ArchivDeutsches Ärzteblatt24/2022Nichtinvasive Pränataltests: Fragwürdige Parameterauswahl

THEMEN DER ZEIT

Nichtinvasive Pränataltests: Fragwürdige Parameterauswahl

Hessel, Laura; Henn, Wolfram

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Angesichts der Übernahme der pränatalen Bluttests in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung und der stetig zunehmenden Testangebote ist kritisch zu prüfen, ob die Vorgaben des Gendiagnostikgesetzes umgesetzt werden. Eine Recherche zeigt Lücken auf.

Die Basistestoption der meisten Anbieter von pränatalen Bluttests beinhaltet die Trisomien 13, 18 und 21. Einige Anbieter informieren auf Wunsch auch nur über eine mögliche Trisomie 21. Die Option, diese auszuklammern, gibt es jedoch nicht. Foto: James Thew/stock.adobe.com
Die Basistestoption der meisten Anbieter von pränatalen Bluttests beinhaltet die Trisomien 13, 18 und 21. Einige Anbieter informieren auf Wunsch auch nur über eine mögliche Trisomie 21. Die Option, diese auszuklammern, gibt es jedoch nicht. Foto: James Thew/stock.adobe.com

Der nicht-invasive pränatale Test (NIPT) ist mittlerweile als Option in der allgemeinen Schwangerenversorgung angekommen. Rechtlich handelt es sich dabei um vorgeburtliche genetische Untersuchungen, die dem Gendiagnostikgesetz und den darin bestimmten Zielen und Vorgaben unterliegen (Kasten). Doch weder in Fachkreisen noch in der allgemeinen Öffentlichkeit werden diese Tests als ethisch unproblematisch wahrgenommen. Das hat die kontroverse Diskussion der letzten Jahre deutlich gezeigt.

Zentrales ethisches Problem und zugleich auch arztrechtliches Unterscheidungsmerkmal des NIPT zur allgemein empfohlenen Schwangerschaftsvorsorge ist die Tatsache, dass ein auffälliger Befund nicht zu einer für Mutter und Kind gleichermaßen hilfreichen Therapie hinleiten, sondern in erster Linie als Grundlage für die Indikationsstellung zum Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation dienen kann. Als rechtliche Erfordernisse für eine medizinische Indikation nennt der Text von § 218 a Abs. 2 des Strafgesetzbuches aus guten Gründen keine objektiven Parameter oder gar eine Auflistung.

Unterschiede der Testparameter

Schlüsselbegriff für die ärztliche Indikationsstellung ist die von der persönlichen Einstellung der Schwangeren geprägte Zumutbarkeit der Weiterführung der Schwangerschaft im Bewusstsein der zu erwartenden Beeinträchtigungen des Kindes. Zweifelsohne spielen dafür die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Fehlgeburt im weiteren Schwangerschaftsverlauf und die postnatale Lebenserwartung eine zentrale Rolle. Diese unterscheiden sich jedoch zwischen den angebotenen Testparametern des NIPT sehr deutlich.

Mit dem NIPT können mittlerweile eine Vielzahl an chromosomalen und monogenen Anomalien des Fetus erfasst werden. Bislang überwiegend angewendet und für die Kassenfinanzierung zugelassen sind Tests auf die drei häufigsten Trisomien 13, 18 und 21. Die fetalen Trisomien 13 und 18 sind prognostisch ungünstige Chromosomenanomalien, mit einem hohen Risiko für spontane Fehlgeburten und im Falle des Überlebens bis zur Geburt in der Regel nur sehr geringer Lebenserwartung. Die im Vordergrund der Wahrnehmung der meisten Schwangeren, wie auch der Öffentlichkeit stehende Trisomie 21 (Downsyndrom), hat hingegen mit einer Lebenserwartung von bis über 50 Jahren bei guter erreichbarer Lebensqualität des Kindes und späteren Erwachsenen eine weitaus bessere Prognose.

Es wird also deutlich, dass der vom NIPT als Suchtest ausgehende, aber abschließend erst durch eine invasive Pränataldiagnostik geführte Nachweis einer fetalen Trisomie 13 oder 18 für die Lebensperspektiven der Schwangeren und auch ihrer Familie fundamental andere Implikationen hat als der Nachweis einer Trisomie 21. Folglich müsste sich dieser maßgebliche Unterschied auch in einer Auswahlmöglichkeit zwischen den zu testenden chromosomalen Parametern widerspiegeln.

Dem ist aber momentan nicht so: Nach aktueller Recherche öffnet kein Einziger der Anbieter von NIPT in Deutschland die Möglichkeit, dass die Schwangere über die Ergebnisse bezüglich der Trisomien 13 und 18 informiert wird, über die der Trisomie 21 hingegen nicht.

Keine Auswahl ohne Trisomie 21

Falls also eine Schwangere die Fortführung der Schwangerschaft mit einem Kind mit Downsyndrom als zumutbar empfindet, kann sie dies nicht realisieren. Alle derzeitigen Testanbieter haben eine Art Stufenmodell mit einer „Basisoption“ und der Möglichkeit, erwünschte weitere Testparameter hinzuzufügen. Die Basistestoption der meisten Anbieter beinhaltet die Trisomien 13, 18 und 21, in einigen Fällen zusätzlich noch numerische Anomalien der Geschlechtschromosomen, und bei einem Anbieter nur die Trisomie 21. Somit gibt es NIPT-Angebote, die der Schwangeren in einer differenzierten Einwilligungserklärung per Ankreuzen ermöglichen, nur über das Downsyndrom und nicht über die Trisomien 13 und 18 informiert zu werden – umgekehrt jedoch nicht.

Wie ist dieser Zustand mit dem Grundrecht der Schwangeren auf informationelle Selbstbestimmung, konkret mit ihrem Recht auf Nichtwissen über bestimmte Eigenschaften eines erwarteten Kindes, vereinbar? Das Gendiagnostikgesetz (GenDG) definiert in § 9 Abs. 5 unmissverständlich das Recht der betroffenen Person auf Nichtwissen auch bezüglich Teilen des Untersuchungsergebnisses. Der Gesetzgeber schreibt mithin präzise vor, dass die zu untersuchende Person in der Einwilligungserklärung den Umfang der Untersuchung begrenzen können muss. Bei Mehrparameteruntersuchungen müsste somit eine Auswahl der Parameter möglich sein.

Doch dadurch, dass keiner der aktuellen Testanbieter auf seinem Anforderungsschein die Möglichkeit vorgibt, einen NIPT nur auf die Trisomien 13 oder 18 durchführen zu lassen, oder Raum für entsprechende Vermerke vorsieht, kommen Schwangere nicht umhin, einem Test zuzustimmen, der für einige den Umfang der gewünschten Untersuchung überschreitet.

Auf dieser Basis ist ein Schutz des Rechtes auf Nichtwissen nur durch das Zurückhalten von Teilergebnissen durch die behandelnden Frauenärztinnen und -ärzte möglich. Gerade im hochsensiblen Kontext der vorgeburtlichen Akzeptanz möglicher Behinderungen ist dieser Zustand ethisch inakzeptabel und von erheblicher praktischer Relevanz. Die Tatsache, dass im Rahmen aller derzeitigen NIPT-Angebote alternativlos auf Trisomie 21 gescreent wird, lässt die pränatale Suche nach dem Downsyndrom als medizinischen Standard oder schlimmstenfalls sogar soziale Norm erscheinen.

Anpassung der Formulare

Die Anbieter von NIPT sind daher aufgefordert, ihre diagnostischen Angebote und Formulare in einer Weise anzupassen, dass auf Wunsch der Schwangeren auch eine Untersuchung nur auf die Trisomien 13 und 18 ohne Einbeziehung der Trisomie 21 möglich wird. Ein mit dem Ankreuzen eines entsprechenden Feldes auf der Einwilligungserklärung dokumentierter „informed dissent“ der Schwangeren zum NIPT-Parameter „Trisomie 21“ würde für die durchführenden Labore Rechtssicherheit schaffen, für die Nichtmitteilung einer beim Fetus bestehenden Trisomie 21 auch keine Schadenersatzklage zu riskieren. Da die Labors ihre NIPT-Befunde regelhaft nicht direkt an die Schwangeren, sondern an deren Frauenärztinnen und -ärzte berichten, gäbe es unterschiedliche praktische Möglichkeiten, die Nichtmitteilung eines von der Schwangeren nicht erwünschten NIPT-Parameters sicherzustellen. Schon zur Vermeidung einer unbeabsichtigten Information der Schwangeren und auch zur emotionalen Entlastung der unmittelbar mit den Patientinnen kommunizierenden Ärztinnen und Ärzte empfiehlt es sich, die „Filterung“ der mitzuteilenden Befunde bereits im Einsendelabor vorzunehmen. Technisch ließe sich dies auf den Ebenen entweder der molekulargenetischen Datengenerierung im „Nassteil“ der Analyse, der bioinformatischen Auswertung oder der Formulierung des schriftlichen Befundberichtes bewerkstelligen. Allgemein kann dabei gelten: Die vor unerwünschter Weitergabe sichersten – und zudem auch für das technische und ärztliche Laborpersonal stressärmsten – Daten sind diejenigen, die erst gar nicht erzeugt werden.

Laura Hessel, Prof. Dr. med. Wolfram Henn

Vorgaben des Gendiagnostikgesetzes

Zentrales Element des Gendiagnostikgesetzes (GenDG) ist es, das Recht des einzelnen Menschen auf informationelle Selbstbestimmung zu schützen. Hierfür bedarf es zu jeder genetischen Untersuchung einer informierten Einwilligung, die deren Umfang definiert (§ 8 Abs. 1 GenDG). Die Einwilligung umfasst nach § 9 Abs. 5 GenDG ausdrücklich auch das Recht, „das Untersuchungsergebnisse oder Teile davon nicht zur Kenntnis zu nehmen“.

Das GenDG fordert zudem eine obligatorische genetische Beratung vor und nach der Untersuchung. Diese wird fast ausschließlich durch Fachärztinnen und Fachärzte für Frauenheilkunde mit Qualifikation zur fachgebundenen genetischen Beratung durchgeführt. Tatsache ist jedenfalls, dass der NIPT von vielen Schwangeren als Standardmaßnahme wahrgenommen und unhinterfragt durchgeführt wird.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote