berufsordnung und Berufsordnungen vieler Landesärztekammern ärztliche Suizidbeihilfe untersagen.
Vor einem Jahr beriet sich der 124. Deutsche Ärztetag zu diesem Thema und beschloss aus verfassungsrechtlichen Gründen, das Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe in der Musterberufsordnung nicht mehr aufrechtzuerhalten. Den Landesärztekammern empfahl er eine Änderung in ihrem Berufsrecht, betonte aber gleichzeitig, dass Suizidbeihilfe keine ärztliche Aufgabe sei,und lehnte eine Verpflichtung zur ärztlichen Mitwirkung beim assistierten Suizid ab.
Auch die Bundestagsabgeordneten hatten im Frühjahr vergangenen Jahres ausführlich und ebenfalls ohne Fraktionszwang über das Thema diskutiert. Grundlage der aktuellen Orientierungsdebatte waren deshalb hauptsächlich drei bereits in der vergangenen Legislaturperiode vorgelegte fraktionsübergreifende Entwürfe zur Neuregelung der Sterbehilfe, die jetzt wieder in das neu besetzte Parlament eingebracht werden müssen. Noch vor der Sommerpause sollen sie in erster Lesung beraten werden.
Dabei handelt es sich erstens um einen interfraktionellen Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung einer Gruppe um Lars Castellucci (SPD), den bereits mehr als 80 Abgeordnete unterstützen. Er respektiere den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zur Wahrung der Autonomie ganz ausdrücklich, sagte Castellucci jetzt im Bundestag. Er respektiere auch eine freiwillig getroffene Entscheidung, sich das Leben zu nehmen, und den Wunsch, dafür die Hilfe anderer in Anspruch zu nehmen. Aber daraus dürfe kein Modell gemacht werden, betonte er.
Thomas Rachel (CDU) mahnte, dass es nicht gesellschaftliche Normalität werden dürfe, sich das Leben zu nehmen oder anderen dazu zu verhelfen. „Jede Form der Kommerzialisierung der Suizidbeihilfe und der Werbung dafür muss ausgeschlossen werden“, sagte er. Zudem bleibe Suizidbeihilfe eine Gewissensentscheidung, zu der niemand verpflichtet werden könne. „Ziele müssen Fürsorge und Leidensminderung sein. Wir brauchen ferner niedrigschwellige Angebote zur Suizidprävention.“
Schutzkonzept erforderlich
Konkret plädiert die Abgeordnetengruppe mit ihrem Entwurf dafür, die auf Wiederholung angelegte (geschäftsmäßige) Suizidassistenz im Strafrecht zu verbieten. Er halte diese Verankerung zum Schutz der Betroffenen für notwendig, erklärte Ansgar Heveling (CDU). „Bei der Anwendung des Strafrechts geht es nicht um Bevormundung, sondern darum, dass die Schutzmechanismen tatsächlich umgesetzt werden“, ergänzte Benjamin Strasser (FDP).
Um die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Selbstbestimmung zu gewährleisten, soll es jedoch gleichzeitig innerhalb eines Schutzkonzepts ermöglicht werden, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Dazu sollen sich die Suizidwilligen in einem Abstand von drei Monaten zweimal von einer Fachärztin oder einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie untersuchen lassen und sich darüber hinaus einer ergebnisoffenen Beratung unterziehen. Häufig seien Suizidgedanken nicht Wünsche nach dem Tod, sondern nach einer Pause von einer bestimmten, als unerträglich empfundenen Lebenssituation, sagte die Psychiaterin Kirsten Kappert-Gonther (Grüne). „Suizidalität ist häufig, wir müssen diese Gedanken entstigmatisieren.“ An erster Stelle müsse dabei die Prävention von Suiziden stehen.
Eine völlig andere Position nimmt eine interfraktionelle Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP) ein. Sie strebt ein Suizidhilfegesetz an, mit dem das Recht auf einen selbstbestimmten Tod legislativ abgesichert werden soll. Ihr Antrag sieht jedoch explizit eine Regelung außerhalb des Strafrechtes vor. Dies sei der falsche Weg Suizide zu verhindern, sagte Helge Lindh (SPD). „Einen gegen die Autonomie gerichteten Lebensschutz darf es nicht geben“, so Helling-Plahr.
Nachweis der Freiwilligkeit
Voraussetzung für eine Suizidbeihilfe ist jedoch auch nach diesem Entwurf, dass die Entscheidung, aus dem Leben zu scheiden, frei und eigenverantwortlich getroffen wird. Dazu müssen die Betroffenen nachweisen, dass sie sich in einer staatlich anerkannten Beratungsstelle, die es bundesweit flächendeckend geben soll, umfassend informiert haben. Ärzten und Ärztinnen soll es frühestens zehn Tage nach einer solchen Beratung erlaubt sein, Medikamente zur Selbsttötung zu verschreiben. Klargestellt werden soll auch, dass Ärzte nicht zur Hilfe bei der Selbsttötung verpflichtet werden können. Die Anforderungen an ihre Qualifikation und die Vergütung sollen in einer Rechtsverordnung geregelt werden.
Renate Künast (Grüne) betonte, dass das Bundesverfassungsgericht das Recht auf selbstbestimmtes Sterben festgestellt habe, aber auch, dass der Gesetzgeber Sterbehilfe regulieren könne. „Davor dürfen wir uns nicht drücken“, erklärte sie und verwies auf ihren Vorschlag, den sie mit der Grünen-Abgeordneten Katja Keul vorgelegt hatte. Er soll Suizidwilligen im Rahmen eines Schutzkonzepts den Zugang zu tödlich wirkenden Betäubungsmitteln sichern, differenziert aber danach, ob die Betroffenen ihren Tod wegen einer schweren Krankheit anstreben oder aus anderen Gründen. Ärzte sollen nur schwer kranken Menschen ein tödliches Mittel verschreiben können. Gesunde Sterbewillige sollen tödliche Substanzen bei einer zuständigen Landesstelle beantragen müssen.
Noch vor der Sommerpause sollen die drei Gesetzentwürfe in erster Lesung beraten werden. Im Herbst könnte das Parlament dann eine Entscheidung treffen.
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Drei Regelungsvorschläge
- Ein von Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), Stephan Pilsinger (CSU), Benjamin Strasser (FDP) und Kathrin Vogler (Linke) initiierter Gesetzentwurf sieht vor, dass die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ grundsätzlich wieder strafbar sein soll. Ausnahmen sollen möglich sein, wenn der suizidwillige Mensch „volljährig und einsichtsfähig“ ist, mindestens zweimal von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie untersucht wurde, mindestens ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch absolviert hat und Bedenkzeiten vergangen sind. Die Gruppe möchte zudem einen neuen § 217 a Strafgesetzbuch gegen die „Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung“ etablieren und regt auch die Verabschiedung eines Suizidpräventionsgesetzes an.
- Eine Gruppe um die FDP-Abgeordneten Katrin Helling-Plahr und Otto Fricke, Petra Sitte (Linke) und Helge Lindh (SPD) strebt dagegen eine Regelung außerhalb des Strafrechts an, mit der das Recht auf einen selbstbestimmten Tod legislativ abgesichert werden soll. Konkret ist der Aufbau eines Netzes von staatlich anerkannten Beratungsstellen geplant, die Sterbewillige ergebnisoffen aufklären. Ärztinnen und Ärzten soll es frühestens zehn Tage nach einer solchen Beratung erlaubt sein, Medikamente zur Selbsttötung zu verschreiben.
- Eine liberale Regelung strebt eine Gruppe um die Grünen-Politikerinnen Renate Künast und Katja Keul an. Ihrem Vorschlag zufolge sollen Ärztinnen und Ärzte ein Medikament für den Suizid nur verschreiben können, wenn sich Sterbewillige in einer medizinischen Notlage befinden und es sich um einen absehbar nicht mehr veränderlichen Sterbewunsch handelt. Andere Suizidwillige sollen sich an Behörden wenden müssen.