MEDIZINREPORT
Elektive operative Eingriffe: Wann Kinder nach COVID-19 oder Impfung wieder operieren
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Viele Kinder und Jugendliche haben sich mit der Omikron-Variante von SARS-CoV-2 infiziert oder sind an COVID-19 erkrankt. Ein Expertengremium ging nun der Frage nach, wann elektive Eingriffe beziehungsweise Narkosen nach Infektion oder Impfung wieder durchgeführt werden können.
Die Fachverbände aus Chirurgie, Anästhesie und Intensivmedizin in Deutschland haben im Mai 2021 Empfehlungen zur Terminierung elektiver operativer Eingriffe nach SARS-CoV-2-Infektion oder COVID-19-Impfung veröffentlicht (1). Sie beinhalten folgende Kernempfehlungen, die primär für erwachsene Patientinnen und Patienten gelten und für Kinder und Jugendliche nicht weiter spezifiziert wurden:
- Ein elektiver Eingriff sollte, wenn möglich, frühestens 7 Wochen nach Symptombeginn einer stattgehabten SARS-CoV-2-Infektion und ohne fortbestehende Symptomatik erfolgen.
- Zwischen Impfung und nicht rein elektiven Operationen sollte ein Intervall von mindestens 1 Woche eingehalten werden, unter anderem um eventuell auftretende Symptome wie Fieber oder Schüttelfrost korrekt als Folge der Impfung und nicht einer möglichen Komplikation der Operation zuordnen zu können. Zudem sollte die entsprechende kompetente Immunantwort nach Impfung eingetreten sein. Vor diesem Hintergrund ist ein Intervall von mindestens 2 Wochen nach erfolgter vollständiger Immunisierung anzustreben.
Angesichts der aktuellen Situation wurden diese Empfehlungen für Erwachsene aktualisiert (2). Damit ist es auch notwendig, Empfehlungen zur Terminierung von Narkosen für elektive Eingriffe nach SARS-CoV-2-Infektion oder COVID-19-Impfung bei Kindern und Jugendlichen zu formulieren.
Besonderheiten bei Kindern
In Anbetracht der veränderten Pandemielage, der besonders stark betroffenen Altersgruppen der Kinder und Jugendlichen sowie der bei ihnen größtenteils asymptomatischen oder milden Krankheitsverläufe seit der Omikron-Welle können die Empfehlungen für Erwachsene nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung modifiziert werden (3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12). Zu berücksichtigen sind dabei:
- aktueller Gesundheitszustand des Kindes
- Komorbiditäten
- Dringlichkeit des Eingriffs, Umfang des Eingriffs
- Impfstatus des Kindes
- Verlauf/Symptomatik der vorherigen SARS-CoV-2-Infektion
Nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion kann es bei Kindern ähnlich wie bei anderen viralen Atemwegsinfektionen zu einer temporären bronchialen Hyperreagibilität (BHR) kommen. Folgende Symptome sollen daher bei der präoperativen Evaluation sorgfältig abgefragt werden: eingeschränkte Belastbarkeit, Husten, Atemnot oder „Wheezing“ (röchelnde Atemgeräusche). Besteht der Verdacht auf eine BHR, soll eine Pädiaterin/ein Pädiater die weitere Abklärung vornehmen, die gegebenenfalls eine Lungenfunktionsdiagnostik einschließt.
Abhängig vom Infektionsverlauf
Als Anhaltswerte für die Terminierung elektiver operativer Eingriffe bei Kindern nach SARS-CoV-2-Infektion oder Symptombeginn beziehungsweise positivem Polymeraskettenreaktion-(PCR-)Test können gelten (Tabelle):
- 2 Wochen bei asymptomatischen Kindern > 1 Jahr ohne Begleiterkrankungen (Klassifikation nach American Society of Anesthesiologists (ASA) I) oder bei vollständiger Erholung von leichten, nichtrespiratorischen Symptomen
- 4 Wochen bei Kindern < 1 Jahr sowie bei Kindern mit respiratorischen Symptomen, Kindern mit Begleiterkrankungen (ASA ≥ II) ohne stationäre Behandlung
- 8 Wochen bei symptomatischen Kindern mit stationärer Behandlung und relevanten Grunderkrankungen, insbesondere Diabetes mellitus, Immunsuppression
- 12 Wochen bei Kindern mit intensivmedizinischer Behandlung aufgrund einer SARS-CoV-2-Infektion
Ein abgelaufenes PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome) stellt nach aktuellem Kenntnisstand keine Kontraindikation für eine Operation/Anästhesie, sondern eine besonders zu berücksichtigende Vorerkrankung dar.
Alle Zeitangaben dienen als Anhaltswerte, die im Sinne einer individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung zwischen operativ-interventioneller Abteilung und Kinderanästhesie abgestimmt werden sollen. Bei der Entscheidung sind vor allem Faktoren wie der Umfang des Eingriffs, die Komorbidität des Patienten und der Impfstatus des Patienten zu berücksichtigen. Grundvoraussetzung für die Freigabe ist immer ein negativer PCR-Test.
Nach COVID-19-Impfung können folgende Anhaltswerte für die Terminierung elektiver operativer Eingriffe bei Kindern gelten:
- 5 Tage als Minimalintervall: Impfnebenwirkungen bestehen in der Regel weniger als 3 Tage
- 2 Wochen als optimales Intervall nach Zweitimpfung: Immunantwort 1 Woche nach Erstimpfung vorhanden, optimale Wirkung nach 1–2 Wochen
Grundsätzlich sollen die Empfehlungen zur angepassten anästhesiologischen Versorgung von Kindern mit Atemwegsinfekten berücksichtigt werden (Grafik).
Die Fachgesellschaften werden die Datenlage weiter sichten und gegebenenfalls kurzfristig Anpassungen der Empfehlungen vornehmen.
Dr. med. Karin Becke-Jakob
Wissenschaftlicher Arbeitskreis Kinderanästhesie (WAKKA) der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA)
Prof. Dr. med. Christoph Bernhard Eich,
Dr. med. Katharina Röher
Wissenschaftlicher Arbeitskreis Kinderanästhesie (WAKKA) der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI)
Prof. Dr. med. Jörg Dötsch
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)
Dr. med. Oliver Heinzel,
PD Dr. med. Florian Hoffmann
Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI)
Prof. Dr. med. Michael Kabesch
Netzwerk Post COVID Kids BAVARIA
Prof. Dr. med. Udo Rolle
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH), Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH)
Interessenkonflikte: Alle Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Der Artikel unterliegt keinem Peer-Review.
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2122
oder über QR-Code.
1. | Empfehlungen von DGCH/BDC und DGAI/BDA zur Terminierung elektiver operativer Eingriffe nach Covid-19 Infektion oder Impfung (12.05.2021). www.dgai.de (Last accessed on 16 May 2022). |
2. | DGAI/BDA. Update zu „Empfehlungen zur Terminierung elektiver operativer Eingriffe nach COVID-19 Infektion oder Impfung bei Erwachsenen“. Anästh Intensivmed 2022; 63: Becke-Jakob-Erw_Online-First. |
3. | ASA and APSF Joint Statement on Elective Surgery and Anesthesia for Patients after COVID-19 Infection. Updated February 22, 2022. https://www.asahq.org/about-asa/newsroom/news-releases/2022/02/asa-and-apsf-joint-statement-on-elective-surgery-procedures-and-anesthesia-for-patients-after-covid-19-infection (Last accessed on 16 May 2022). |
4. | El-Boghdadly K, Cook TM, Goodacre T, et al.: Timing of elective surgery and risk assessment after SARS-CoV-2 infection: an update: A multidisciplinary consensus statement on behalf of the Association of Anaesthetists, Centre for Perioperative Care, Federation of Surgical Specialty Associations, Royal College of Anaesthetists, Royal College of Surgeons of England. Anaesthesia 2022; 77: 580–7 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
5. | Royal College of Paediatrics and Child Health. Position on the timing of surgery post Covid-19 infection in children. 2022 March 07; published online. https://www.rcpch.ac.uk/news-events/news/statement-regarding-timing-surgery-post-covid-19-infection-children (Last accessed on 16 May 2022). |
6. | Royal College of Paediatrics and Child Health. National guidance for the recovery of elective surgery in children (last modified 26 Nov 2021). https://www.rcpch.ac.uk/resources/national-guidance-recovery-elective-surgery-children (Last accessed on 16 May 2022). |
7. | Australian and New Zealand College of Anaesthetists (ANZCA) Guideline on surgical patient safety for SARS-CoV-2 infection and vaccination P68 (A). Updated 17 May 2022. www.anzca_pg68a_living_guidance_surgical_patient_safet.pdf (Last accessed on 16 May 2022). |
8. | Kovoor JG, Scott NA, Tivey DR, et al.: Proposed delay for safe surgery after COVID-19. ANZ J Surg 2021; 91: 495–506 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
9. | Lieberman N, Racine A, Nair S, et al.: Should asymptomatic patients testing positive for SARS-CoV-2 wait for elective surgical procedures? Br J Anaesth 2022; 128 (5): e311-4 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
10. | Glasbey JC, Dobbs TD, Abbott TEF: Can patients with asymptomatic SARS-CoV-2 infection safely undergo elective surgery? Br J Anaesth 2022; 128 (6): 909–11 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
11. | Thyagarajan R, Mondy K: Timing of surgery after recovery from coronavirus disease 2019 (COVID-19) infection. Infect Control Hosp Epidemiol 2021; 42: 790–1 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
12. | Rohatgi N, Smilowitz NR, Reejhsinghani R: Perioperative Cardiovascular Considerations Prior to Elective Noncardiac Surgery in Patients With a History of COVID-19. JAMA Surg 2022; 157: 187–8 CrossRef MEDLINE |
13. | Regli A, Becke K, von Ungern-Sternberg BS: An update on the perioperative management of children with upper respiratory tract infections. Curr Opin Anaesthesiol 2017; 30: 362–7 CrossRef MEDLINE |