MANAGEMENT
Überbringen schlechter Nachrichten: Kommunikation ist eine Arznei


Studien zeigen, dass die Art der Diagnosevermittlung Einfluss auf die Lebensqualität und die Therapieerfahrung von Patientinnen und Patienten hat. Eine sensible Gesprächsführung kann zudem Ärztinnen und Ärzten helfen, besser mit der Übermittlung schlechter Nachrichten umzugehen.
Einer Patientin oder einem Patienten mitteilen zu müssen, dass sie oder er schwer beziehungsweise unheilbar krank ist, die Prognose sich verschlechtert hat oder keine Therapieoptionen mehr zur Verfügung stehen, ist wohl eine der unangenehmsten Aufgaben, die eine Ärztin oder ein Arzt zu erfüllen hat. Dennoch gehört es zum Beruf.
Eine aktuelle Studie der Berliner Charité unter 1 089 angehenden und bereits approbierten Medizinerinnen und Medizinern ergab, dass gut 45 Prozent aller Befragten mehrmals im Monat Hiobsbotschaften überbringen müssen.
„Schlechte Nachrichten haben fast immer eine nachhaltig lebensverändernde Bedeutung für die Patienten“, sagt Professor Dr. med. Dr. h. c. Jalid Sehouli, Direktor der Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie an der Charité und einer der Autoren der Studie.
Gespräche zu lebensbedrohlichen Situationen seien vergleichbar mit einer Hypnose, bei der sich jedes Wort ins Gehirn einbrennt. Die Kommunikation mit Patientinnen und Patienten sei deshalb wie die Gabe eines Arzneimittels zu bewerten, mit allen positiven wie negativen Folgen, so der Gynäkologe.
Sehouli hat sich in seiner medizinischen Karriere eingehend mit dem Thema „Überbringen schlechter Nachrichten“ beschäftigt und sogar ein Buch darüber geschrieben (Kasten). Ein Hauptproblem ist aus seiner Sicht, dass Ärztinnen und Ärzte häufig nicht für derartige Situationen geschult seien. „Wir kommunizieren zwar tausendfach am Tag, analog wie digital. Aber uns fehlt oft das Gefühl dafür, wie bedeutsam bestimmte Informationen für unser Gegenüber sein können“, bemerkt er. Dies gelte für jede Art von Nachrichten. „Wir sollten auch mit guten Nachrichten achtsamer umgehen und diese im klinischen Alltag nicht ignorieren“, wünscht sich Sehouli.
Innerhalb der letzten Jahrzehnte wurden verschiedene Empfehlungen zum Überbringen schwerwiegender Diagnosen erarbeitet, die sich international weitgehend ähneln und im Kern alle Variationen von SPIKES darstellen, einer aus den USA stammenden Anleitung. Die sechs Buchstaben stehen für „Situation“, „Patientenvorwissen“, „Informationsbedarf“, „Kenntnisvermittlung“, „Emotionale Reaktion und Empathie“ sowie „Strategie und Zusammenfassung“.
Auch bieten inzwischen einige Universitäten Kommunikationstrainings für Medizinstudierende an und für erwerbstätige Ärztinnen und Ärzte gibt es entsprechende Fortbildungsmöglichkeiten. Dennoch reichen die Angebote offenbar nicht aus oder werden zu wenig genutzt. Darüber hinaus fehlt es an professionellen Supervisionen. „Viele schleppen die Belastungen mit sich herum“, weiß der Gynäkologe. Als schlimm empfunden werde dabei vor allem das Gefühl, der Rolle als Heilerin oder Heiler nicht gerecht werden zu können.
Doch was läuft bei der Übermittlung negativer Botschaften in aller Regel schief? Oft beginnt es schon mit einer unzureichenden Vorbereitung auf das Gespräch. „Eine gute Kommunikation erfordert im Vorfeld eine gründliche Selbstreflexion“, so Sehouli. Das heißt: Ärztinnen und Ärzte sollten sich die Frage stellen, wie sie selbst mit der Information, die sie zu überbringen haben, umgehen würden, um sich über ihre eigenen Emotionen klar zu werden.
Wichtig sei es ferner, sich für das Gespräch ausreichend Zeit zu nehmen und eine ruhige Umgebungsatmosphäre zu schaffen. Dabei könne es durchaus ratsam sein, eine weitere Fachkraft hinzuzuziehen und die negative Botschaft im Team zu kommunizieren, so wie es die Polizei mache. Für irrelevant hält Sehouli dagegen den Zeitpunkt, an dem das Gespräch geführt wird.
Nicht mit der Tür ins Haus fallen
Als Auftakt sei es empfehlenswert, die negative Nachricht mit einer Warnung einzuleiten und nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Ein solch einleitender Satz könnte zum Beispiel lauten: „Ich habe leider keine gute Nachricht für Sie.“
Im weiteren Gespräch gelte es dann, Emotionen beim Gegenüber zuzulassen, unter Berücksichtigung seiner Herkunft, Kultur und individuellen Lebenssituation und diese wertneutral zu betrachten.
„Wenn ein Patient weint, sollte man ihn erst einmal weinen lassen“, rät der Gynäkologe. Hilfreich könnten in einem solchen Moment kleine Gesten sein, wie das Reichen eines Taschentuchs oder eines Glas Wassers. Sinnvoll sei es unter Umständen auch, zu fragen: „Brauchen Sie Unterstützung?“, „Sollen wir einen Angehörigen dazu bitten?“ oder „Wollen Sie lieber erst einmal hierbleiben?“
Als Nächstes gelte es, der Patientin oder dem Patienten Zeit zu lassen, die Information zu verdauen. „Wir Ärzte sind darauf trainiert, dauernd zu reden. Genau das ist in einer solchen Situation aber falsch. Viel wichtiger ist es, zu schweigen und das Schweigen auch auszuhalten, anstatt sich in imperative Monologe zu retten“, sagt Sehouli.
Zeit zum Verarbeiten geben
Studien zufolge gelinge Ärztinnen und Ärzten dies gerade mal sechzehn Sekunden lang. Hinzu kommt, dass Menschen nach dem Überbringen schlechter Nachrichten maximal zweieinhalb Minuten lang in der Lage seien, zuzuhören. Daher ist es immens wichtig, das Gespräch nicht zu überfrachten. „Es empfiehlt sich, vorab deutlich zu machen, dass weitere Gespräche folgen können“, so Sehouli. Oberstes Ziel müsse immer sein, Vertrauen herzustellen und den Wunsch zu wecken, sich erneut zu begegnen, betont der Gynäkologe. Dazu gehöre auch, das Recht auf Nichtwissen der Patientin oder des Patienten zu respektieren, wenn diese oder dieser das ausdrücklich wünscht.
Bewährt habe sich grundsätzlich eine offene Fragetechnik mit Pausen und Rückmeldungen, die dem Gegenüber das Gefühl gibt, dass es ernst genommen und ihm auf Herzenshöhe begegnet wird. Unbedingt zu vermeiden seien dagegen Floskeln, wie „Ich weiß, wie Sie sich fühlen“. Außerdem sollte Ärztinnen und Ärzte sich nie dazu hinreißen lassen, über eine Prognose zu sprechen, wenn diese unklar ist, warnt Sehouli. „Man sollte so wahrhaftig sein, wie möglich“, lautet sein Rat.
Laufe eine Kommunikation dennoch mal aus dem Ruder, sei es durchaus erlaubt, das Gespräch abzubrechen und nach einer Pause erneut anzusetzen oder notfalls auch an jemand anderen zu delegieren.
„Entscheidend ist, dass es gelingt, einem Patienten das Gefühl zu vermitteln, dass er nicht allein gelassen wird. Denn dies wirkt sich im Endeffekt immer auch positiv auf einen selbst aus“, resümiert Sehouli. Petra Spielberg
Zehn Regeln für ein Gespräch
- Investieren Sie Zeit in die Vorbereitung.
- Beachten Sie die inhaltliche und zeitliche Beschränkung und sprechen Sie diese vorab auch an.
- Gewinnen Sie Angehörige als Verbündete und Unterstützer, wenn diese für die Patienten wichtig sind (Aber fragen Sie die Patienten, ob sie diese Allianz auch wollen).
- Stellen Sie viele offene Fragen, unterbrechen Sie Ihr Gegenüber nur, wenn unbedingt nötig.
- Respektieren Sie subjektive eigene Erklärungsmodelle, bewerten Sie nicht.
- Lotsen Sie den aktuellen Wissensstand Ihres Gegenübers und holen Sie den Patienten dort ab, wo er steht.
- Geben Sie eine Warnung, bevor Sie eine negative Information oder Botschaft überbringen.
- Lassen Sie Ihrem Gegenüber nach der Kernbotschaft Zeit, diese anzunehmen; nutzen Sie die Pause, Ihre eigenen und die Emotionen des Patienten wahrzunehmen.
- Besprechen Sie praktisch Handhabbares.
- Heben Sie das Gute hervor, schließen Sie mit etwas Positivem.
Sehouli: Von der Kunst schlechte Nachrichten gut zu überbringen; Kösel-Verlag
Studienergebnisse
Eine internationale Studie unter 1 089 Medizinstudierenden und approbierten Ärztinnen und Ärzten ergab, dass es 43,4 Prozent von ihnen schwerfällt, professionell zu bleiben, wenn sie schlechte Nachrichten überbringen müssen; 35,1 Prozent haben dabei Probleme, ihre eigenen Emotionen zu kontrollieren; nur 44,6 Prozent der Studierenden und 62,6 Prozent der Approbierten gaben an, adäquate Kommunikationsstrategien erlernt zu haben.
Quelle: Sehouli et al.: „Breaking Bad News“, Charité Berlin, 2022
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