MEDIZIN: Kurzmitteilung
Apparative Diagnostik bei Post-COVID
Information und Nutzen für therapierelevante Befunde
Ancillary diagnostic testing in post-COVID patients: information and clinical utility as to findings with therapeutic implications
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Nach einer akuten SARS-CoV-2-Infektion berichtet ein signifikanter Anteil der Patientinnen und Patienten über Symptome, die länger als zwölf Wochen bestehen. Die genauen Inzidenzen sind sehr heterogen und teilweise, auch in populationsbasierten Ansätzen, sehr hoch (1, 2, 3). Dabei ist eine subjektiv empfundene Dyspnoe ein häufiges Symptom (1). Daten des Zentralinstituts der Kassenärztlichen Vereinigungen zeigen, dass sich 18,6 % der Patientinnen und Patienten mit Post-COVID-Syndrom in fachärztlicher Behandlung befinden.
Die aktuelle deutsche S1-Leitlinie zu Post-COVID empfiehlt bei persistierender Dyspnoe eine pulmonale Diagnostik in Ruhe und unter Belastung sowie eine kardiale Diagnostik (1). Zurzeit gibt es jedoch keine Evidenz, dass diese Untersuchungen tatsächlich regelhaft therapeutische Konsequenzen ergeben. Es stellt sich somit die Frage, inwiefern bei Patientinnen und Patienten mit anhaltender Dyspnoe nach einer SARS-CoV-2-Infektion eine apparative Diagnostik notwendig ist. Vor diesem Hintergrund wurde die diagnostische Wertigkeit der Computertomografie (CT) des Thorax, der Echokardiografie und der Lungenfunktionsuntersuchung bei Patientinnen und Patienten, die sich in einer Post-COVID-Ambulanz vorgestellt haben, überprüft.
Methode
Die Daten der in der Post-COVID-Ambulanz des Universitätsklinikums Jena zwischen August 2020 und Dezember 2021 behandelten Patientinnen und Patienten wurden retrospektiv ausgewertet. Die Analysen erfolgten deskriptiv. Die Einteilung des Schweregrades der initialen Infektion erfolgte anhand des WHO-Stufenschemas (4).
Ergebnisse
Im Erhebungszeitraum stellten sich insgesamt 614 Patientinnen und Patienten konsekutiv in unserer Post-COVID-Ambulanz vor, davon wiesen 559 zwölf oder mehr Wochen nach Infektion mindestens ein Symptom auf. Die Patientinnen und Patienten waren in der Mehrzahl weiblich (360/559, 64,4 %), hatten eine durch Polymerasekettenreaktion (PCR) gesicherte SARS-CoV-2-Infektion, und die Diagnose der Infektion lag im Median 199 Tage (84–487) zurück. In der Mehrzahl der Fälle erfolgte die Therapie der akuten Infektion ambulant (WHO-Stadium 0–2 460/559, 82,3 %) (Tabelle 1). Dabei beklagten 315 Patientinnen und Patienten (56,3 %) eine persistierende Dyspnoe. Im Rahmen einer diagnostischen Abklärung erhielten 305 (54,6 %) Patientinnen und Patienten eine Lungenfunktionsuntersuchung, 179 (32,0 %) eine Echokardiografie und 135 (24,2 %) eine Computertomografie (CT) des Thorax (Tabelle 2). Therapierelevante Befunde ergaben sich nur in einer kleinen Anzahl der Patientinnen und Patienten: Bei 37 Lungenfunktionsuntersuchungen (12,1 %) wurde ein pathologischer Befund erhoben, wobei 27 der auffälligen Befunde auf Abweichungen von den Normwerten der Diffusionskapazität zurückzuführen waren. Selbst bei ausschließlicher Betrachtung von Patientinnen und Patienten mit Dyspnoe ist die diagnostische Ausbeute nur geringfügig höher (34/203, 16,7 %).
In der CT-Diagnostik lag die Rate an pathologischen Befunden, definiert als persistierende Infiltrate, Milchglastrübungen oder Fibrosierungen, bei 26 Patienten (19,3 % aller CT-Untersuchungen) nicht signifikant höher, wobei sich hier bei Patientinnen und Patienten mit Dyspnoe ein vergleichbarer Wert zeigte (20 Befunde, 21,5 %). Weitere neue pathologische Befunde sind nicht aufgetreten. 18 Patientinnen und Patienten (13,3 %) wiesen fortbestehende Infiltrate auf, die in 16 Fällen (11,9 %) als Residuen gewertet wurden. Bei vier Patientinnen und Patienten zeigten sich fibrotische Veränderungen, bei 3 Patientinnen und Patienten (2,2 %) narbige Residuen und bei einem Patienten (0,7 %) ein nicht vorbekanntes Lungenemphysem.
Es fand sich kein Zusammenhang zwischen der Art der CT-Befunde und dem Vorhandensein von Dyspnoe (p = 1,000) beziehungsweise dem Schweregrad der Infektion (p = 0,714) oder der Zeit nach Infektion (p = 0,892). Bei keinem der Patienten wurde direkt aus dem CT-Befund eine therapeutische Konsequenz abgeleitet.
Auch in der Echokardiografie gab es auffällige Befunde (definiert als neue Reduktion der systolischen linksventrikulären Funktion oder neu aufgetretene diastolische Funktionsstörung) lediglich bei drei Patienten (1,7 % aller Echokardiografien). Darunter waren zwei Fälle (1,1 % aller Echokardiografien) mit neuer Reduktion der systolischen linksventrikulären Funktion und einer (0,6 % aller Echokardiografien) mit neu aufgetretener diastolischer Funktionsstörung. Bei Wiedervorstellung (im Median 132 Tage nach Erstvorstellung) gaben immer noch 261 von 559 Patientinnen und Patienten (46,7 %) eine Dyspnoe an.
Diskussion
Unsere Daten zeigen, dass der therapeutische Mehrwert einer apparativen Diagnostik für Patientinnen und Patienten mit Post-COVID-Beschwerden gering ist und sich bei keinem Patienten aus Echo- oder CT-Befund eine therapeutische Konsequenz ergab. Die Wertigkeit einer apparativen Diagnostik liegt somit im Ausschluss anderer Erkrankungen. Diese Beobachtung unterstützt die Empfehlung, dass bei Patientinnen und Patienten ohne Alarmsymptome auf eine apparative Diagnostik verzichtet werden kann und stattdessen eine klinische Verlaufskontrolle gerechtfertigt erscheint, wie auch in Kapitel 6.1 der deutschen Leitlinie empfohlen (1).
Es ist aber auch zu betonen, dass trotz fehlender pathologischer Befunde in der etablierten Diagnostik relevante medizinische Symptome und somit auch subjektiv empfundene Probleme bestehen können. Hier kommt den Hausärztinnen und Hausärzten eine besondere Rolle zu, da diese die Patientinnen und Patienten am besten und längsten kennen sollten.
Vor dem Hintergrund der aktuell hohen Anteile an Post-COVID-Fällen (3) ist auch die Abgrenzung zu Differenzialdiagnosen wie zum Beispiel einer Somatisierungsstörung wichtig. Der in den britischen NICE-Guidelines (5) propagierte holistische Ansatz mit deutlicher Begrenzung der Indikationen für eine apparative Diagnostik unterstützt diese Sichtweise. Möglicherweise führt ein besseres Verständnis der Pathophysiologie des Post-COVID-Syndroms zur Etablierung neuer diagnostischer Verfahren, die besser geeignet sind, die Beschwerden der Patientinnen und Patienten zu objektivieren. Ein potenzielles Verfahren stellt zum Beispiel die Thorax-Sonografie dar. Ohne Zweifel ist für alle Verfahren der Nutzen für Betroffene anhand definierter, klinisch und patientenrelevanter Endpunkte zu belegen, bevor eine Empfehlung zu ihrem Einsatz ausgesprochen werden kann.
Philipp A. Reuken, Marcus Franz, Benjamin Giszas, Jutta Bleidorn, Tobias Rachow, Andreas Stallmach
Interessenkonflikt
Die Autorin und die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 27.03.2022, revidierte Fassung angenommen: 27.04.2022
Zitierweise
Reuken PA, Franz M, Giszas B, Bleidorn J, Rachow T, Stallmach A: Ancillary diagnostic testing in post-COVID patients: information and clinical utility as to findings with therapeutic implications. Dtsch Arztebl Int 2022; 119 (online first). DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0216
Dieser Beitrag erschien online am 01.06.2022 (online first) unter www.aerzteblatt.de
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
Klinik für Innere Medizin I (Kardiologie, Angiologie), Universitätsklinikum Jena (Franz)
Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Jena (Bleidorn)
Klinik für Innere Medizin II, Universitätsklinikum Jena (Rachow)
1. | Koczulla AR, Ankermann T, Behrends U, et al.: [S1 Guideline Post-COVID/Long-COVID]. Pneumol Stuttg Ger 2021; 75: 869–900 CrossRef MEDLINE |
2. | Soriano JB, Murthy S, Marshall JC, Relan P, Diaz JV, WHO Clinical Case Definition Working Group on Post-COVID-19 Condition: A clinical case definition of post-COVID-19 condition by a Delphi consensus. Lancet Infect Dis 2022; 22: e102–7 CrossRef |
3. | Förster C, Colombo MG, Wetzel AJ, Martus P, Joos S: Persisting symptoms after COVID-19—prevalence and risk factors in a population-based cohort. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 167–74 VOLLTEXT |
4. | WHO Working Group on the Clinical Characterisation and Management of COVID-19 infection: A minimal common outcome measure set for COVID-19 clinical research. Lancet Infect Dis 2020; 20: e192–7 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
5. | NICE: COVID-19 rapid guideline: managing the long-term effects of COVID-19. NICE Guideline No 188. London: National Institute for Health and Care Excellence (UK); 2020. www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK567261/ (last accessed on 19 May 2022). |
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Infection, 202310.1007/s15010-023-02062-3