ArchivDeutsches Ärzteblatt4/2023Geburtshilfe: Zu wenig Geld, zu wenig Ärzte

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Geburtshilfe: Zu wenig Geld, zu wenig Ärzte

Osterloh, Falk

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Wegen der anhaltenden Schließungen von Geburtskliniken in Deutschland gibt es mittlerweile eine geburtshilfliche Unterversorgung in einigen ländlichen Regionen. Mehr Geld vom Bund soll die Kliniken finanziell stützen. Und gegen den Fachkräftemangel soll eine Zentralisierung helfen.

Foto: GordonGrand/stock.adobe.com
Foto: GordonGrand/stock.adobe.com

Während der Coronapandemie sind die Fallzahlen in den deutschen Krankenhäusern weiter zurückgegangen. Wie eine Erhebung der Technischen Universität Berlin ergeben hat, sanken die Fallzahlen im gesamten Jahr 2020 um 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2021 gingen sie um weitere fünf Prozent zurück. Nur eine Indikation war von dieser Entwicklung nicht betroffen: Die Zahl der Geburten stieg in den ersten fünf Monaten des Jahres 2021 um vier Prozent an.

Ein gegenteiliges Bild zeigt sich bei der Entwicklung der Geburtskliniken in Deutschland. Gab es im Jahr 1991 hierzulande noch 1 186 geburtshilfliche Abteilungen, sind es heute noch etwa 600, wie die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) erklärt. Wer die Lokalnachrichten verfolgt hat, stieß auch Ende vergangenen Jahres immer wieder auf Berichte über Krankenhäuser, die ihre Geburtshilfen geschlossen haben. Zum Beispiel die Wertachklinik Bobingen im Landkreis Augsburg, die Paracelsus-Klinik im schleswig-holsteinischen Henstedt-Ulzburg oder die Lahn-Dill-Kliniken im hessischen Dillenburg – alles Kliniken mit vergleichsweise wenigen Geburten. So wurden in Dillenburg in drei Kreißsälen pro Jahr zwischen 450 und 500 Kinder geboren.

Niedrige Geburtenzahlen

Zurzeit betreuen circa 300 Kliniken pro Jahr mehr als 1 000 Geburten, wie die DGGG erklärt. Jeweils 100 Kliniken betreuen zwischen 700 und 999 Geburten, zwischen 500 und 700 Geburten und unter 500 Geburten im Jahr. „Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten existiert in Deutschland eine hohe Anzahl von Geburtskliniken mit niedrigen Geburtenzahlen“, berichtet Prof. Dr. med. Markus Schmidt, Vertreter der Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin im erweiterten DGGG-Vorstand.

Ist Deutschland denn heute nach den zahlreichen Schließungen in manchen Regionen im Bereich der Geburtshilfe unterversorgt? Die Maßgabe dafür sei die Erreichbarkeit einer Geburtshilfe innerhalb einer Region, sagt Schmidt. „Eine geburtshilfliche Einrichtung sollte in 40 Minuten Autofahrzeit erreichbar sein. Während in den Ballungszentren das Klinikangebot sehr hoch ist und teilweise ein Überangebot besteht, haben dünn besiedelte Regionen in Deutschland zunehmend Probleme, eine adäquate, geburtshilfliche Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.“ Einem Gutachten des IGES-Instituts zufolge erreichten dennoch zur stationären Hebammenversorgung 97 Prozent der Frauen in weniger als 40 Minuten und 88 Prozent in weniger als 30 Minuten die nächstgelegene Geburtsklinik.

„In einigen dünn besiedelten Regionen befinden sich typischerweise Geburtskliniken mit geringen Geburtenzahlen, die sich wirtschaftlich nicht tragen und zunehmende Personalengpässe haben“, erklärt Schmidt. „Für das Jahr 2023 erhalten 56 geburtshilfliche Abteilungen Sicherstellungszuschläge, um die Versorgung Schwangerer in diesen Regionen zu gewährleisten.“ Der Bundesregierung ist das Problem der Unterfinanzierung bewusst. Mit dem vor Kurzem verabschiedeten Krankenhauspflegeentlastungsgesetz wurde den Bundesländern 240 Millionen Euro für die Unterstützung der Geburtshilfe zugesprochen (Kasten). „Die Maßnahmen des Gesetzes bewerten wir positiv“, sagt Schmidt „Jedoch reichen sie nicht aus, um eine Verbesserung der geburtshilflichen Versorgung zu gewährleisten.“

Zentralisierung der Geburtshilfe

Aus Sicht der DGGG sollte die geburtshilfliche Versorgung nach bestem Wissensstand, optimaler Ausstattung und innerhalb der bestmöglichen regionalen Versorgungsstruktur erfolgen. „Dieses lässt sich nur durch eine Zentralisierung der Geburtshilfe erreichen, die aber aufgrund der unterschiedlichen strukturellen Voraussetzungen durch einen strukturierten regionalen Versorgungsplan organisiert werden muss“, meint Schmidt. „Kliniken der geburtshilflichen Basisversorgung sollten in angemessener Zeit erreichbar sein. Die Betreuung von Risikoschwangerschaften und -geburten in den Perinatalzentren sollte ebenfalls so umgestellt werden, dass in ländlichen Gegenden eine gute Erreichbarkeit durch den Rettungsdienst gewährleistet ist und in dicht besiedelten Regionen eine Überversorgung vermieden wird.“ Um eine Geburtshilfe auch wirtschaftlich betreiben zu können, bedürfe es sowohl personeller, apparativer wie auch baulicher Vorhaltungen, die finanziert werden müssten. Diese Vorhaltekosten würden jedoch in der derzeitigen DRG-basierten Finanzierung nicht abgebildet. Die Geburtshilfe in Deutschland sei deshalb unterfinanziert.

Aus qualitativer Hinsicht sollte eine geburtshilfliche Abteilung eine personelle und technische Mindestausstattung vorhalten, fordert Schmidt. „Dies beinhaltet in jedem Fall die Anwesenheit einer Hebamme. Weiterhin sollte ein Fachärztin oder ein Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im 24-Stunden-Bereitschaftsdienst vor Ort zur Verfügung stehen, um jederzeit eine Notsectio mit einer Entscheidung-Entbindungszeit von maximal 20 Minuten sicherstellen zu können.“ Weiterhin solle ein Facharzt für Anästhesie im 24-Stunden-Bereitschaftsdienst vor Ort zur Verfügung stehen.

„Kliniken mit deutlich weniger als 1 000 Geburten sollten nur noch in den strukturschwachen Regionen aufrechterhalten werden, in denen bei Schließung eine Erreichbarkeit einer Geburtsklinik innerhalb von 40 Autofahrminuten für den Großteil der Bevölkerung nicht realisierbar ist“, fordert Schmidt. „Das Bestehen dieser Kliniken sollte durch Sicherstellungszuschläge politisch sichergestellt werden.“

Die Finanzierung ist das eine Problem, das die Geburtshilfe in Deutschland hat. Das andere ist der Fachkräftemangel. „Wir begrüßen eine finanzielle Stärkung der Geburtshilfe“, erklärt der Sprecher der Geschäftsführung der Lahn-Dill-Kliniken, Tobias Gottschalk, gegenüber dem . „Jedoch hätte diese keinen Einfluss auf die Schließung der Geburtshilfe in Dillenburg gehabt.“ Denn diese sei wegen fehlender personeller Kapazitäten geschlossen worden. „Ausschlaggebend war, dass wir keine Gynäkologen finden konnten, um die Geburtshilfe weiterbetreiben zu können“, sagt Gottschalk.

Hätte es denn politische Maßnahmen gegeben, die eine Schließung der Geburtsstation in Dillenburg hätten verhindern können? „Sicherlich gibt es einige Weichenstellungen, die bereits vor vielen Jahren hätten erfolgen müssen“, meint Gottschalk. „So wäre eine Aufstockung der Studienplätze im Bereich Medizin und dadurch eine frühzeitige Ausbildung von Fachärzten möglicherweise eine sinnvolle Maßnahme gewesen, dem Ärztemangel entgegenzuwirken.“

Zunehmender Fachkräftemangel

Für Schmidt von der DGGG macht der zunehmende Mangel an Fachkräften in der Geburtshilfe, der sich in den nächsten 20 Jahren weiter verschärfen werde, eine weitere Zentralisierung unabdingbar, um eine gute personelle Ausstattung der verbleibenden geburtshilflichen Abteilungen zu sichern. „Schließungen kleinerer Bereiche sollten in jedem Fall geplant im Rahmen eines strukturierten regionalen Versorgungsplans erfolgen, um gegebenenfalls rechtzeitig bauliche und personelle Erweiterungen in Nachbarkliniken realisieren zu können“, betont er. In diesen Abteilungen könnte dann auch eine 1 : 1-Betreuung durch Hebammen und eine qualitativ hochwertige ärztliche Versorgung realisiert werden.

Derzeit gibt es keinen strukturierten Versorgungsplan, nach dem Geburtskliniken geschlossen werden. Ist denn im Lahn-Dill-Kreis jetzt die geburtshilfliche Versorgung gefährdet? „In der Umgebung gibt es Geburtsabteilungen am Klinikum Wetzlar, am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, am Diakonie Klinikum Jung-Stilling in Siegen, dem St. Marien Krankenhaus in Siegen und dem St. Josefs Krankenhaus Balserische Stiftung in Gießen. „Wir gehen davon aus“, sagt Gottschalk, „dass nach der Schließung der Geburtshilfe in Dillenburg alle Schwangeren in einer dieser Kliniken versorgt werden können.“ Falk Osterloh

Mehr Geld für die Geburtshilfe

Im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz ist festgelegt, dass die Bundesländer in den Jahren 2023 und 2024 jeweils 120 Millionen Euro zusätzlich für die Geburtskliniken erhalten. Das Geld wird nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt, der sich zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen in den jeweiligen Ländern richtet und zu einem Drittel nach der Bevölkerungszahl. Nordrhein-Westfalen, beispielsweise, erhält demnach 25,3 Millionen Euro, Bayern 18,7 Millionen, Berlin 6,2 Millionen und Thüringen 3,2 Millionen Euro.

Die Krankenhausplanungsbehörden der Länder können bestimmen, welche Kliniken von den Bundesmitteln profitieren. Dabei soll jedoch die Vorhaltung einer Pädiatrie sowie einer Neonatologie am Krankenhausstandort ebenso berücksichtigt werden wie der Anteil vaginaler Geburten, die Geburtenzahl und die Durchführung von Praxiseinsätzen im Rahmen des berufspraktischen Teils des Hebammenstudiums. Zudem sollen die Länder auf die Verteilung der Krankenhäuser achten: In Ballungszentren sollen die Fördermittel an die Häuser gehen, die bereits eine „relevante Geburtenzahl“ haben, in ländlichen Regionen „kann es sinnvoll sein, Krankenhäuser in dünn besiedelten Regionen mit einer geringen Anzahl von Frauen im gebärfähigem Alter zu unterstützen“.

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