

Es ist eine katastrophale Entwicklung, die vergangene Woche mit den neuen Zahlen zur Organspende bekannt wurde. Die Anzahl der im Jahr 2022 postmortal gespendeten Organe (2 662) ging sogar noch hinter den Wert von 2013 (3 035) zurück, der damals vom sogenannten Transplantationsskandal geprägt war. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ging direkt in die Offensive und forderte eine erneute Debatte zur Widerspruchslösung. 2020 war sein Anlauf für solch eine Lösung im Bundestag gescheitert.
Wie sehr die Diskussion um die Organspende immer wieder auf Einzelfragen und insbesondere eine Entscheidungs- oder Widerspruchslösung verkürzt wird, machte die Kritik aus den eigenen Reihen der Regierungsfraktionen deutlich, die Lauterbach einen nicht abgesprochenen Vorstoß vorwarfen. Dass Alleingänge des Bundesgesundheitsministers inzwischen regelhaft daherkommen, ist politisch sicher schwierig. In diesem Fall schafft es aber einen Impuls, sich die Sachlage nochmals anzuschauen.
Denn die Einwände, man müsse doch abwarten, bis das 2020 beschlossene Transplantationsgesetz in Gänze umgesetzt sei, wird wohl nicht ausreichen angesichts dieses deprimierenden Tiefpunkts der Zahlen. Zudem geht es eben nicht darum, das bisherige Gesetz zugunsten einer Widerspruchslösung abzulösen. Denn sie kann nur ein Teil von gesetzlichen Maßnahmen sein.
Das immer noch nicht umgesetzte Organspenderegister ist zum Beispiel ein wichtiger Baustein für eine mögliche Steigerung der Spenderzahlen. Nur krankt es wie bei anderen Datenregistern im Gesundheitswesen an der Umsetzung. Die beiden möglichen Zugangswege, die Onlinefunktion des Personalausweises und die elektronische Patientenakte sind kaum verbreitet. Und klar ist: Die Menschen müssen es aktiv befüllen. Man kann davon ausgehen, dass diejenigen, die sich bislang noch nicht geäußert haben, dies nicht plötzlich nachholen, weil es ein Register gibt. Ein Gamechanger wird es nicht, wie auch Dr. med. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation, dem Deutschen Ärzteblatt sagt (Seite 132). Dennoch ist es unbedingt notwendig.
Dass die Organspendezahlen nach all den Kampagnen und Bundestagsdebatten der vergangenen Jahre immer noch so niedrig sind, macht nachdenklich. Ein genauer Blick in die Statistik zeigt: Es wurden zwar etwas mehr potenzielle Spender gemeldet, aber bei den nicht realisierten Spenden fehlt bei mehr als der Hälfte eine Zustimmung. Und das, obwohl bei Umfragen immer mehr als 80 Prozent der Befragten angeben, spenden zu wollen. In Deutschland ist eben das Nichtspenden der Normalfall, wie Rahmel betont.
Dass man unter diesem Eindruck nochmals die Widerspruchslösung ins Spiel bringt, ist nachvollziehbar. Zumal Deutschland bei Eurotransplant, dem Netzwerk mehrerer europäischer Länder, das Spenderorgane vermittelt und koordiniert, das einzige Land mit der Entscheidungslösung ist. Die Widerspruchslösung fehlt im Maßnahmenpaket von 2020. Bei vielen Regelungen lässt sich nicht sagen, welche Wirkung sie genau erzeugen. Bei der Widerspruchslösung ist dies klar: Man muss sich zumindest einmal im Leben mit der Frage der Organspende beschäftigen. Damit wäre viel gewonnen. Denn nach wie vor herrscht offensichtlich eine große Unsicherheit. Ein Zwang zur Spende wäre es ohnehin nicht. Das kann jeder immer noch für sich selbst entscheiden.
Michael Schmedt
Chefredakteur
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