MEDIZIN: Kurzmitteilung
Risikofaktoren für eine Affenpockeninfektion – eine Querschnittstudie
Risk factors for monkeypox infection—a cross-sectional study
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Im Mai 2022 konnte weltweit ein Anstieg von Affenpockeninfektionen beobachtet werden, und allein in Deutschland gab es bis zum 18.10.2022 insgesamt 3 656 registrierte Fälle (1). Der Infektionsweg verschob sich dabei von reiseassoziierten Fällen zu einer autochthonen Übertragung (2). Erste Veröffentlichungen zu bestätigten Affenpockeninfektionen zeigen, dass Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), überproportional häufig betroffen sind, verglichen mit anderen Bevölkerungsgruppen (3, 4). Hierbei scheint die Übertragung auf sexuellem Weg eine wesentliche Rolle zu spielen, da bei den Betroffenen begleitend aufgetretene sexuell übertragbare Infektionen (STI), multiple Sexpartnerinnen und -partner und der Besuch von Sexpartys berichtet wurde (5).
Bisher beschränkte sich die Literatur zu Affenpockeninfektionen meist auf Fallberichte. In dieser Studie beschreiben wir spezifische Risikofaktoren für eine Affenpockeninfektion von in Deutschland lebenden M*SM* (einer weiter gefassten Definition von MSM, um trans und non-binäre Personen zu berücksichtigen), indem wir Daten von infizierten M*SM* mit denen nichtinfizierter M*SM* vergleichen.
Methoden
Zwischen dem 13. und dem 31.08.2022 führten wir eine anonyme Online-Befragung zu Affenpockeninfektion, Risikofaktoren sowie Impfeinstellungen und Erfahrungen mit der Impfung und der Behandlung von Affenpockeninfektionen in Deutschland durch. Wir teilten die Umfrage nach dem Schneeballprinzip mit circa 60 Organisationen, die die Interessen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans, queeren, inter und asexuellen (LSBTQIA) Menschen vertreten. 3 338 Personen haben an der Umfrage teilgenommen. Für unsere Auswertung wurden Teilnehmende ausgeschlossen, die außer den Einleitungsfragen zu Infektions- und Impfstatus keine weiteren Fragen beantwortet hatten (n = 306). Eingeschlossen wurden alle Teilnehmenden, die sich nicht als Frau definierten und die Sex mit Personen haben, die sich ebenfalls nicht als Frau definieren (M*SM*). Für die statistische Auswertung nutzten wir das Statistikprogramm R. Unadjustierte und adjustierte Odds Ratios wurden mittels logistischer Regression errechnet. Wir führten eine Sensitivitätsanalyse mit multipler Imputation von fünf Datensätzen mit Hilfe des MICE Packages durch.
Ergebnisse
1 840 Personen konnten in die Analyse miteinbezogen werden, 62 Teilnehmende berichteten von einer zurückliegenden Affenpockeninfektion (Tabelle 1). Unadjustiert zeigte sich ein erhöhtes Risiko für eine Affenpockeninfektion bei M*SM* mit Analverkehr während des letzten Geschlechtsverkehrs, bei Sex ohne Kondom während des letzten Geschlechtsverkehrs, bei einem positiven HIV-Status, bei M*SM* mit regelmäßiger Einnahme einer Präexpositionsprophylaxe (PReP) und bei M*SM*, die in einer urbanen Umgebung lebten (Tabelle 2). Darüber hinaus erhöhte sich das Risiko mit der Anzahl der Sexualpartner. Die multivariate Regression zeigte ein erhöhtes Risiko für eine Affenpockeninfektion bei Analverkehr während des letzten Geschlechtsverkehrs, bei einer zunehmenden Anzahl von Sexualpartnern in den letzten 12 Monaten, positivem HIV-Status, regelmäßiger Einnahme von PReP, einem niedrigeren Bildungsstatus sowie für M*SM*, die in einer urbanen Umgebung lebten (Tabelle 2). In der Sensitivitätsanalyse ergaben sich keine relevanten Änderungen in der gepoolten imputierten Regression.
Diskussion
Die Beschreibung von Risikofaktoren für eine Affenpockeninfektion beschränkte sich bisher meist auf Fallberichte. Eine Stärke unserer Untersuchung ist die Möglichkeit, eine Gruppe von Personen mit einer Affenpockeninfektion und eine relativ große Gruppe Nicht-Infizierter miteinander zu vergleichen. Durch die Einbeziehung von LSBTQIA-Organisationen ist es uns gelungen, eine große Stichprobe zu generieren.
Ein Großteil der Teilnehmenden identifizierte sich als homosexuell, was sich auch in den veröffentlichten Fallberichten widerspiegelt (3, 4, 5). In unserer Analyse konnte gezeigt werden, dass die in den Fallberichten wiederholt beschriebenen anamnestischen Daten wie die Anzahl der Sexualpartner, positiver HIV-Status und die Einnahme von PrEP Risikofaktoren für eine Affenpockeninfektion darstellen. Weitere, neu benannte Risikofaktoren sind ein Wohnumfeld in einer städtischen Umgebung mit mehr als 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern und ein niedriger Bildungsstatus.
Unsere Untersuchung weist Limitationen auf. Da sie als Umfrage konzipiert wurde, stellen die Daten lediglich Querschnittdaten dar, die mit Einschränkungen für kausale Zusammenhänge einhergehen. Da der Krankheitsstatus auf Selbstbeschreibungen beruht, kann es dabei zu Missklassifikationen kommen. Risikofaktoren wurden ebenfalls selbst berichtet und unterliegen daher möglicherweise einem Recall-Bias. Die Fallberichte beschreiben außerdem einen hohen Anteil an gleichzeitig aufgetretenen STI oder an STI, die sich die Betroffenen in der jüngeren Vergangenheit zugezogen haben (3, 5), was wir im Rahmen unserer Analyse nicht abgefragt hatten. Die Teilnehmenden konnten ihre geschlechtliche Identität selbst angeben was die Verwendung der breiteren Definition von M*SM* in der Analyse ermöglichte. Aufgrund einer zu geringen Fallzahl in den einzelnen Kategorien war es jedoch nicht möglich, Subgruppenanalysen durchzuführen.
Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass M*SM* in urbanen Lebensräumen überproportional häufig von einer Affenpockeninfektion betroffen sind. Dies sollte in künftigen Präventions-, Informations- und Impfkampagnen berücksichtigt werden. Da M*SM* mit einem niedrigeren Bildungsstatus ein erhöhtes Risiko für eine Affenpockeninfektion haben, sollte man diese in den Kampagnen verstärkt ansprechen. Wir ermutigen behandelnde Ärztinnen und Ärzte, bei Personen jeglichen Geschlechts, die ihre Praxis aufsuchen, eine Sexualanamnese zu erheben und sie auf potenzielle Risikofaktoren anzusprechen, um die Prävention von Affenpockeninfektionen zu unterstützen.
Ethikkommission
Die Studie wurde in Übereinstimmung mit der Deklaration von Helsinki und geltendem deutschen Recht durchgeführt. Sie wurde der Ethikkommission der Charité unter der Nummer EA1/180/22 zur Beratung vorgelegt. Alle Teilnehmenden gaben eine elektronische Einverständniserklärung ab.
Interessenkonflikt
Prof. Herrmann ist Sprecher der AG Sexuelle Diversität der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention.
Die übrigen Autoren und die Autorin erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 21.09.2022, revidierte Fassung angenommen: 27.10.2022
Philip Oeser, Hendrik Napierala, Angela Schuster,
Wolfram J Herrmann
Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin and Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Allgemeinmedizin, Berlin (Oeser, Napierala, Schuster, Herrmann)
wolfram.herrmann@charite.de
Zitierweise
Oeser P, Napierala H, Schuster A, Herrmann WJ: Risk factors for monkeypox infection—a cross-sectional study. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: online first. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0365
Dieser Beitrag erschien online am 08.11.2022 (online first) unter www.aerzteblatt.de
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
1. | Robert Koch-Institut: Internationaler Affenpocken-Ausbruch: Fallzahlen und Einschätzung der Situation in Deutschland, Stand: 18.10.2022. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/A/Affenpocken/Ausbruch-2022-Situation-Deutschland.html (last accessed on 20 October 2022). |
2. | Selb R, Werber D, Falkenhorst G, et al.: A shift from travel-associated cases to autochthonous transmission with Berlin as epicentre of the monkeypox outbreak in Germany, May to June 2022. Euro Surveill 2022; 27: 2200499 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
3. | Hoffmann C, Jessen H, Wyen C, et al.: Monkeypox in Germany–initial clinical observations. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 551–7 CrossRef |
4. | Girometti N, Byrne R, Bracchi M, et al.: Demographic and clinical characteristics of confirmed human monkeypox virus cases in individuals attending a sexual health centre in London, UK: an observational analysis. Lancet Infect Dis 2022; 22: 1321–8 CrossRef |
5. | Thornhill JP, Barkati S, Walmsley S, et al.: Monkeypox virus infection in humans across 16 countries — April–June 2022. N Engl J Med 2022; 387: 679–91 CrossRef MEDLINE |