

Der schreckliche Ukraine-Krieg und die Energiekrise bestimmen die Schlagzeilen. Dennoch gibt es wie jedes Jahr auch Sommerlochthemen: Die Hochzeit von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf Sylt hat es bis auf die Stern-Titelseite geschafft. In der Gesundheitspolitik fällt das Sommerloch aus, denn „Aufreger“ gibt es zur Genüge.
Es begann mit dem Ratschlag von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zur vierten Coronaimpfung, während die Ständige Impfkommission den zweiten Booster erst ab 70 empfiehlt. Die Schlagzeilen waren gesichert, die Bevölkerung verunsichert.
Dann entzündete sich ein Streit um die Isolationspflicht: aufheben oder nicht? Team Vorsicht und Team Eigenverantwortung waren unversöhnlich, eine differenzierte Sicht war Mangelware. Dabei sind Personalausfälle genauso wenig von der Hand zu weisen wie die Schwierigkeit, „keine Symptome gleich keine Isolation“ einfach in die Eigenverantwortung zu legen. Abgesehen davon, dass diese auch immer andere betrifft, könnte im schlimmsten Fall von Arbeitgebern bei Infizierten noch Druck ausgeübt werden, wenn diese von „so gut wie keinen Symptomen“ berichten. All das gehört in Ruhe diskutiert. Zudem weiß man gar nicht, wie hoch der Anteil derer ist, die symptomlos erkrankt sind.
Aufregen kann man sich auch, dass der akute Personalmangel mit steigender Belastung in Krankenhäusern und Arztpraxen so wenig medialen Niederschlag findet im Gegensatz zu Flughäfen und Industriebetrieben. Das inzwischen wieder (fast) ungezwungene Miteinander im alltäglichen Leben lässt die Leistung derjenigen, die noch vor zwei Jahren allabendlich beklatscht wurden, wieder in den Hintergrund treten. Aus den Augen, aus dem Sinn, muss man bitter konstatieren.
Nächster Aufreger war eine misslungene Kommunikation des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Das BMG twitterte zunächst, eine von 5 000 Personen sei von einer schweren Nebenwirkung der Coronaimpfung betroffen, um sich dann schnell zu korrigieren, dass es eine schwere Nebenwirkung auf 5 000 Impfungen sei. Das erhöhte das zuerst genannte Risiko um das Dreifache. Dann die Korrektur der Korrektur. Denn es handelte sich um Verdachtsmeldungen und nicht um bewiesene Nebenwirkungen. Bei diesem sensiblen Thema ein gefundenes Fressen für alle Impfskeptiker.
Weiter ging es mit dem Gesetz zur Stabilisierung der Kassenfinanzen. Eigentlich sind alle unzufrieden: Ärzteschaft, Krankenhäuser, Kassen, Apotheker und die Bevölkerung. Das lässt wenig politische Abstimmung seitens Lauterbach vermuten. So begründete er das endgültige Aus der Neupatientenregelung vehement mit „kein Effekt“ und wurde zugleich vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung eines Besseren belehrt (Seite 1339).
Auch die Digitalisierung bleibt ein Daueraufreger. Während Inflation und Teuerungsraten durch die Energiekrise die bestimmenden Themen sind, steht ein Konnektorentausch in Deutschlands Arztpraxen vor der Tür, der 300 Millionen Euro kostet (Seite 1340). Zumindest ein Aufregerthema hat Lauterbach jetzt abgeräumt. Schulschließungen kann es mit dem kommenden Infektionsschutzgesetz nicht mehr geben, kündigte er an.
Dass die Gesundheitspolitik ein Haifischbecken ist, weiß auch Lauterbach. Kluges politisches Agieren setzt gerade hier Integrationsfähigkeit voraus und vermeidet Ärger. Der Minister hat hier sicher noch Luft nach oben. Das immer noch nicht fertige Infektionsschutzgesetz wäre die richtige Gelegenheit, dies zu ändern.
Michael Schmedt
Chefredakteur