THEMEN DER ZEIT: Interview
Interview mit Prof. Dr. med. Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, CCM, an der Charité – Universitätsmedizin Berlin „Wir müssen das Thema Einsamkeit besprechbar machen“


Der Psychiater und Stressforscher über die gesundheitlichen Auswirkungen von Einsamkeit und sozialer Isolation und wie auch Ärztinnen und Ärzte dem Phänomen entgegenwirken können.
Welche gesundheitlichen Auswirkungen hat Einsamkeit und soziale Isolation auf den Menschen?
Mazda Adli: Einsamkeit ist eine Form von sozialem Stress. Das kann zu verschiedenen psychischen wie auch physischen Erkrankungen führen. Dazu gehören zum Beispiel Depression und Angsterkrankungen. Wir sehen während der Pandemie aber auch eine Zunahme von Suchterkrankungen und Essstörungen, bei denen soziale Isolation und Einsamkeit eine zumindest wegbereitende Rolle spielen. Im somatischen Bereich kommt es zu mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zu Stoffwechselstörungen und zu immunologischen Störungen.
Gibt es Wechselwirkungen zwischen psychischen Erkrankungen und Einsamkeit?
Adli: Menschen mit psychischen Erkrankungen haben ein größeres Einsamkeitsrisiko. Sie neigen eher zu sozialem Rückzug und leiden eher unter mangelnder Teilhabe. Und genau das haben psychisch erkrankte Menschen während der Coronapandemie besonders deutlich zu spüren bekommen. Gleichzeitig gilt: Bei psychisch Erkrankten ist die soziale Einbindung ein wichtiger Schutzfaktor, der die Prognose verbessert. Wir haben in der täglichen Arbeit während der Pandemie Menschen gesehen, die nach zum Teil jahrelanger Stabilität wieder dekompensiert sind, weil wesentliche Unterstützungsstrukturen wie Therapiestunden, Gruppenangebote und soziale Aktivitäten ausgefallen sind.
Welche Vorschläge haben Sie aus ärztlicher Perspektive, um Einsamkeit entgegenzuwirken?
Adli: Für mich als Psychiater ist zurzeit das wichtigste, das Thema besprechbar zu machen. Einsamkeit ist ein Thema, das sehr schambehaftet und tabuisiert ist – auch im ärztlichen Gespräch. Wenn wir Einsamkeit aus der Tabuzone holen, nehmen wir dem Thema den giftigen Stachel und das ist dringend notwendig.
Was könnten Ärzte und Psychotherapeuten tun, um ihren Patienten zu erleichtern, ihre Einsamkeit anzusprechen?
Adli: Die Frage nach Einsamkeit könnte zum Beispiel Eingang in den Anamnesebogen finden. Bei Patientinnen und Patienten, bei denen wir Einsamkeit als Belastungsfaktor vermuten, sollten wir konkret danach fragen. Wir Ärzte haben manchmal die Angst, damit „ein Fass aufzumachen“ oder gleich Lösungen parat haben zu müssen. Daher scheuen wir uns oft selbst, das Thema anzusprechen. Wir unterliegen sozusagen dem gleichen Tabu, aber nur von der anderen Seite. Aber diese Angst würde ich uns gerne nehmen. Es ist schon allein sehr entlastend für den Patienten, das Thema Einsamkeit anzusprechen und damit zusammenhängende Gefühle zu validieren.
Eines Ihrer Forschungsgebiete ist das Thema Stadtarchitektur und Psyche. Was können denn Städteplaner tun, um Einsamkeit vorzubeugen?
Adli: Wie Städte aussehen, beeinflusst unser Verhalten und auch, ob wir uns leichter damit tun, andere Menschen zu treffen – oder eben nicht. Wir brauchen öffentliche nicht kommerzielle Plätze, die zum Verweilen einladen: Plätze, kleine Parks, breite Bürgersteige, frei verschiebliche Sitzgelegenheiten, die dafür sorgen, dass Menschen Zeit zusammen verbringen. Man kann durch Gestaltung von Straßen und Nachbarschaften stimulieren, dass die Menschen vor ihre Haustüre treten. Denn diese Zeit wirkt eher Einsamkeit und Isolation entgegen, als die Zeit, die man dahinter verbringt.
Darüber hinaus sind Kulturräume ein wichtiger Bereich: Theater, Museen, Bibliotheken oder Kulturzentren. All dies sind Orte, die Menschen miteinander in Verbindung bringen und die dadurch auch einen wichtigen Public-Health-Auftrag haben.
Das Interview führte Petra Bühring.