ArchivDeutsches Ärzteblatt4/2023Hebammengeleitete Kreißsäle: Gutes Angebot bei geringem Risiko

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Hebammengeleitete Kreißsäle: Gutes Angebot bei geringem Risiko

Osterloh, Falk

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Die Bundesregierung will hebammengeleitete Kreißsäle stärken, um die Kaiserschnittrate in Deutschland zu senken. Für Niedrigrisikoschwangerschaften ist das der richtige Ansatz, betonen die Gynäkologen. Für das Gros der Schwangerschaften jedoch nicht.

Kreißsaal im Heilig Geist-Krankenhaus in Köln. Foto: Tim Friesenhagen
Kreißsaal im Heilig Geist-Krankenhaus in Köln. Foto: Tim Friesenhagen

Die Kaiserschnittrate hat sich in Deutschland in den letzten 30 Jahren in etwa verdoppelt: von 15,3 Prozent im Jahr 1991 auf 29,7 Prozent im Jahr 2020. Vor diesem Hintergrund hat sich die Bundesregierung vorgenommen, in dieser Legislaturperiode den Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle zu stärken. Dabei handle es sich allerdings nicht um einen physischen Ort, sondern um ein Konzept, wie Andrea Ramsell, Präsidiumsmitglied im Deutschen Hebammenverband (DHV), gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) erklärt. Eine hebammengeleitete Geburt finde in den gleichen geburtshilflichen Räumen statt wie eine ärztliche Geburt, allerdings übernähmen dabei ausschließlich Hebammen die Geburtsanmeldung, die Geburt und das Wochenbett.

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) berichtet, dass sich etwa 20 Prozent der Gebärenden für eine Geburt in einem hebammengeleiteten Kreißsaal entschieden. „Dabei handelt es um Niedrigrisikoschwangerschaften“, sagt Prof. Dr. med. Angela Köninger, Mitglied des geschäftsführenden DGGG-Vorstands, dem . „Die aktuelle Datenlage zeigt, dass Niedrigrisikoschwangere, die unter der Geburt keine weiteren Risiken entwickeln und ohne Schmerzerleichterung, zum Beispiel Periduralanästhesie, auskommen und folglich keinen Transport in einen ärztlich geleiteten Kreißsaal benötigen, mit gleichem mütterlichen wie kindlichen Outcome bei geringeren intrapartalen Kaiserschnittraten im hebammengeleiteten Kreißsaal entbinden.“ Als großen Vorteil eines hebammengeleiteten Kreißsaals bewertet sie die damit verbundene engmaschigere und somit auch persönlichere Betreuung der Gebärenden durch die Hebamme im Rahmen einer 1 : 1-Betreuung. Die DGGG unterstützt deshalb den Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle im Hinblick auf eine medizinisch adäquate, frauenzentrierte und personal- und kosteneffektive Betreuung von Niedrigrisikogebärenden.

Niedriges Geburtsrisiko

„Ein hebammengeleiteter Kreißsaal funktioniert nur, wenn sich Ärzte und Hebammen im Team vertrauen.“ Claudius Fridrich, Heilig Geist-Krankenhaus. Foto: Kai Funck
„Ein hebammengeleiteter Kreißsaal funktioniert nur, wenn sich Ärzte und Hebammen im Team vertrauen.“ Claudius Fridrich, Heilig Geist-Krankenhaus. Foto: Kai Funck

Das Heilig Geist-Krankenhaus bietet seit 2018 hebammengeleitete Geburten an. Das Krankenhaus, das im Kölner Norden liegt und zu den Cellitinnen gehört, verfügt über 291 Betten. Rund 1 700 Kinder kamen hier im Jahr 2022 zur Welt. „Wir wollen den Frauen ein Angebot machen, die eine hebammengeleitete Geburt wünschen, die aber aus Sicherheitsgründen nicht zu Hause oder in einem Geburtshaus entbinden möchten, sondern in einem Krankenhaus“, erklärt der Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Dr. med. Claudius Fridrich, dem . Das Krankenhaus hat gute Erfahrungen mit diesem Angebot gemacht. „Bei den hebammengeleiteten Geburten gibt es nicht mehr Komplikationen als bei Geburten, die von Ärztinnen und Ärzten geleitet werden“, sagt Fridrich. „Zudem haben wir bei den hebammengeleiteten Geburten eine niedrige Kaiserschnittrate.“

Dass im Gesamtdurchschnitt etwa zwei Drittel der hebammengeleiteten Geburten in allen Kliniken in eine gemeinsame Hebamme-Arzt-Betreuung übergeleitet werden, liegt daran, dass sich viele Frauen unter der Geburt dazu entscheiden, doch eine Periduralanästhesie zu erhalten. Im vergangenen Jahr wollten 155 Frauen am Heilig Geist-Krankenhaus im Rahmen einer hebammengeleiteten Geburt entbinden. 92 von ihnen wurden dabei in eine von Ärzten und Hebammen gemeinsam geleiteten Geburt überführt – überwiegend, weil sie eine Analgesie wünschten.

„In Köln sind wir das einzige Krankenhaus, das eine hebammengeleitete Geburt anbietet. Das ist natürlich ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt Fridrich. „Ich rate allerdings davon ab, dieses Angebot in der Hoffnung zu machen, damit viel Geld verdienen zu können. Dafür sind die personellen Vorhaltekosten viel zu hoch.“ Allerdings habe das Angebot dazu beigetragen, dass im Heilig Geist-Krankenhaus alle Hebammenstellen besetzt sind. Derzeit sind 35 Hebammen in dem Krankenhaus angestellt. Das entspricht etwa 20 Vollzeitstellen.

Und wie funktioniert das Miteinander im Team, wenn eine Geburtsklinik hebammengeleitete Geburten anbietet? „Ein hebammengeleiteter Kreißsaal funktioniert nur, wenn sich die Ärztinnen und Ärzte und die Hebammen im Team vertrauen“, betont Fridrich. „Die Hebammen müssen darauf vertrauen können, dass sich die Ärzte nicht einmischen, solange eine hebammengeleitete Geburt ohne Komplikationen verläuft. Und die Ärztinnen und Ärzte müssen darauf vertrauen können, dass die Hebammen sie sofort dazurufen, wenn es Komplikationen gibt.“ Ein solches Vertrauen könne nur mit der Zeit wachsen. „Wir haben uns deshalb ein Jahr Zeit gegeben, um dieses Angebot vorzubereiten“, berichtet Fridrich. „In dieser Zeit haben wir viele Gespräche geführt. Und wir haben die Spielregeln des Konzepts klar kommuniziert.“

„Die Nachfrage nach der hebammengeleiteten Geburtshilfe ist deutlich höher als das vorhandene Angebot.“ Andrea Ramsell, Deutscher Hebammenverband. Foto: DHV Plambeck
„Die Nachfrage nach der hebammengeleiteten Geburtshilfe ist deutlich höher als das vorhandene Angebot.“ Andrea Ramsell, Deutscher Hebammenverband. Foto: DHV Plambeck

Der Deutsche Hebammenverband fordert von der Politik einen deutlichen Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle inklusive einer ausreichenden personellen Ausstattung. „Die Nachfrage nach der hebammengeleiteten Geburtshilfe innerhalb klinischer Versorgungsstrukturen ist deutlich höher als das vorhandene Angebot“, sagt Ramsell. Denn die große Mehrzahl der Gebärenden wünsche sich eine interventionsfreie beziehungsweise interventionsarme Geburt, ohne auf die Notfallversorgung und die personelle Ausstattung einer Klinik verzichten zu wollen. „Besonders bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass die Zufriedenheit der Frauen sehr hoch ist, unabhängig davon, ob die Geburt tatsächlich vollständig im Hebammenkreißsaal stattgefunden hat oder die Betreuung in den interprofessionellen Kreißsaal überführt und dort beendet wurde“, sagt Ramsell mit Verweis auf den Abschlussbericht des von der Landesregierung NRW geförderten „Forschungsprojekts Hebammenkreißsaal“ der Universitätsklinik Bonn aus dem Jahr 2020, in dem alle 612 hebammengeleiteten Geburten an der Uniklinik zwischen 2010 und 2017 ausgewertet wurden.

Auf Basis dieser Studie hat sich die nordrhein-westfälische Landesregierung dafür ausgesprochen, die Zahl der hebammengeleiteten Kreißsäle im Land zu erhöhen. Im Rahmen eines dazu eigens entwickelten Förderprogramms konnten Krankenhäuser bis zu 25 000 Euro erhalten, um Hebammenkreißsäle als ergänzendes Angebot in vorhandenen Räumlichkeiten anzubieten. 19 Krankenhäuser haben entsprechende Fördermittel für die Durchführung von Fortbildungen und interdisziplinären Workshops erhalten. Damit erhöht sich die Anzahl der Kliniken, die in Nordrhein-Westfalen zukünftig einen hebammengeleiteten Kreißsaal anbieten, auf 27 bei insgesamt 132 Geburtsabteilungen im Land. Ein weiteres Förderprogramm „Hebammenkreißsaal“ ist in Vorbereitung. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) freute sich über diese Entwicklung. „Hebammengeleitete Kreißsäle sind ein wichtiger Baustein zur Verbesserung der klinischen Versorgung“, sagt er. „Nordrhein-Westfalen ist bei Hebammenkreißsälen bundesweit führend.“ Dem DHV zufolge gibt es bundesweit insgesamt 46 hebammengeleitete Kreißsäle.

Die DGGG weist allerdings darauf hin, dass hebammengeleitete Kreißsäle kein Angebot für Risikoschwangere sind. „Frauen, die keine Niedrigrisikogebärenden sind, profitieren nicht von einem Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle“, betont Köninger. So sieht die DGGG im Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle auch keine effektive Maßnahme zur Senkung der Kaiserschnittraten in einer Gesamtpopulation. „Wenn es das Ziel ist, im Gros der Fälle die Sectioraten zu reduzieren, so kann dies folgendermaßen verwirklicht werden: Hochspezialisierte und hocherfahrene interdisziplinäre Behandlungsteams, bestehend aus Hebammen, ärztlichen Geburtshelferinnen und -helfern, Pränataldiagnostikern, Anästhesisten und Neonatologen in 24-Stunden-Präsenz können aufgrund ihrer diagnostischen, operativen und chirurgischen Möglichkeiten und entsprechender Erfahrungen auch in Hochrisikosituationen oft die vaginale Geburt ermöglichen“, betont Köninger. „Ein flächendeckendes Angebot von Verfügbarkeit und Erreichbarkeit solcher Behandlungssettings ist unserer Ansicht nach in der Lage, die Gesamtkaiserschnittraten zu senken.“ Falk Osterloh

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