ArchivDeutsches Ärzteblatt24/2022Coronapolitik: Stöckchen springen

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Coronapolitik: Stöckchen springen

Schmedt, Michael

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Michael Schmedt, Chefredakteur
Michael Schmedt, Chefredakteur

Die Politik streitet mal wieder über die Coronastrategie. Genauer gesagt, Grüne und FDP liefern sich ein Scharmützel über die notwendigen Maßnahmen für eine neue Coronawelle im Herbst. Bundesjustizminister Marco Buschmann und Parteichef Christian Lindner wollen die Stellungnahme des Corona-Sachverständigen­ausschusses abwarten, der bis zum 30. Juni seine Bewertung der bisherigen Pandemiemaßnahmen abgeben will. Ohne wissenschaftliche Grundlage, betonten die beiden FDP-Politiker, könne man keine gute Entscheidung treffen. Grünen-Parteichef Omid Nouripour und Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt forderten dagegen eine rasche Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Je früher man auf den Herbst vorbereitet sei, desto besser. Länder und Kommunen benötigten ausreichend Vorlaufzeit, so Nouripour.

Der stellvertretende Parteichef der FDP, Wolfgang Kubicki, riet daraufhin den Grünen, „zu einer faktenbasierten Politik zurückzukehren, statt weiter eine angstbasierte Politik zu betreiben“. Das wiederum ärgerte FDP-Urgestein Gerhart Baum. „Kaum ist die FDP in zwei Bundesländern desaströs gescheitert, auch wegen ihrer Pandemiepolitik, kündigt Wolfgang Kubicki deren Fortsetzung im Herbst an“, sagte er in einem Interview mit dem RND. Der Streit zwischen den Koalitionspartnern war eine willkommene politische Einladung für die Union. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) warf so der Ampelkoalition vor, mit ihren Differenzen wertvolle Zeit zu vergeuden.

Die Politik bleibt ihrer Linie treu, weniger um die Sache als entlang der politischen Ausrichtung zu diskutieren. Dennoch darf man gespannt sein, zu welchem Ergebnis der Sachverständigenausschuss Ende Juni kommen wird. Doch auch hier gab es Differenzen, was nicht wundert, ist das Gremium doch parteipolitisch besetzt. Eine Personalie sorgte im April für Aufmerksamkeit: Prof. Dr. med. Christian Drosten verließ das Gremium, weil seiner Meinung nach Ausstattung und Zusammensetzung des Ausschusses nicht ausreichten, um eine hochwertige Evaluierung zu gewährleisten.

Sein Nachfolger – interessanterweise von der Union besetzt – Klaus Stöhr gehört im Gegensatz zu Drosten eher nicht zum „Team Vorsicht“. Was den Virologen von seinem Vorgänger unterscheidet, machte er in einem Interview mit Servus TV deutlich. Es sei eigentlich nicht richtig zu sagen, es sterben gegenwärtig noch 230 bis 250 Menschen, wir müssen noch Maßnahmen ergreifen. Diese 230 bis 250 Menschen würden sterben, egal ob wir noch etwas zusätzlich machen könnten, sagte er.

Sachlich und unaufgeregt war dann die Pressekonferenz eines weiteren Gremiums, das auch personell anders besetzt ist, des sogenannten Expertenrates der Bundesregierung. Dieser stellte vergangene Woche seine Einschätzung der notwendigen Pandemiemaßnahmen für den Herbst und Winter vor. Wohlwissend, dass man noch gar nicht sagen kann, in welche Richtung es gehen wird, wurden verschiedene Szenarien und die Handlungsoptionen erarbeitet. Auch legte der Rat den Finger in die Wunde der mangelnden Datenlage (Seite 1069).

Die Resonanz war überwiegend positiv. Es ging halt um die Sache. Nach zwei Jahren Pandemie und endlosen Streitereien merkt man, dass sowohl Politiker als auch Wissenschaftler nicht über jedes Stöckchen springen sollten, das die Medien ihnen hinhalten. Dann gibt es weniger Chaos und bessere Kommunikation.

Michael Schmedt
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