MEDIZIN: Kurzmitteilung
Verminderte COPD-Exazerbationsraten während der COVID-19-Pandemie
Decreased COPD exacerbation rates during the COVID-19 pandemic
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Die Inzidenz infektiöser Erkrankungen ist seit dem Beginn der COVID-19-Pandemie gesunken. Dieser Trend war auch 2020 in Deutschland sichtbar. Ein Rückgang war vor allem bei Reise-assoziierten Erkrankungen, Infektionen des Magen-Darm-Traktes, Masern, invasiven Haemophilus-influenzae-Infektionen und der Influenza zu verzeichnen (1).
Akute Exazerbationen der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (AECOPD) gehen mit einer schlechten Prognose und einer Progression der Erkrankung einher. Dabei spielen Infektionen eine bedeutende Rolle. Virale Infektionen, wie durch Rhinovirus, Influenza und Parainfluenza, sind hier in etwa 30–60 % der Auslöser. Die am häufigsten auftretenden bakteriellen Pathogene sind Haemophilus influencae, Streptococcus pneumoniae, Moraxella catarrhalis und Pseudomonas aeruginosa (2). Die Vermeidung von Exazerbationen ist eines der wichtigsten Ziele in der Behandlung der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD).
Während der COVID-Pandemie wurden eine Reihe von Verhaltensregeln angeordnet, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Unabhängig von deren Effektivität waren diese geeignet, auch andere respiratorisch übertragbare Infektionen zu verhindern. Erste Berichte fanden eine Reduktion der AECOPD-Raten um 50 %:
Alsallakh et al. analysierten Daten des walisischen und schottischen Gesundheitssystems. Dabei wurde die wöchentliche Anzahl von Krankenhauseinweisungen wegen einer COPD (ICD-10: J43/44) und die COPD-spezifische Sterberate in den ersten 30 Wochen des Jahres 2020 mit den fünf vorhergehenden Jahren verglichen. Die Autorinnen und Autoren fanden eine Reduktion der Krankenhauseinweisungen von 52 % in Schottland und 40 % in Wales ohne eine Änderung der Sterberaten (3). Ebenso zeigte sich in elf Krankenhäusern in Maryland/USA die Hospitalisierung aufgrund einer AECOPD um 54,8 % reduziert (4). Eine Datenerhebung aus Slowenien fand eine Verminderung schwerer Exazerbationen um 48 % und moderater Ereignisse um 34 % (5).
Diese Daten klären wegen der fehlenden Differenzierung zwischen ambulanter und hospitalisierter AECOPD nicht die Frage, ob es lediglich zu weniger Krankenhauseinweisungen oder einer generellen Reduktion der AECOPD-Rate aufgrund präventiver Maßnahmen kam. Ebenso lassen sich Einflüsse auf die saisonal erhöhte Exazerbationsrate nicht ableiten.
Methode und Ergebnisse
Um diese Frage zu klären, werteten wir anonymisierte Daten einer großen Krankenkasse mit 4,5 Millionen Versicherten aus (AOK Sachsen und Thüringen). Zwischen 2016 und 2021 wurden die Daten von 516 591 an AECOPD Erkrankten (inklusive J44.0 oder J44.1; ICD-10) erfasst. Dabei wurden 466 841 Patientinnen und Patienten ambulant und 49 750 im Krankenhaus behandelt. Von 2016–2019 fanden sich durchschnittlich 81 628 ambulante und 9 378 hospitalisierte Patientinnen und Patienten mit AECOPD. Im Jahr 2020 fiel die Anzahl der ambulant betreuten Patientinnen und Patienten mit AECOPD um 9,7 % (73 702) und im Jahr 2021 um 18,4 % (66 629) ab (Grafik).
Die Hospitalisierungen aufgrund einer AECOPD sind im Jahr 2020 um 27,6 % (6 791) gesunken und gingen im Jahr 2021 um 41,9 % (5 447) zurück. Das Risiko für eine AECOPD fiel somit von ungefähr 3/100 (0,28 %) in den Jahren 2016–2019 auf etwa 2/1000 (0,18 %) im Jahr 2020 und 1/1000 (0,12 %) im Jahr 2021.
Der saisonale Anstieg von Patientinnen und Patienten mit AECOPD im 1. Quartal jeden Jahres, der aufgrund der Influenzapandemie 2018 besonders deutlich ausfiel, war 2021 nicht nachweisbar. Insgesamt war die Zahl hospitalisierter im Vergleich zu ambulanten Exazerbationen deutlicher reduziert.
Zusätzlich betrachteten wir die Daten hospitalisierter Patientinnen und Patienten mit AECOPD in drei Krankenhäusern der Grundversorgung (Emden/Aurich/Norden, Niedersachsen) und einer Universitätsklinik (Leipzig, Sachsen). Die Krankenhauseinweisungen aufgrund einer AECOPD sind im Jahr 2020 in allen Häusern um 28 % (733) und im Jahr 2021 um 37 % (633) zurückgegangen. In den Jahren 2016–2019 wurden durchschnittlich 1 008 Patientinnen und Patienten stationär aufgenommen.
Diskussion
Die erhobenen Daten bestätigen zuvor publizierte Ergebnisse und zeigen eine generelle Reduktion der Anzahl an Patientinnen und Patienten mit AECOPD sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich auf. Zusätzlich konnte eine Verminderung der saisonalen Exazerbationsraten während der Pandemie festgestellt werden. Leider konnten aus den genannten Datenquellen keine krankheitsspezifischen Sterberaten abgeleitet werden. Möglicherweise sind für die Veränderungen der Exazerbationsraten die präventiven Maßnahmen zur Vermeidung einer COVID-Infektion verantwortlich. Hierzu zählen insbesondere
- das Tragen von Masken
- die Minimierung sozialer Kontakte
- der räumliche Abstand
- eine verbesserte Händehygiene
- Impfungen.
Natürlich kann auch das Eigenmanagement der Exazerbation aus Angst vor einem Arztkontakt die Zahl der erfassten Patientinnen und Patienten mit AECOPD beeinflussen. Die hier gezeigte Analyse kann schlussendlich nicht sicher die Gründe für die Reduktion der Anzahl an Patientinnen und Patienten mit AECOPD benennen.
Da die Mehrzahl der Exazerbationen einer COPD auf Infektionen zurückzuführen ist, liegt die Vermutung nahe, dass diese Ereignisse und der saisonale Anstieg durch präventive Maßnahmen beeinflusst werden können. Daraus sollte die Empfehlung abgeleitet werden, dass Patientinnen und Patienten mit einem höheren Risiko für eine AECOPD präventive Maßnahmen ergreifen. Hierzu zählen das Tragen von Masken in beengten und öffentlichen Bereichen und das Einhalten eines Mindestabstandes. Dies erscheint besonders wichtig während des saisonal vermehrten Auftretens viraler Infektionen.
PD Dr. med. habil. Jens Bräunlich, Prof. Dr. med. Hubert Wirtz
Abteilung für Pneumologie, Universität Leipzig
highflow@web.de
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 25.08.2022, revidierte Fassung angenommen: 08.11.2022
Zitierweise
Bräunlich J, Wirtz H: Decreased COPD exacerbation rates during the COVID-19 pandemic. Dtsch Arztebl Int 2022; 119 (online first). DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0376
Dieser Beitrag erschien online am 22.11.2022 (online first)
unter www.aerzteblatt.de
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
1. | Robert Koch-Institut: yearbook. www.rki.de/EN/Content/infections/epidemiology/inf_dis_Germany/yearbook/yearbook_summary_2020.html (last accessed on 9 November 2022). |
2. | Sethi S, Murphy TF: Infection in the pathogenesis and course of chronic obstructive pulmonary disease. NEJM 2008; 359: 2355–65 CrossRef MEDLINE |
3. | Alsallakh MA, Sivakumaran S, Kennedy S, et al.: Impact of COVID-19 lockdown on the incidence and mortality of acute exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease: national interrupted time series analyses for Scotland and Wales. Bmc Med 2021; 19: 124 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
4. | Dezman ZDW, Stryckman B, Zachrison KS, et al.: Masking for COVID-19 is associated with decreased emergency department utilization for non-COVID viral illnesses and respiratory conditions in Maryland. Am J Medicine 2021; 134: 1247–51 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
5. | Sarc I, Dolinar AL, Morgan T, et al.: Mortality, seasonal variation, and susceptibility to acute exacerbation of COPD in the pandemic year: a nationwide population study. Ther Adv Respir Dis 2022; 16; doi:10.1177/17534666221081047 CrossRef MEDLINE PubMed Central |