MEDIZINREPORT: Studien im Fokus
Epilepsiechirurgie: Risikofaktoren für signifikante kognitive Einbußen im Langzeitverlauf identifiziert


Für Patienten mit Epilepsie, bei denen die Pharmakotherapie keine ausreichende Wirkung zeigt, ist die Epilepsiechirurgie die Methode der Wahl. Die meisten Eingriffe erfolgen am Seitenlappen wegen Temporallappen-Epilepsie (TLE). Die häufigsten neuropathologischen Diagnosen sind Hippocampus-Sklerose (HS), hochdifferenzierte, typischerweise glioneuronale Tumoren (LEAT) und fokale kortikale Dysplasien (FCD). Die erhoffte Attackenfreiheit wird mit der Möglichkeit postoperativer neuropsychologischer Auffälligkeiten „erkauft“, zum Beispiel Verlust des episodischen Gedächtnisses. Zwar können sich solche Hirnleistungen langfristig erholen, doch bei einem Teil der Patienten kommt es Monate oder Jahre nach dem Eingriff zu unerwarteten Leistungseinbrüchen.
Ein Forscherteam der Klinik für Epileptologie und des Instituts für Neuropathologie des Universitätsklinikums Bonn hat jetzt nach Ursachen für einen solchen langfristig postoperativen kognitiven Abbau gesucht und konnte dabei auf Hirngewebeproben zurückgreifen, die über einen Zeitraum der letzten 22 Jahre entnommen worden waren. Bei der Untersuchung der Krankenakten von 355 wegen Epilepsie operierten Patienten, von denen die Ergebnisse von mindestens 2 postoperativen kognitiven Einschätzungen vorlagen, erfüllten 30 Patienten – also knapp 8 % – die Definition einer signifikanten kognitiven Einbuße. Von 24 lagen Gewebeproben vor, die zwischen 1988 und 2019 reseziert und intensiv neuropathologisch untersucht wurden. Das Durchschnittsalter dieser Patienten bei Manifestation der Epilepsie betrug 16,5 Jahre. Die Operation – zu 88 % am Temporallappen – erfolgte im Durchschnittsalter von 34,7 Jahren. 7 Patienten hatten psychiatrische Komorbiditäten wie Borderline-Störung oder Depressionen und je 2 Patienten hatten eine perinatale Hypoxie beziehungsweise Asphyxie oder eine Zangengeburt hinter sich.
Ein wesentlicher, zu kognitiven Einbußen beitragender Faktor war der postoperative Attackenstatus: nur 4 Patienten (17 %) waren völlig attackenfrei, 10 Patienten (42 %) hatten nach initialer Attackenfreiheit einen Rückfall. Die neuropathologischen Befunde der betroffenen Patienten (n = 12) waren in der Hälfte der Fälle eine Hippocampus-Sklerose, ein LEAT bei 3 Patienten und bei je einem Betroffenen ein niedriggradiges Astrozytom, ein niedriggradiger polymorpher neuroepithelialer Tumor, eine kortikale Dysplasie und ein Kavernom. Bei 3 Patienten lagen Hippocampi ohne segmentale Neurodegeneration und bei 2 Patienten extemporales Hirngewebe mit diffuser reaktiver Gliose vor. Die Mehrzahl der Gewebeproben hatte pathologische Veränderungen, die im Kontext der Epilepsiechirurgie für die Autoren eher unerwartet waren.
Fazit: „Diese Studie zeigt die hohe Bedeutung von Langzeitverlaufsuntersuchungen zur kognitiven Entwicklung bei Epilepsiepatienten, insbesondere auch nach epilepsiechirurgischen Eingriffen“, erklärt Prof. Dr. med. Andreas Schulze-Bonhage, Abteilungsleiter des Epilepsiezentrums am Neurozentrum des Universitätsklinikums Freiburg. „Es wird wichtig sein, für die hier histopathologisch gefundenen Hinweise für aktive neurodegenerative oder entzündliche Prozesse bei Patienten mit postoperativen kognitiven Verschlechterungen bildgebende und elektrophysiologische Korrelate zu identifizieren, die eine präoperative Erkennung dieser Risikofaktoren ermöglichen und damit in den therapeutischen Entscheidungsprozess und die Beratung der Patienten einfließen können.“ Dr. med. Ronald D. Gerste
Reimers A, Helmstaedter C, Elger CE, et al.: Neuropathological insights into unexpected cognitive decline in epilepsy. Ann Neurol 2022; DOI: 10.1002/ana.26557.