ArchivDeutsches Ärzteblatt25/2022HIV-Präexpositionsprophylaxe: Die Nierenfunktion kann sich verschlechtern, vor allem bei zusätzlichen Risiken

MEDIZINREPORT: Studien im Fokus

HIV-Präexpositionsprophylaxe: Die Nierenfunktion kann sich verschlechtern, vor allem bei zusätzlichen Risiken

Warpakowski, Andrea

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Foto: picture alliance/BSIP – CAVALLINI JAME
Foto: picture alliance/BSIP – CAVALLINI JAME

Seit 2015 empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation, Personen mit HIV-Risiko eine einmal tägliche orale Präexpositionsprophylaxe (PrEP) mit Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) anzubieten. Allerdings sollte aufgrund von Hinweisen aus Studien die Nierenfunktion anhand der Kreatininwerte und der glomerulären Filtrationsrate (GFR) zu Beginn der PrEP und regelmäßig unter der PrEP kontrolliert werden.

Eine aktuelle Metaanalyse von 11 kontrollierten Studien umfasst die Daten von 3 523 Teilnehmern, die eine PrEP mit TDF alleine oder in Kombination mit Emtricitabin oder Lamivudin erhielten. Definiert wurde eine eingeschränkte Nierenfunktion in den meisten Studien als Grad ≥ 1 mit dem 1,1–1,3-Fachen des oberen Serumkreatinin-Normwerts, als Grad  ≥ 2 mit dem 1,3–1,8-Fachen des oberen Serumkreatinin-Normwerts oder als das 1,3–1,5-Fache des Serumkreatinin-Baselinewerts oder als Verringerung der Kreatininclearance < 90 ml/min oder um 10–30 % des Baselinewerts. Das Risiko für eine Einschränkung der Nierenfunktion unter der PrEP war für Grad ≥ 1 und für Grad ≥ 2 erhöht. Das Risiko für Grad ≥ 2 war jedoch nicht signifikant erhöht und diese Einschränkungen waren selten.

Eine weitere Analyse der Daten von gescreenten 18 676 Teilnehmern aus PrEP-Programmen und aus 2 kontrollierten Studien ergab verschiedene Risiken – je nach Alter und Kreatininclearance zu Baseline. In diesem Datenset hatten 0,42 % der Teilnehmer eine eingeschränkte geschätzte GFR von < 60 ml/min zu Baseline, vor allem mit zunehmendem Alter. Von 14 368 PrEP-Nutzern sank im Verlauf der PrEP die GFR auf < 60 ml/min, vor allem bei älteren Personen und bei einem Baselinewert von 60–89 ml/min, in erster Linie aber bei einem Wert von < 60 ml/min. Die Autoren empfehlen, das Nierenscreening auf ältere Patienten und auf Risikopersonen zu fokussieren und wegen der Kosten und potenziellen Barriere für eine PrEP die Nierenfunktion bei jungen PrEP-Benutzern mit normaler Nierenfunktion – wenn überhaupt – nur in größerem Abstand die Nierenfunktion zu prüfen.

Fazit: „Da auch bei jüngeren PrEP-Nutzern renale Risiken bestehen können, empfehlen die deutschen Leitlinien die regelmäßige Kontrolle der Nierenfunktionsparameter mit Kreatinin und GFR ergänzt um einen Urinstix mit Kontrolle auf Proteinurie und Glukosurie“, sagt Dr. med. Ansgar Rieke von der Immunologischen Ambulanz Koblenz. „Gerade Substanzkonsum und Chem-Sex sowie der unkontrollierte Einsatz von NSAR und eine Begleitinfektion mit sexuell übertragbaren Infektionen und Hepatitis können renale Ereignisse auslösen. TDF als Teil der PrEP kann dort zu tubulotoxischen Veränderungen im Sinne eines Fanconi-Syndroms mit Protein-urie und Glukosurie und zur Verminderung der GFR führen. Dies gilt es, rechtzeitig zu erkennen, damit die HIV-Prävention nicht zum akuten Nierenversagen führt. Die Häufigkeit dafür ist aber bei den zumeist jüngeren Anwendern erfreulicherweise gering.“ Andrea Warpakowski

Schaefer R, et al.: Kidney function in tenofovir disoproxil fumarate-based oral pre-exposure prophylaxis users: a systematic review and meta-analysis of published literature and a multi-country meta-analysis of individual participant data; Lancet HIV 2022; 9: e242–53.

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