ArchivDeutsches Ärzteblatt31-32/2022Klimaschutz in Krankenhäusern: Massive Investitionen benötigt

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Klimaschutz in Krankenhäusern: Massive Investitionen benötigt

Kurz, Charlotte

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Grüne Fassaden und Verschattungen sind Hitze- und Klimaschutzmaßnahmen, die auch an Krankenhäusern verstärkt nachgerüstet werden sollen. Foto: jovannig/stock.adobe.com
Grüne Fassaden und Verschattungen sind Hitze- und Klimaschutzmaßnahmen, die auch an Krankenhäusern verstärkt nachgerüstet werden sollen. Foto: jovannig/stock.adobe.com

Ein aktuelles Gutachten der Deutschen Krankenhausgesellschaft zeigt, dass Krankenhäuser deutlich aufholen müssen, um einen sinnvollen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Milliardeninvestitionen werden hierfür benötigt. Der Marburger Bund pocht zudem auf klimaneutrale Kliniken bis 2030.

Um die deutschen Krankenhäuser hinsichtlich der Klimakrise und damit verbundenen Hitzewellen zu wappnen, sind massive Investitionen notwendig. Dieser Überzeugung sind die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Marburger Bund. Die DKG erklärte kürzlich, dass die Krankenhäuser in den vergangenen Jahren finanziell erheblich heruntergewirtschaftet worden sind und dies habe auch den Klimaschutz in den Kliniken ausgebremst.

Um die fehlende Finanzierung aufzuholen, werde ein Investitionsbetrag im mittleren zweistelligen Milliardenbereich für Klimaschutzanpassungen der Krankenhäuser benötigt, forderte der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. med. Gerald Gaß. Zudem stelle die derzeitige Energiekrise eine wachsende Herausforderung für die Krankenhäuser dar, da die überwiegende Mehrheit auf Erdgas angewiesen sei und mit explodierenden Kosten rechnen müsse.

Klimadaten erstmals erhoben

Ihre Forderungen stützt die DKG auf ein Gutachten, das das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) erstellt hat. Die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) hatte die DKG am 30. September 2020 gebeten, eine bundesweite Erfassung und Auswertung von klima- und energierelevanten Daten der Krankenhäuser zu beauftragen. Das 177-seitige Gutachten ist laut eigenen Angaben die erste umfassende Erhebung klima- und energierelevanter Daten deutscher Krankenhäuser. Es besteht aus drei Teilen und soll erstens einen Überblick über den Status quo in den Krankenhäusern geben. Zweitens sollen daraus Klimaschutzmaßnahmen abgeleitet und vorgestellt werden. Drittens informiert das Gutachten über die Abschätzung von möglichen Investitionskosten.

Zur Erfassung des Status quo führte das DKI eine Umfrage in den Krankenhäusern durch. Die Grundgesamtheit der Befragung bildeten alle Allgemeinkrankenhäuser ab 50 Betten in Deutschland. Die Fragebögen wurden an 1 399 Krankenhäuser versendet. 263 haben an der Befragung teilgenommen (18,8 Prozent). „Vor dem Hintergrund der komplexen Fragen und der Coronasituation sind wir mit dem Rücklauf der Fragebögen zufrieden und halten die Aussagen für sehr valide“, erklärte Anna Levsen vom DKI. Der Befragungszeitraum dauerte vom 28. Juni bis zum 5. August 2021. Allerdings wurden die Daten für das Jahr 2019 erfragt, damit die pandemiebedingte Situation die Daten nicht verzerrt.

Die untersuchten Themenfelder konzentrierten sich auf Klimaschutzbemühungen bei Energiemanagement und Nutzerverhalten, Strom, Contracting, Wärme, Kälte, Wasser, Abfallmanagement und Anpassungsstrategie.

Kliniken abhängig von Erdgas

Insbesondere beim Thema Energie zeigen sich mehrere Herausforderungen. So nutzen 92 Prozent der Kliniken Erdgas. Der durchschnittliche Gasverbrauch eines Krankenhauses beträgt dabei jährlich rund 4,9 Millionen Kubikmeter. „Wir müssen feststellen, dass deutsche Krankenhäuser massiv auf die Primärenergie Gas angewiesen sind“, so Gaß. Eine kurzfristige Alternative sei kaum möglich.

Neben der Belastung für das Klima sei eine weitere Herausforderung die Vervielfachung der Preise angesichts der Energiekrise. 2019 lagen die durchschnittlichen Bezugskosten für Gas bei 345 000 Euro pro Krankenhaus, erklärte Gaß weiter. Für Großkrankenhäuser (ab 600 Betten) würden hier die Kosten explodieren. Diese haben einen durchschnittlichen jährlichen Gasverbrauch von 16,9 Millionen Kubikmeter und damit mittlere Gaskosten von knapp 800 000 Euro.

„Wenn wir aktuell von der Verdreifachung des Gaspreises sprechen, werden Krankenhäuser mit 600 Betten plus künftig 2,4 Millionen Euro jährlich leisten müssen“, rechnete Gaß vor.

Umrüstung notwendig

Zudem könnten einer Blitzumfrage des DKI zufolge 61 Prozent der Krankenhäuser im Hinblick auf den kommenden Herbst kurzfristig kein Gas einsparen. „Weniger Abhängigkeit vom Gas ist nur möglich, wenn die technischen Anlagen in den Krankenhäusern umgerüstet werden und dazu braucht es auch entsprechende Investitionsmittel“, so Gaß. Aufgrund laufender Verträge werden die Preissteigerungen beim Gas 2023 deutlicher zu spüren sein, kündigte Gaß an. Kurzfristig sei deshalb ein Inflationsausgleich nötig, der schnell über den Zuschlag auf die Krankenhausrechnungen umsetzbar sei. Außerdem pochte er auf eine umfassende Berücksichtigung der Krankenhäuser und ihre wichtigsten Zulieferer (etwa Wäschereien oder Speiseversorger) in den Gasnotfallplänen der Länder.

Auch beim Thema Hitzereduktion sind schon einige Häuser dabei, ihre Situation zu optimieren. So nutzen etwa 80 Prozent der befragten Kliniken den Einsatz von Verschattung etwa durch Gebäudeteile, Bäume oder Jalousien und 74 Prozent haben weitestgehend wärmedämmende Fenster installiert.

Die Krankenhausgebäude waren im Durchschnitt etwa 60 Jahre alt. Dies weise auf „großes Sanierungspotenzial der baulichen Substanz“ hin, so das Gutachten. Allerdings wurden in fast der Hälfte der Gebäude (47 Prozent) bereits einfache bauliche Maßnahmen wie Dach- und Fassadenbegrünung umgesetzt. Weniger häufig wurde die Gartenanlage umgebaut (35 Prozent) oder verschlossene Flächen entsiegelt (zehn Prozent). Nur 38 Prozent der Krankenhäuser haben Leitlinien zur Energieeinsparung und Nachhaltigkeit etabliert und nur knapp jede dritte Klinik beschäftigt einen Klimamanager oder eine Klimamanagerin (30 Prozent).

Zum Potenzial der Krankenhäuser, einen Beitrag zur Klimaneutralität zu leisten, schreibt das DKI: „Die Ergebnisse der Krankenhausbefragung bestätigen den enormen Bedarf zur Weiterentwicklung von Klimaschutzbemühungen in Krankenhäusern für alle erfassten Maßnahmenfelder.“ Die größten Einsparpotenziale ergeben sich im Bereich Energie und Strom. 63 Prozent der befragten Krankenhäuser gaben hier Optimierungsmöglichkeiten an. Lediglich 57 Prozent der Häuser erzeugen Eigenstrom, davon nutzen 24 Prozent Fotovoltaik-anlagen. Und: Nur zwei bis vier Prozent nutzten regenerative Energien zur Wärmeerzeugung.

Ein Problem ist auch, dass viele Krankenhäuser von bestehenden Förderprogrammen keine Kenntnis haben oder diese nicht in Anspruch nehmen. 65 Prozent der befragten Kliniken haben zwar entsprechende Kenntnisse, mehr als die Hälfte der Krankenhäuser (55 Prozent), haben die Programme allerdings noch nicht in Anspruch genommen.

Bauliche Veränderungen nötig

Das Gutachten listet auch ausgewählte Klimaschutzmaßnahmen auf. Manche davon lassen sich einfach im Klinikalltag integrieren, etwa das Anbringen von Hinweisen zum Ausschalten von Lichtschaltern oder effizientere Abfalltrennungen und Strukturen zur Vermeidung von Fehlwürfen etwa durch farbliche Markierungen.

Die meisten Empfehlungen zielen aber auf bauliche Veränderungen der Krankenhäuser ab, etwa im Bereich Energie. Dort ist die Top-klimaschutzmaßnahme laut Gutachten das Einbauen von Erdwärmesonden zur Wärmung der Fußböden im Winter, beziehungsweise Kühlung der Decken im Sommer. Nicht überraschend ist unter den wichtigsten Maßnahmen auch die Substitution fossiler durch regenerative Energieträger oder die Nutzung von luftgekühlten Klimaanlagen anstatt wassergekühlten. Wichtig sei auch, den Gebrauch von treibhausgasintensiven Anästhetika wie etwa Desfluran zu reduzieren oder ganz zu vermeiden, schreibt das DKI.

Gaß zog folgendes Resümee: „Wir haben die Krankenhäuser massiv runtergespart. Die Politik hat keine Priorität beim Thema Krankenhäuser gesetzt.“ Er fordert deshalb: „Die Politik muss jetzt reagieren. Sie muss einen Teil der Finanzmittel, der für Klimawandel vorgesehen war, auch in die soziale Infrastruktur und in die Umstellung der Krankenhäuser investieren.“

Er spielte dabei auf die von der Bundesregierung angekündigten 200 Milliarden Euro für den Klimaschutz bis 2026 an. „Je nach angestrebtem Zielszenario (zum Beispiel Klimaneutralität aller Krankenhäuser) bewegt sich das erforderliche Investitionsniveau im mittleren zweistelligen Milliardenbereich“, schlussfolgert auch das DKI-Gutachten.

Dieser Betrag könnte über einen Krankenhausklimaschutzfonds, also eine Mischfinanzierung über Bund und Länder, getätigt werden, so der Vorschlag. Zum Vergleich: Der Krankenhauszukunftsfonds, der die Digitalisierung der Krankenhäuser vorantreiben soll, ist derzeit auf 4,3 Milliarden Euro angesetzt.

Die Ergebnisse des Gutachtens sollen im September der GMK vorgestellt werden. Gaß erwartet konkrete Entscheidungen bezüglich der Klimainvestitionen im Krankenhausbereich für Anfang 2023.

Bis 2030 klimaneutral werden

Auch der Marburger Bund setzt sich für verstärkte Klimaschutzmaßnahmen in den Krankenhäusern ein. Der Verband will, dass die Krankenhauslandschaft bis spätestens 2030 klimaneutral wird. „Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es finanzieller Anreize und Förderprogramme für klimagerechte Investitionen sowie nachhaltiges Bauen, Sanieren und Umrüsten von Kliniken. Darüber hinaus fordern wir den Gesetzgeber im Bund und in den Ländern auf, verbindliche Klimaschutzrichtlinien für Krankenhäuser festzulegen“, sagte ein Sprecher dem Deutschen Ärzteblatt.

Diese Richtlinie sollte dabei Klimaschutzkonzepte für jedes Krankenhaus berücksichtigen. Kliniken müssten zudem Anreize für klimafreundliches Handeln ihrer Angestellten und Patientinnen und Patienten setzen. Auch der Material- und Ressourcenverbrauch müsse reduziert werden. Bei der Verpflegung der Patientinnen und Patienten als auch der Angestellten müssten die Kriterien einer gesunden und ökologischen Ernährung erfüllt werden. Dabei schlägt der Marburger Bund die Berücksichtigung der „Planetary health diet“ vor. Nicht zuletzt müssten die Kliniken auch bei der Energiegewinnung und -versorgung auf nachhaltige Energiequellen setzen. Und: Vertragspartner und Partnerunternehmen der Krankenhäuser sollen aufgefordert werden, sich den gleichen Klimazielen zu verpflichten, heißt es vom Marburger Bund.

Politik spielt Pingpong

Die Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta forderte die Länder auf, die Krankenhäuser besser zu unterstützen: „Spätestens jetzt, da die Kliniken gestiegene Energiekosten, Digitalisierung, bessere Tarifverträge und die Anpassung der Krankenhäuser an die Klimakrise finanzieren müssen, können sie nicht länger ihre Investitionen aus den laufenden Kosten querfinanzieren.“ Damit sei klar, dass die Länder ihrer Verpflichtung nachkommen müssten, die Krankenhausinvestitionen aus ihren Haushalten zu finanzieren. „Auch deswegen brauchen wir dringend die von der Ampel geplante Krankenhausreform mit einer klaren Krankenhausfinanzierung.“

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sieht allerdings den Bund in der Pflicht. Er forderte den Bund auf, Bayerns Bundesratsinitiative für ein Förderprogramm zur Klimaertüchtigung von Krankenhäusern zeitnah aufzugreifen. Er sagte: „Wir brauchen ein Investitionsprogramm, um die Krankenhäuser energieeffizienter, ressourcenschonender und damit klimafreundlicher zu machen. Es ist völlig klar, dass wir die Kliniken mit den Kosten dafür nicht alleine lassen dürfen.“

Die Bundesregierung startet derweil mit den Vorbereitungen für das Klimaanpassungsgesetz, erklärte Dr. Ute Winkler, Leiterin des Referats „Umweltbezogener Gesundheitsschutz, Klima und Gesundheit“ am Bundesgesundheitsministerium (BMG) vor einigen Tagen. Mit diesem Gesetz sollen messbare Ziele bezüglich Hitzevorsorge oder Gesundheitsprävention umgesetzt werden. Das Klimaschutzsofortprogramm hingegen soll dieses Jahr noch kommen, kündigte Winkler an. Damit sollen acht Milliarden Euro investiert werden, um die Treibhausgasemissionen etwa in Energiewirtschaft, Industrie und Gebäude zu reduzieren. Charlotte Kurz

DKG-Gutachten im Internet:
http://daebl.de/XS24

Ressourcenverbrauch von Krankenhäusern

Das DKG-Gutachten gibt einen Überblick, wie viel Strom, Gas oder Wasser Krankenhäuser pro Jahr verbrauchen. Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2019. So liegt der Stromverbrauch eines Krankenhausbettes bei 10 079 Kilowattstunden pro Jahr. Die Kosten hierfür belaufen sich auf 1 829 Euro. Damit verbraucht ein Krankenhaus pro Bett durchschnittlich doppelt so viel wie ein Privathaushalt mit drei und mehr Personen. Im Klinikalltag fällt auch eine Menge Abfall an. Pro Bett und Jahr kommt Abfall von insgesamt 1 430 Kilogramm zusammen, das ist fast 3-mal so hoch wie das jährliche Abfallaufkommen einer Person in einem Privathaushalt.

Auch beim Thema Frischwasser verbrauchen Kliniken vergleichsweise viel. Pro Bett und Jahr liegt die durchschnittliche Menge an benötigtem Frischwasser bei 113,75 Kubikmeter. Dies kostet knapp 200 Euro jährlich. Der Wasserverbrauch pro Krankenhausbett ist damit fast 2,5-mal so hoch wie der Verbrauch einer Privatperson. Hinzu kommt ein Abwasseraufkommen von rund 108 Kubikmeter und damit verbundene Kosten von etwa 261 Euro pro Bett und Jahr.

Neben Wasser und Strom benötigen die Kliniken auch Gas zur Wärmeerzeugung. Der Verbrauch liegt pro Krankenhaus und Jahr bei etwa 4,9 Millionen Kubikmeter Gas. Das entspreche laut Gutachten Kosten von knapp 345 000 Euro und ist mit dem Jahresverbrauch von 2 939 Einfamilienhäusern zu vergleichen.


Maßnahmen gegen Hitze gefordert

Hinsichtlich weiterer Hitzewellen fordert der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Andreas Gassen, mehr Aufklärung: „Es braucht vor allem mehr praktische Informationen für hitzegefährdete Menschen. Wir haben doch die Zentrale für gesundheitliche Aufklärung, die diesen Job machen könnte: Mit konkreten Empfehlungen, die zu Hauptsendezeiten im TV, vor der Tagesschau oder heute, aber auch im Radio laufen sollten. Mit so einer Kampagne könnten viele erreicht werden, die vielleicht noch nicht wissen, wie sie sich selbst schützen können.“

Die Bundesärztekammer (BÄK) fordert zudem einen nationalen Hitzeschutzplan.

Bund und Länder sollten personelle und räumliche Ressourcen für Maßnahmenpläne bei Hitzewellen für Krankenhäuser, Not- und Rettungsdienste sowie Pflegeeinrichtungen schaffen und langfristig vorhalten können, so BÄK-Präsident Dr. med. (I) Klaus Reinhardt. Wichtig seien etwa Gebäude mit Raumtemperaturüberwachung, kühle Aufenthalts- und Versorgungsbereiche sowie kommunale Hitzeaktionsmaßnahmen. Die Gesundheitseinrichtungen sollten an das Frühwarnsystem des Deutschen Wetterdienstes angeschlossen werden.

„Hitze kann krank machen. Hitzestress und hohe bodennahe Ozonkonzentrationen können insbesondere für vulnerable Personen schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben. Besonders gefährdet sind ältere Menschen und solche mit Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen sowie Schwangere und Kleinkinder“, warnte Reinhardt. Seiner Ansicht nach benötige es ein bundesweites Lagezentrum, das die Maßnahmen zum Hitzeschutz beobachtet und die Menschen in Deutschland über Belastungen bei Hitze informiert.

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