POLITIK
Digitalisierung: Praxen können von digitalen Innovationen profitieren


Wenn digitale Anwendungen Potenzial zur Optimierung des Versorgungsalltags in den Praxen zeigen, engagieren sich die Praxisteams auch bei der Implementierung. Dies zeigen die im Rahmen eines Projektes der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gesammelten Erfahrungen.
Neue IT-Anwendungen müssen lösungsorientiertes Potenzial zeigen und sich möglichst einfach und nahtlos in vorhandene Praxisabläufe und Versorgungsprozesse einfügen lassen. Dann unterstützen Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie die jeweiligen Praxisteams auch mit Engagement Neuerungen auf diesem Gebiet. Das geht aus dem Evaluationsbericht zum Projekt Zukunftspraxis der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hervor.
Die Idee des Projekts ist es, digitale Anwendungen für die ambulante Versorgung im Praxisalltag zu testen. Im Rahmen eines Wettbewerbs wurden Produkte identifiziert, welche zwischen 2019 und 2022 in jeweils einjährigen Testphasen erprobt wurden. Aus den Ergebnissen wurden dann Faktoren ermittelt, die beim Praxisteam und Patienten Akzeptanz für digitale Innovationen schaffen.
Großes Interesse und enger Austausch
„Das Interesse und Engagement der Praxen war von Anfang an enorm. Das Konzept hat sich bewährt: Neuerungen werden im Praxisbetrieb getestet – in engem Austausch zwischen Nutzern und Anbietern, um das volle Optimierungspotenzial auszuschöpfen“, so die grundsätzliche Bewertung der KBV-Vorstände. Die Praxistests haben aus Sicht der KBV gezeigt, dass digitale Anwendungen ihr Potenzial im Praxisbetrieb voll entfalten, wenn sie schnell erkennbaren Mehrwert schaffen, lösungsorientiert sind und in der Praxis gut integrierbar sind.
„Die entscheidenden Faktoren sind Nutzen, Mehrwert und Einfachheit. Sind diese gegeben, engagieren sich Ärzte und Psychotherapeuten mit ihren Teams dafür, digitale Neuerungen in ihrem Berufsalltag gezielt einzusetzen“, betonte der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. med. Andreas Gassen. Dem pflichtete der stellvertretende KBV-Vorsitzende Dr. med. Stephan Hofmeister bei: Ärztinnen und Ärzte seien immer offen für digitale Innovationen, die einen konkreten Mehrwert haben und sich unkompliziert in den Arbeitsalltag der Praxen integrieren lassen.
Im Rahmen der KBV-Zukunftspraxis wurden mehrere neue Produkte als nützlich für die Praxisorganisation bewertet – etwa ein interaktiver Telefonassistent, eine mobile Datenbrille zur Fernassistenz sowie eine digitale Anamneseunterstützung. Als hinderlich erwiesen sich laut der umfassenden Evaluation neben veralteten Telefonanlagen insbesondere auch zumeist fehlende Integrationsmöglichkeiten in die jeweiligen Praxisverwaltungssysteme (PVS). In diesen Ergebnissen der Projektevaluation sieht KBV-Vorstandsmitglied Dr. rer. soc. Thomas Kriedel die wiederholten Forderungen der KBV gegenüber gematik, Politik und IT-Industrie bestätigt. „Die PVS-Industrie soll künftig stärker an die Kandare genommen werden, auch verbunden mit Aufgaben und Optionen für die KBV“, betonte Kriedel. Ein gutes Beispiel aus der KBV-Zukunftspraxis: Der interaktive Telefonassistent Aaron wurde von den Medizinischen Fachangestellten (MFA) mehrheitlich als grundsätzlich unterstützend und entlastend beurteilt. Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) soll der digitale Telefonassistent die Erreichbarkeit von Arztpraxen verbessern helfen, indem er Telefonanrufe entgegennimmt, die wichtigsten Anliegen (Terminwunsch, Rezeptanfrage, Rückrufbitte) erfasst und die Informationen der Anrufenden speichert.
Fehlende Interoperabilität als Hemmnis
Im von August 2019 bis März 2022 laufenden Praxistest zeigte sich, dass insbesondere bei parallelen Tätigkeiten eine Reduktion der Arbeitsbelastung der MFA erreicht werden konnte. Als begrenzend erwies sich aber der Umstand, dass eine Andockung des Produktes an die PVS durch die geschlossenen Systeme enorm erschwert wurde – fehlende Interoperabilität bremste hier die gewünschte Digitalisierung in den Praxen teilweise aus. Das Grundproblem der schwierigen und oftmals nicht möglichen Anbindung an Praxisverwaltungssysteme tauchte auch bei weiteren getesteten Anwendungen auf, etwa bei der Softwarelösung Idana zur digitalen Erfassung und strukturierten Aufbereitung von Anamnesefragebögen.
Die Rückmeldungen aus den Testpraxen lieferten weitere Erkenntnisse zu möglichen Hürden bei der Einführung digitaler Versorgungstools. So zeigte etwa auch der Projektverlauf von Klindo, einer Anwendung zur digitalen Nutzung standardisierter psychometrischer Fragebögen, dass die Kernidee der KBV-Zukunftspraxis, neue digitale Anwendungen im Praxisalltag auf Herz und Nieren zu prüfen, sinnvoll ist. Zwar wird die Software bereits seit Längerem für die klinische Dokumentation eingesetzt: Die Tests in den Praxen zeigten aber, dass die Lösung sowie Fragebögen stärker auf die Bedürfnisse des ambulanten Bereichs hin fokussiert werden müssen, so die KBV.
Die von November 2019 bis Juni 2021 absolvierten Tests eines cloudbasierten Praxisverwaltungssystems zeigten, dass die Komplexität sowie der entsprechende Aufwand eines PVS-Wechsels seitens der Praxen häufig unterschätzt wurde. Vorteile, wie beispielsweise ein reduzierter IT-Aufwand nach gelungener Implementierung oder auch die orts- und geräteunabhängigen Nutzungsmöglichkeiten eines cloudbasierten Systems, wurden durchaus anerkannt, von den Herausforderungen auf dem Weg dahin allerdings überlagert. Das vorrangige Ziel des Projektes KBV-Zukunftspraxis, aus den Hinweisen, Verbesserungsvorschlägen und der Kritik der Testpraxen Anregungen zu erhalten, welche Faktoren die Digitalisierung in Arzt- und Psychotherapeutenpraxen fördern oder eben auch hemmen, wurde erreicht.
Relativ hohe Technikaffinität bei Niedergelassenen
Wie aufgeschlossen niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gegenüber digitalen Technologien sind und wie kompetent sie sich im Umgang mit digitalen Anwendungen fühlen, analysierten Experten zusätzlich zur Evaluationsbegleitung der Teilprojekte. Befragt wurden alle 119 Ärzte beziehungsweise Psychotherapeuten, die sich bis zum Abschluss an den Praxistests im Rahmen der KBV-Zukunftspraxis beteiligt hatten. Zudem wurden als Vergleichsgruppe auch 226 Medizinstudierende befragt.
Das Ergebnis: Entsprechend ihrer eigenen Einschätzung sind niedergelassene Ärzte technikaffiner als Studierende (Tabelle). Ihre Selbsteinschätzungswerte liegen durchweg höher. In beiden Gruppen bewerteten die Frauen ihre Technikaffinität jeweils geringer als die Männer. Die Technikbereitschaft älterer Ärzte und Ärztinnen sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten fällt nach eigener Einschätzung durchweg geringer aus als die jüngerer. André Haserück
Projekt „KBV-Zukunftspraxis“
Mehr als 60 Unternehmen beteiligten sich am Ideenwettbewerb der KBV-Zukunftspraxis. Bei zehn Anwendungen wurden Produktreife, Patientenbezogenheit und Mehrwert im Praxisalltag zunächst als praxistauglich eingestuft. Auf ein bundesweites Bewerbungsverfahren im Zuge des anstehenden Praxistests meldeten sich rund 300 Praxen. Sie konnten aus den zehn Testprojekten zunächst ihre bevorzugten Anwendungen auswählen. Dann wurde gemeinsam mit dem Team der KBV-Zukunftspraxis geprüft, ob vor allem Fachrichtung, Patientenklientel und IT-technische Ausstattung zur präferierten Testanwendung passen, oder Alternativen abgestimmt. Fünf Anwendungen konnten schließlich in Praxistests von 150 Praxen evaluiert werden. Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt durch das Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité Berlin. Es wurde eine qualitative Analyse durchgeführt, bei der die ausgewählten Testpraxen ihre individuellen Anwendungserfahrungen in drei Phasen bewerteten: vor dem Beginn des Tests, nach drei Monaten und nach zwölf Monaten.
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