

Nach einem Deutschen Ärztetag hört man schon mal: „Spektakulär war er nicht.“ Aber muss er es überhaupt? Schaut man sich den diesjährigen 126. Deutschen Ärztetag in Bremen an, so kann man sagen: Nein! Sachorientierte Politik, bei der in fairen Debatten Themen diskutiert werden, ohne in Narrative, Polemik und im schlimmsten Fall persönliche Angriffe zu verfallen, ist zwar nicht spektakulär, aber produktiv.
Nicht nur einmal hörte man in Bremen, man sei zwar anderer Meinung als der Vorredner oder die Vorrednerin, dennoch hätte der Redebeitrag zum Nachdenken angeregt. Ein positiver Kontrast zu den vergangenen Monaten, in denen viele – insbesondere zur Coronapandemie – nur noch in Kategorien von schwarz und weiß argumentierten. Ganz abgesehen von den hasserfüllten Auseinandersetzungen in den sozialen Medien und den Falschnachrichten, die dort verbreitet werden.
Es sind vor allem die vermeintlich einfachen Aussagen, die man sich immer wieder in Erinnerung rufen sollte. „Bei den anstehenden Reformen im Gesundheitswesen muss immer der Mensch der Maßstab des politischen Handelns sein“, hieß es im Leitantrag des Vorstandes der Bundesärztekammer. Was nach Binsenweisheit klingt, ist allerdings oft genug aus dem Blick geraten. Zum Beispiel, wenn Medizin und wirtschaftliche Interessen aufeinandertreffen. Da wird nach Renditen gestrebt, der Maßstab sind dann eben nicht mehr die Ärztinnen und Ärzte oder der Patient. Gerade diesen muss die Politik zuhören.
Das heißt auch, dass die Ärzteschaft in der Gesundheitspolitik noch mehr als bislang eine aktive Rolle einnehmen muss. Dass sie dies will, machte das Ärzteparlament in Bremen deutlich. Als Erstes beim Thema „Ärztlicher Versorgungsbedarf in einer Gesellschaft des langen Lebens“. Ein Personalbemessungssystem von Ärzten für Ärzte zeigt auf, wo der Weg hingehen muss. Anstatt sich immer wieder von der Politik oder Akteuren aus der Wirtschaft personelle Rahmenbedingungen vorgeben zu lassen, handelt die Ärzteschaft (Seite 1012).
Richtig gehandelt hat der Deutsche Ärztetag auch, als er die Bewertung der Folgen der Pandemiemaßnahmen auf Kinder und Jugendliche zum Schwerpunktthema des diesjährigen Ärztetages machte. Schaut man sich die Diskussionen der vergangenen Wochen an, war es genau der richtige Zeitpunkt, um dieses Thema in seiner Vielfalt und mit sehr guten Vorträgen so umfassend zu beleuchten. Und wieder war es sachorientiert, keine Suche nach Schuldigen oder Vorwürfe um Maskenpflicht und Schulschließungen. Dies war auch ein Verdienst der Referenten. Der Mensch, sprich die Jugend, war der Maßstab und ihr wurde eine Stimme gegeben (Seite 999).
Dass auch bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen der Mensch Maßstab sein sollte, ist eigentlich klar. Mit den aktuellen, oftmals schlecht vorbereiteten Anwendungen belastet sie aber die Ärzteschaft. So schafft sie keinen Nutzen und verbessert auch nicht die medizinische Versorgung. Daher gilt auch hier: Die Digitalisierung muss von denjenigen gemacht werden, die behandeln (Seite 1018).
Oder wie der Berliner Ärztekammerpräsident, PD Dr. med. Peter Bobbert, sagte: „Wir müssen vorne im Zug sitzen.“ Das gilt für viele Bereiche des Gesundheitswesens. Dann ist auch der Mensch Maßstab im Gesundheitswesen.
Michael Schmedt
Chefredakteur