WISSENSCHAFT
Seelische Gesundheit und Gesundheitsverhalten von Kindern und Eltern während der COVID-19-Pandemie
Ergebnisse der COPSY-Längsschnittstudie
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Die COVID-19-Pandemie hat Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern seelisch belastet. Das zeigen multinationale Metaanalysen sowie die bundesweite COPSY-Längsschnittstudie (Corona und Psyche) (1). Die COPSY-Studie erfasste die seelische Gesundheit und das Gesundheitsverhalten längsschnittlich in bisher drei Befragungswellen (W1: 05–06/2020, W2: 12/2020–01/2021, W3: 09–10/2021).
Methoden
Insgesamt haben n = 1 618 Familien mit Kindern im Alter von 7–17 Jahren im Selbstbericht (11–17 Jahre, n = 1 181) und Elternbericht (7–17 Jahre, n = 1 618) an W3 teilgenommen (Wiederteilnahmequote: 73,7 %). Eltern, die an allen drei Befragungswellen teilnahmen, waren durchschnittlich älter und wiesen häufiger eine niedrige Bildung auf. Es wurden keine weiteren signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Soziodemografie und psychischen Befindlichkeit gefunden. Die Stichprobe entspricht der Struktur der bundesdeutschen Grundgesamtheit laut aktuellem Mikrozensus (2018).
Es wurden international validierte Screening-Fragebögen zu gesundheitsbezogener Lebensqualität (KIDSCREEN-10 Index), psychischen Auffälligkeiten (SDQ), generalisierter Ängstlichkeit (SCARED), depressiven Symptomen (PHQ-2 und PHQ-8) und psychosomatischen Beschwerden (HBSC-SCL) sowie Items zum Gesundheitsverhalten eingesetzt. Die Datenanalyse erfolgte mittels deskriptiver Statistiken, Chi-Quadrat-Tests und logistischer Regressionen. Als Effektgrößenmaß für Veränderungen über die drei Befragungswellen und im Vergleich zu präpandemischen Referenzwerten der BELLA-Studie (2) wurde Cramers-V herangezogen (V = 0,1/0,3/0,5 = kleiner/mittlerer/starker Effekt).
Ergebnisse
Die Kinder und Jugendlichen in W3 waren im Durchschnitt 13,3 Jahre (52 % Mädchen, 17 % Migrationshintergrund), die Eltern 44,5 Jahre alt (58 % Mütter, 59 % mittlerer Bildungsgrad).
Auch eineinhalb Jahre nach Pandemiebeginn fühlten sich im Herbst 2021 (W3) noch 82 % der Kinder und Jugendlichen durch die Pandemie belastet (Tabelle). Das Belastungserleben hatte im Pandemieverlauf zunächst zugenommen und stabilisierte sich dann auf hohem Niveau.
Etwa ein Drittel (35 %) der Kinder und Jugendlichen fühlten sich in ihrer Lebensqualität zum Zeitpunkt der dritten Befragungswelle (W3) eingeschränkt; das sind noch doppelt so viele wie vor der Pandemie. Psychische Auffälligkeiten (SDQ) stiegen im Pandemieverlauf signifikant an und sanken zur W3 leicht ab. Ein ähnlicher Trend fand sich bei Ängstlichkeits- und Depressivitätswerten. Die Häufigkeit psychosomatischer Beschwerden lag auch in W3 deutlich über den Werten vor der Pandemie; Bauch- und Kopfschmerzen sowie Nervosität nahmen in W3 noch einmal leicht zu. Mädchen waren hinsichtlich ihrer Lebensqualität, Ängstlichkeit, Depressivität und psychosomatischen Beschwerden zu einem höheren Anteil beeinträchtigt.
Die Kinder waren während der Pandemie deutlich inaktiver als vor der Pandemie. Der Süßigkeitenkonsum war in W1 und W2 bei einem Drittel der Kinder erhöht, im Herbst 2021 noch bei einem Fünftel. Der Medienkonsum, der anfangs deutlich erhöht war, nahm im Herbst 2021 etwas ab, aber noch knapp die Hälfte der Kinder nutzte mehr Medien als vor der Pandemie (mehr als 3–4 Stunden/Tag).
Kinder und Jugendliche erlebten die Pandemie als besonders belastend, wenn sie in beengtem Raum wohnten (< 20 qm Wohnfläche/Person), einen Migrationshintergrund hatten, ihre Eltern eine niedrige Bildung aufwiesen oder unter einer psychischen Erkrankung litten. Diese Risikogruppe von Kindern und Jugendlichen (n = 292) zeigte in logistischen Regressionen mit Alter und Geschlecht und deren Interaktion als Kovariaten über alle drei Befragungswellen während der Pandemie ein signifikant erhöhtes Risiko für eine geringere Lebensqualität (Odds Ratio [OR] W1: 2,1 95-%-Konfidenzintervall [1,5; 3,0], W2: 2,7 [1,9; 3,7], W3: 2,4 [1,7; 3,2]), psychische Auffälligkeiten (OR W1: 2,7 [2,0; 3,7], W2: 2,8 [2,1; 3,7], W3: 3,0 [2,3; 4,1]), depressive Symptome (OR W1: 3,7 [2,4; 5,7], W2: 4,1 [2,8; 5,9], W3: 2,3 [1,5; 3,5]) und Angstsymptome (OR W1: 2,2 [1,5; 3,2], W2: 1,7 [1,2; 2,4]).
Auch der Großteil der Eltern fühlte sich durch die Pandemie belastet. Während Belastungen aufgrund des Verlustes sozialer Kontakte und der Möglichkeit zu Freizeitaktivitäten in W3 leicht rückläufig waren, haben sich Probleme wie die Organisation der Kinderbetreuung/des Homeschoolings sowie die Vereinbarkeit von Arbeit und Kinderbetreuung auf einem hohen Niveau stabilisiert. Spannungen zu Hause und Familienstreits haben in W3 noch einmal leicht zugenommen. Der Anteil der Eltern mit depressiven Symptomen lag bei 17–24 %. Mütter und Eltern jüngerer Kinder waren signifikant stärker belastet und wiesen mehr depressive Symptome auf (Tabelle).
Diskussion
Die Belastung der Kinder, Jugendlichen und Eltern war auch noch im Herbst 2021 deutlich höher als vor der Pandemie, auch wenn sich die Lebensqualität und das Gesundheitsverhalten der Kinder und Jugendlichen unter Aussetzen von Lockdownmaßnahmen und niedrigen Inzidenzen etwas gebessert haben. Die Beeinträchtigungen und psychischen Auffälligkeiten haben sich auf hohem Niveau stabilisiert. Insgesamt sind die Effektstärken der Veränderung zwar sehr gering, die Effekte grundsätzlich bestehender Risiken jedoch deutlich ausgeprägt (OR bis 3,7). Dies steht im Einklang mit pädiatrischen Metaanalysen (3, 4, 5), allerdings ist die internationale Studienlage noch sehr heterogen. Die COPSY-Studie zeigt, dass sowohl Eltern als auch Kinder und Jugendliche aus bestimmten Risikogruppen vulnerabel sind. Wir empfehlen, diese in medizinischen und psychotherapeutischen Praxen sowie Bildungseinrichtungen zu erfassen und durch niedrigschwellige Angebote der Prävention und Intervention zu unterstützen.
Ulrike Ravens-Sieberer*, Anne Kaman*, Janine Devine, Constanze Löffler, Franziska Reiß, Ann-Kathrin Napp, Martha Gilbert, Hila Naderi, Klaus Hurrelmann, Robert Schlack, Heike Hölling, Michael Erhart
* Die Autorinnen teilen sich die Erstautorenschaft.
Zentrum für Psychosoziale Medizin, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (Ravens-Sieberer, Kaman, Devine, Löffler, Reiß, Napp, Gilbert, Naderi, Erhart), ravens-sieberer@uke.de
Hertie School of Governance, Berlin (Hurrelmann)
Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Fachgebiet Psychische Gesundheit, Robert Koch-Institut, Berlin (Schlack, Hölling)
Alice Salomon Hochschule, Berlin (Erhart)
Apollon Hochschule der Gesundheitswirtschaft, Bremen (Erhart)
Interessenkonflikt
Die Autorinnen und Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 02.02.2022, revidierte Fassung angenommen: 27.03.2022
Zitierweise
Ravens-Sieberer U, Kaman A, Devine J, Löffler C, Reiß F, Napp AK, Gilbert M, Naderi H, Hurrelmann K, Schlack R, Hölling H, Erhart M: The mental health and health-related behavior of children and parents during the COVID-19 pandemic: findings of the longitudinal COPSY study. Dtsch Arztebl Int 2022; 119. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0173 (online first).
Dieser Beitrag erschien online am 21.04.2022 (online first) unter www.aerzteblatt.de
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
1. | Ravens-Sieberer U, Kaman A, Erhart M, et al.: Quality of life and mental health in children and adolescents during the first year of the COVID-19 pandemic: results of a two-wave nationwide population-based study. Eur Child Adolesc Psychiatry 2021; 1–14 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
2. | Otto C, Reiss F, Voss C, et al.: Mental health and well-being from childhood to adulthood: design, methods and results of the 11-year follow-up of the BELLA study. Eur Child Adolesc Psychiatry 2020; 1–19 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
3. | Racine N, McArthur BA, Cooke JE, Eirich R, Zhu J, Madigan S: Global prevalence of depressive and anxiety symptoms in children and adolescents during COVID-19: a meta-analysis. JAMA pediatr 2021; 175: 1142–50 CrossRef MEDLINE |
4. | Ma L, Mazidi M, Li K, et al.: Prevalence of mental health problems among children and adolescents during the COVID-19 pandemic: A systematic review and meta-analysis. J Affect Disord 2021; 293: 78–89 CrossRef MEDLINE |
5. | Achterberg M, Dobbelaar S, Boer OD, Crone EA: Perceived stress as mediator for longitudinal effects of the COVID-19 lockdown on wellbeing of parents and children. Sci Rep 2021; 11(1): 2971 CrossRef MEDLINE PubMed Central |