ArchivDeutsches Ärzteblatt10/2023SARS-CoV-2-Antigen-Schnelltests bei Beschäftigten im Gesundheitswesen
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Ein seit November 2021 eingesetztes Instrument zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie besteht in der Verpflichtung für Beschäftigte im Gesundheitswesen, regelmäßig Antigen-Schnelltestungen (AGST) durchzuführen. Hierdurch sollen Infektionen bei Beschäftigten, die bereits prä- oder asymptomatisch infektiös sind, nachgewiesen werden, um Übertragungen auf Patientinnen und Patienten sowie weitere Beschäftigte zu verhindern. Ziel dieser Untersuchung war es, herauszufinden, wie viele SARS-CoV-2-Infektionen durch anlasslose AGST gefunden wurden. Da mögliche inapparente Verläufe der SARS-CoV-2-Infektion einen Hauptgrund für anlasslose Testungen darstellen, sollte zusätzlich geklärt werden, wie häufig diese tatsächlich vorkommen.

Methoden

Von März 2020 bis Juni 2022 konnten Beschäftigte am Universitätsklinikum Freiburg bei Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion niederschwellig ein Angebot für eine PCR-Testung (PCR, Polymerasekettenreaktion) wahrnehmen. Zusätzlich mussten positive AGST mittels PCR bestätigt werden. In der vorliegenden Studie (Aktenzeichen 22–1163, Ethik-Kommission der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) wurde an alle Beschäftigten, die im Zeitraum von September 2021 bis April 2022 einen positiven PCR-Befund hatten, ein Fragebogen versendet. Der Fragebogen beinhaltete: den Grund für den angeforderten PCR-Test (Symptome, Kontakt zu einer infizierten Person, positiver AGST, Sonstige), die Angabe, ob ein AGST durchgeführt worden war und dessen Ergebnis, Vorhandensein und Art von Symptomen am Anfang und in der Folge, Alter und Geschlecht. Die Antwortoptionen konnten kombiniert angekreuzt und zum Teil um Freitexte ergänzt werden. Im Befragungszeitraum wurden vom Arbeitgeber 815 443 AGST (Stückpreis 1,60 Euro) an die Beschäftigten ausgegeben.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 2 072 Fragebögen versendet (an Frauen: 64,9 %, an Männer: 35,1 %). Von diesen wurden 750 zurückgeschickt, wovon 738 ausgewertet werden konnten (von Frauen: 67,5 %, von Männern: 32,5 %; Rücklaufquote 35,6 %). Von 738 Beschäftigten hatten 716 einen AGST am Tag der PCR-Testung durchgeführt (Grafik 1). In 585 von 716 Fällen (81,7 %) war der AGST positiv, davon hatten 550 Personen (94 %) Symptome am Tag des positiven Tests. Insgesamt 35 Personen mit positivem AGST hatten keine Symptome. Bei 24 Personen dieser Gruppe war der positive AGST der einzige Grund für die PCR-Testung, bei 11 Personen lag zusätzlich ein Kontakt zu einer positiv getesteten Person vor. Neun von 35 asymptomatischen Personen mit positivem Schnelltest entwickelten auch in der Folge keine Symptome, zwei davon hatten einen Kontakt zu einer infizierten Person. Somit verbleiben sieben infizierte Beschäftigte, die nur aufgrund des AGST entdeckt wurden (1 %). Bei 173 (24,2 %) Personen lag zu Beginn der Symptome noch ein negatives AGST-Ergebnis vor. Von diesen hatten 67 den PCR-Test erst an dem Tag veranlasst, als der AGST positiv wurde. In den meisten Fällen wurde der AGST 1–4 Tage nach Symptombeginn positiv. 15 Personen gaben an, dass der AGST nie positiv wurde.

Flussdiagramm zu den 716 Personen, bei denen ein Antigen-Schnelltest (AGST) am Tag der PCR-Testung durchgeführt wurde. * Die PCR wurde von 67 Personen erst durchgeführt als der AGST positiv wurde, obwohl bereits Tage davor Symptome vorgelegen hatten. PCR, Polymerasekettenreaktion
Grafik 1
Flussdiagramm zu den 716 Personen, bei denen ein Antigen-Schnelltest (AGST) am Tag der PCR-Testung durchgeführt wurde. * Die PCR wurde von 67 Personen erst durchgeführt als der AGST positiv wurde, obwohl bereits Tage davor Symptome vorgelegen hatten. PCR, Polymerasekettenreaktion

Bei 40 (5,6 %) Personen mit Symptomen wurden mehrere AGST mit unterschiedlichen Ergebnissen durchgeführt. 21 gaben an, dass der AGST bei einem Nasenabstrich negativ, im Rachen jedoch positiv war. Von allen 738 Befragten gaben zwölf Personen an, auch in der Folge keinerlei Symptome entwickelt zu haben (1,6 %).

Diskussion

Die Intention für einen anlasslosen AGST besteht darin, asymptomatisch infizierte Beschäftigte zu identifizieren, um Übertragungen in Gesundheitseinrichtungen zu verhindern. Es hat sich jedoch bereits früh gezeigt, dass AGST erst in der symptomatischen Phase und bei Ct-Werten ≤  25 zuverlässig positiv werden (1, 2). Eine Untersuchung der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene hat ergeben, dass der Einsatz von AGST in Pflegeheimen zu keiner Reduktion von Ausbrüchen führt (3). Viele Beschäftigte gaben an, trotz Symptomen gearbeitet zu haben, da der AGST negativ war. Bei dieser Vorgehensweise ist von einer erhöhten Gefahr für mögliche Übertragungen von SARS-CoV-2 auf Patientinnen und Patienten oder andere Beschäftigte auszugehen. Die Anzahl der nosokomialen SARS-CoV-2-Infektionen ist im Befragungszeitraum angestiegen.

Von 716 durch einen PCR-Test bestätigten Infektionen wurden sieben nur aufgrund eines positiven AGST gefunden. Unter der Annahme, dass es sich bei den Personen, die einen Fragebogen zurückgesendet haben, um einen repräsentativen Teil der 2 072 Befragten handelt, ergeben sich hochgerechnet 20 (7×2072/738 ≈ 19,7) Infektionen. Darüber hinaus wurden 17 Personen durch einen AGST frühzeitig identifiziert, hochgerechnet circa 47 Personen. Dem gegenüber stehen 173 Personen, die durch einen AGST trotz Symptomen nicht identifiziert wurden, hochgerechnet 486 Personen. Möglicherweise haben Beschäftigte bei Symptomen und negativem AGST keine weitere Abklärung veranlasst. Daher unterstützen unsere Ergebnisse vorbestehende Daten, die zeigen, dass AGST ohne nachfolgende PCR-Bestätigung kritisch zu sehen (4) und AGST-Strategien generell problematisch sind (5).

Die verwendeten AGST wurden durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) mit einer Sensitivität von 100 % bei Ct-Werten ≤ 25 angegeben. Die Ct-Werte in unserer Kohorte lagen zum Teil deutlich darunter (Grafik 2). Dies ist möglicherweise dadurch zu erklären, dass die AGST aus Nasenabstrichen, der PCR-Test jedoch aus dem Rachenabstrich durchgeführt werden. Eine andere mögliche Erklärung ist die Replikationsdynamik der Omikron-Varianten.

Ct-Werte in Abhängigkeit von einem positiven oder negativen AGST am Tag der PCR-Testung. AGST, Antigen- Schnelltest; PCR, Polymerasekettenreaktion
Grafik 2
Ct-Werte in Abhängigkeit von einem positiven oder negativen AGST am Tag der PCR-Testung. AGST, Antigen- Schnelltest; PCR, Polymerasekettenreaktion

Resümee

Die vorgeschriebenen Testungen von Beschäftigten stellen eine ressourcenintensive Maßnahme mit geringem Nutzen und deutlichen Risiken dar.

Erik Huzly, Daniel Steinmann, Stefanie Kramme, Marcus Panning, Daniela Huzly

Interessenkonflikt

Daniela Huzly hält wissenschaftliche Vorträge für die Firma Abbott.

Die übrigen Autorinnen und die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 09.11.2022, revidierte Fassung angenommen: 29.12.2022

Zitierweise
Huzly E, Steinmann D, Kramme S, Panning M, Huzly D: SARS-CoV-2 rapid antigen tests for health care workers—assessment of benefit by means of a questionnaire. Dtsch Arztebl Int 2023; 120 (online first). DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0412

Dieser Beitrag erschien online am 26.01.2023 (online first) unter: www.aerzteblatt.de

►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de

1.
Bornemann L, Kaup O, Kleideiter J, Panning M, Ruprecht B, Wehmeier M: Real-life evaluation of the Sofia SARS-CoV-2 antigen assay in a large tertiary care hospital. J Clin Virol 2021; 140: 104854 CrossRef MEDLINE PubMed Central
2.
Dinnes J, Sharma P, Berhane S, et al.: Rapid, point-of-care antigen tests for diagnosis of SARS-CoV-2 infection. Cochrane Database Syst Rev 2022; 7: CD013705 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.
Gleich S, Walger P, Popp W, Lemm F, Exner M: Nosokomiale COVID-19-Ausbrüche in vollstationären Pflegeeinrichtungen Ursachen und Forderungen. Hygiene und Medizin 2021; 46: 1–8.
4.
Freund T, Friesen J, Stolle JM, et al.: Rapid tests detecting SARS-CoV-2-specific antigens: variable value in different periods of the pandemic in Berlin, Germany. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 647–8 VOLLTEXT
5.
Hirsch O, Bergholz W, Kisielinski K, Giboni P, Sönnichsen A: Methodological problems of SARS-CoV-2 rapid point-of-care tests when used in mass testing. AIMS Public Health 2022; 9: 73–93 CrossRef MEDLINE PubMed Central
Stabsstelle beim Leitenden Ärztlichen Direktor – Betriebsärztlicher Dienst, Universitätsklinikum Freiburg (E. Huzly, Steinmann) erik.huzly@uniklinik-freiburg.de
Institut für Infektionsprävention und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Freiburg (Kramme)
Institut für Virologie, Department für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene, Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Universität Freiburg (Panning, D. Huzly)
Flussdiagramm zu den 716 Personen, bei denen ein Antigen-Schnelltest (AGST) am Tag der PCR-Testung durchgeführt wurde. * Die PCR wurde von 67 Personen erst durchgeführt als der AGST positiv wurde, obwohl bereits Tage davor Symptome vorgelegen hatten. PCR, Polymerasekettenreaktion
Grafik 1
Flussdiagramm zu den 716 Personen, bei denen ein Antigen-Schnelltest (AGST) am Tag der PCR-Testung durchgeführt wurde. * Die PCR wurde von 67 Personen erst durchgeführt als der AGST positiv wurde, obwohl bereits Tage davor Symptome vorgelegen hatten. PCR, Polymerasekettenreaktion
Ct-Werte in Abhängigkeit von einem positiven oder negativen AGST am Tag der PCR-Testung. AGST, Antigen- Schnelltest; PCR, Polymerasekettenreaktion
Grafik 2
Ct-Werte in Abhängigkeit von einem positiven oder negativen AGST am Tag der PCR-Testung. AGST, Antigen- Schnelltest; PCR, Polymerasekettenreaktion
1.Bornemann L, Kaup O, Kleideiter J, Panning M, Ruprecht B, Wehmeier M: Real-life evaluation of the Sofia SARS-CoV-2 antigen assay in a large tertiary care hospital. J Clin Virol 2021; 140: 104854 CrossRef MEDLINE PubMed Central
2.Dinnes J, Sharma P, Berhane S, et al.: Rapid, point-of-care antigen tests for diagnosis of SARS-CoV-2 infection. Cochrane Database Syst Rev 2022; 7: CD013705 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.Gleich S, Walger P, Popp W, Lemm F, Exner M: Nosokomiale COVID-19-Ausbrüche in vollstationären Pflegeeinrichtungen Ursachen und Forderungen. Hygiene und Medizin 2021; 46: 1–8.
4.Freund T, Friesen J, Stolle JM, et al.: Rapid tests detecting SARS-CoV-2-specific antigens: variable value in different periods of the pandemic in Berlin, Germany. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 647–8 VOLLTEXT
5.Hirsch O, Bergholz W, Kisielinski K, Giboni P, Sönnichsen A: Methodological problems of SARS-CoV-2 rapid point-of-care tests when used in mass testing. AIMS Public Health 2022; 9: 73–93 CrossRef MEDLINE PubMed Central

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