MEDIZIN: Kurzmitteilung
Krankheitsverlauf hospitalisierter Patienten mit COVID-19 bei Delta und Omikron unter Berücksichtigung einer Immunisierung
The disease course of hospitalized COVID-19 patients during the delta and omicron periods in consideration of vaccination status
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Mit Beginn der Impfkampagne gegen COVID-19 war die Hoffnung groß, die Pandemie kontrollieren zu können, und die Inzidenz in Deutschland ging zunächst zurück. Mit dem Aufkommen der Delta-Variante entwickelte sich jedoch erneut eine Infektionswelle. Der Anteil Geimpfter unter den Infizierten nahm zu und erreichte während des Aufkommens der nachfolgenden Omikron-Variante bei Erwachsenen 80 % (1). Die Impfdurchbrüche ließen in der Allgemeinbevölkerung Zweifel an der Wirksamkeit der Impfung aufkommen und die milderen Verläufe bei einer Infektion mit der Omikron-Variante stellten gleichzeitig ihre Notwendigkeit in Frage. Ziel der vorliegenden Untersuchung war es daher, den stationären Verlauf von nichtimmunisierten, immunisierten und geboosterten SARS-CoV-2-infizierten Patientinnen und Patienten unter beiden Varianten miteinander zu vergleichen.
Methode
In diese retrospektive Beobachtungskohortenstudie wurden Patienten mit einer durch eine Polymerasekettenreaktion (PCR) bestätigten SARS-CoV-2-Infektion eingeschlossen, die zwischen 01.09.2021 und 31.03.2022 stationär aufgenommen und im Helios-eigenen Surveillance-Programm iNOK dokumentiert wurden. In dieser konzernweiten, intranetbasierten Datenbank werden seit Beginn der Pandemie Patienten mit COVID-19 dokumentiert und seit dem 01.09.2021 wird auch der Immunisierungsstatus erfasst. Die Daten wurden durch eine doppelt pseudonymisierte Krankenhausfallnummer mit Abrechnungsdaten verknüpft und daraus wurden Informationen zu den Risikofaktoren Geschlecht, Alter und Komorbiditäten sowie den Verlaufsparametern Intensivaufenthalt, Beatmung und Tod entnommen. Als Surrogatparamter für die tatsächlich an COVID-19 erkrankten unter den infizierten Patienten wurde der Anteil an Patienten mit schwerer akuter respiratorischer Infektion (SARI) analysiert. Ausschlusskriterien waren Alter < 18 Jahre sowie unvollständige Datensätze. Für den Immunisierungsstatus wurden die aktuell gültigen Kriterien des Robert Koch-Instituts (RKI) zugrunde gelegt (1). Die Angaben zu Komorbiditäten wurden im Elixhauser Comorbidity Index (2) zusammengefasst. Der Parameter maschinelle Beatmung schloss eine invasive und nichtinvasive Beatmung ein. Letalität wurde als Tod während desselben Krankenhausaufenthaltes definiert. In Nicht-Helios-Kliniken verlegte Patienten wurden aus der Berechnung der Letalität herausgenommen. Entsprechend der Wochenberichte des RKI zur Variantenentwicklung in Deutschland wurden Patienten mit stationärer Aufnahme bis zum 31.12.2021 der Delta-Kohorte und ab dem 01.01.2022 der Omikron-Kohorte zugeordnet.
Ergebnisse
Eingeschlossen wurden 10 902 Patienten aus 69 Helios-Kliniken im Alter von 18–104 Jahren. 8 156 (75 %) Patienten entfielen auf den Zeitraum der Delta-Dominanz, 2 746 (25 %) auf den der Omikron-Dominanz. Nichtimmunisierte Patienten waren jünger als grundimmunisierte oder geboosterte und hatten weniger Begleiterkrankungen (Tabelle 1). Bei Nichtimmunisierten wurde häufiger ein SARI codiert, sie wurden öfter auf Intensivstationen aufgenommen und maschinell beatmet. Die Letalität war während Delta-Dominanz nicht signifikant unterschiedlich, während der Omikron-Dominanz war sie bei Nichtimmunisierten höher. Der Anteil immunisierter Patienten unter den Infizierten nahm beim Übergang von der Delta- zur Omikron-Dominanz deutlich zu. Immunisierte Patienten waren während der Omikron-Dominanz jünger und hatten weniger Begleiterkrankungen. SARI wurde bei Geboosterten am seltensten codiert, sowohl in der Delta- als auch in der Omikron-Kohorte. Intensivaufenthalt, Beatmung und Tod kamen während der Omikron-Dominanz seltener vor. In den multivariablen Analysen zu Intensivaufenthalt, Beatmung und Krankenhausletalität waren Begleiterkrankungen und das männliche Geschlecht unabhängige Risikofaktoren (Tabelle 2). Während Alter den wichtigsten Risikofaktor für das Versterben darstellte, war die Wahrscheinlichkeit für einen Intensivaufenthalt und Beatmung mit steigendem Alter geringer. Eine fehlende Immunisierung erhöhte das Risiko für einen Intensivaufenthalt, Beatmung und Tod. Die Boosterung führte im Vergleich zur Grundimmunisierung ebenfalls zu einer Reduktion des Risikos für Beatmung oder Tod. Eine Infektion mit der Delta-Variante ging gegenüber einer Infektion mit der Omikron-Variante mit einer erhöhten Chance für einen negativen Krankheitsverlauf einher.
Diskussion
Der Schutz durch Impfung vor schweren Verläufen von COVID-19 wurde in Real-World-Studien bereits belegt (3, 4, 5). Unsere Untersuchung zeigt, dass sie auch bei hospitalisierten Patienten protektiv gegenüber Mortalität, Intensivbehandlung und Beatmung wirkt. Boostern erhöht im Vergleich zur alleinigen Grundimmunisierung den Schutz. Der protektive Effekt ist trotz des günstigeren Verlaufs bei einer Infektion mit der Omikron-Variante weiterhin relevant. Das Alter ging zwar mit einem erhöhten Letalitätsrisiko, aber einem niedrigeren Risiko für eine Intensivaufnahme und Beatmung einher. Ursache könnte eine differenzierte Indikationsstellung zur Maximaltherapie in den höchsten Altersgruppen sein. Zudem liegen im höheren Alter mehr Erkrankungen vor, die zu einer Hospitalisierung geführt haben könnten. Bei Immunisierten in der Omikron-Kohorte trat SARI bei weniger als der Hälfte der Patienten auf. Vermutlich sind besonders in dieser Gruppe viele Patienten nicht wegen COVID-19 hospitalisiert und intensivmedizinisch behandelt worden oder an COVID-19 verstorben, sondern eher damit. Damit ist der protektive Effekt der Immunisierung wahrscheinlich deutlicher als ermittelt. Unsere Studie demonstriert den stationären Verlauf von Patienten mit COVID-19 in Abhängigkeit von einer Immunisierung und der Varianten-Dominanz. Sie bezieht sich nur auf hospitalisierte Patienten. Somit kann keine Aussage über die Wirksamkeit der Immunisierung in der Allgemeinbevölkerung getroffen werden. Eingeschlossen wurden abgeschlossene Fälle. Zu Studienende noch behandelte Patienten wurden nicht erfasst, was zu einer Verzerrung geführt haben kann. Die Optimierung von Therapieleitlinien könnte zum verbesserten Outcome während der Omikron-Dominanz beigetragen haben. Da die Patienten zeitlich zur Delta- oder Omikron-Kohorte zugeordnet wurden, unterliegt dies einer Unschärfe; Variantenbestimmungen lagen nicht vor. Faktoren wie unterschiedliche Therapien und Versorgungsstufen des Krankenhauses wurden nicht erfasst und können die Ergebnisse beeinflusst haben. Der Elixhauser Comorbidity Index berücksichtigt nicht, dass sich Vorerkrankungen, die das Risiko für einen schweren Verlauf erhöhen, bei Delta und Omikron unterschiedlich auswirken können.
Marzia Bonsignore, Sven Hohenstein, Cathrin Kodde, Johannes Leiner, Karin Schwegmann, Andreas Bollmann, Robert Möller, Ralf Kuhlen, Irit Nachtigall
Interessenkonflikt
Prof. Kuhlen ist leitender Mitarbeiter bei Helios mit Aktienoptionen der Fresenius-Gruppe und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der IQM.
Die übrigen Autorinnen und die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 26. 04. 2022, revidierte Fassung angenommen: 21.06.2022
Zitierweise
Bonsignore M, Hohenstein S, Kodde C, Leiner J, Schwegmann K, Bollmann A, Möller R, Kuhlen R, Nachtigall I: The disease course of hospitalized COVID-19 patients during the delta and omicron periods in consideration of vaccination status. Dtsch Arztebl Int 2022; 119. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0263 (online first).
Dieser Beitrag erschien online am 07.07.2022 (online first) auf www. aerzteblatt.de
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
richt_2022–03–31.pdf?__blob=publicationFile (last accessed on 19 April 2022).
Institut für Medizinische Labordiagnostik, Center for Clinical and Translational Research, Helios Universitätsklinikum Wuppertal, Universität Witten/Herdecke (Bonsignore)
Leipzig Heart Institute, Leipzig (Hohenstein, Leiner)
Klinik für Pneumologie, Lungenklinik Heckeshorn, Helios Klinikum Emil von Behring, Berlin (Kodde)
Herzzentrum Leipzig, Universitätsklinik für Kardiologie – Helios Stiftungsprofessur, Abteilung für Rhythmologie, Leipzig (Leiner, Bollmann)
Hygiene, Helios Kliniken, Hildesheim (Schwegmann)
Helios Kliniken GmbH, Berlin (Möller)
Helios Health GmbH, Berlin (Kuhlen)
Abteilung für Infektiologie und Infektionsprävention, Helios Klinikum Emil von Behring, Berlin (Nachtigall) irit.nachtigall@helios-gesundheit.de
Institut für Hygiene und Umweltmedizin, Charité Universitätsmedizin Berlin (Nachtigall)
1. | Robert Koch-Institut: Wöchentlicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19). 31.03.2022 www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbe richt_2022–03–31.pdf?__blob=publicationFile (last accessed on 19 April 2022). |
2. | van Walraven C, Austin PC, Jennings A, Quan H, Forster AJ: A modification of the Elixhauser comorbidity measures into a point system for hospital death using administrative data. Med Care 2009; 47: 626–33 CrossRef MEDLINE |
3. | Sheikh A, McMenamin J, Taylor B, Robertson C: SARS-CoV-2 Delta VOC in Scotland: demographics, risk of hospital admission, and vaccine effectiveness. Lancet 2021; 397: 2461–2 CrossRef |
4. | Bernal JL, Andrews N, Gower C, et al.: Effectiveness of Covid-19 vaccines against the B. 1.617. 2 (Delta) variant. N Engl J Med 2021; 385: 585–94 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
5. | Andrews N, Stowe J, Kirsebom F, et al.: COVID-19 vaccine effectiveness against the omicron (B. 1.1. 529) variant. NEJM 2022; 386: 1532–46 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
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