ArchivDeutsches Ärzteblatt6/2023Sachverständigenrat: Forschen und mahnen

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Sachverständigenrat: Forschen und mahnen

Beerheide, Rebecca

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Rebecca Beerheide, Leiterin politische Redaktion
Rebecca Beerheide, Leiterin politische Redaktion

Politikberatung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist seit Jahrzehnten eine gut gelebte Tradition: Viele Politikbereiche haben ständige Gremien, die die Lage in Gutachten und Empfehlungen beschreiben – Politik kann daraus ihre Schlüsse ziehen. Neben den ständigen Räten gibt es auch immer wieder Ad-hoc-Gremien, die für aktuelle Fragen zusammengerufen werden – beispielsweise die Kommission zur Krankenhausreform oder die Expertenräte in der COVID-19-Pandemie. Diejenigen, die in längerfristigen Gremien mitarbeiten, müssen damit leben, dass die von ihnen beratenen Politikerinnen und Politiker sich oft nur spät mit den Ergebnissen der Gutachten beschäftigen. Somit wiederholen Sachverständige ihre Forderungen Jahr für Jahr, Gutachten für Gutachten.

Das Gesundheitswesen wird seit 1987 von einem Sachverständigenrat begleitet. In den Jahrzehnten der Gutachtenerstellung sind die bekannten gesundheitspolitischen Probleme und Herausforderungen immer wieder thematisiert worden: Wirtschaftlichkeit, Koordinierung und Qualität bestimmten die Gutachten seit Mitte der 1990er-Jahre. 2007 wurde das Thema Kooperation und Zielorientierung stärker betont, 2009 die älter werdende Gesellschaft und die damit verbundenen Herausforderungen. Auch ein Sondergutachten zum Thema Krankengeld ist erschienen. Seit Mitte der 2010er-Jahre sind die Themen Digitalisierung und die bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung auf der Tagesordnung. Zuletzt, Anfang 2023, legte der Rat auf rund 600 Seiten Vorschläge für eine bessere Widerstandsfähigkeit des Gesundheitssystems vor.

Blickt man in die Gutachten aus den vergangenen Jahrzehnten bleibt aber der Tenor ähnlich: mehr Kooperation zwischen den Gesundheitsfachberufen, eine bessere Koordination der vorhandenen Mittel und Fachkräfte, dazu mehr Digitalisierung und vorausschauendes Planen von Ressourcen. Schaut man auf die politischen Entscheidungen, findet man bei der Umsetzung fast nur Bruchstücke davon wieder. Immerhin: Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung ist relativ viel von den Vorschlägen aus dem Gutachten von 2021 übernommen worden – sehr zur Freude der inzwischen ehemaligen Ratsmitglieder.

Denn seit Anfang des Monats hat der Sachverständigenrat eine neue Besetzung und damit vielleicht auch neuen Schwung bekommen: Da der Großteil der bisherigen Mitglieder nicht mehr zur Verfügung stand, ist nur Prof. Dr. rer. oec. Jonas Schreyögg, Universität Hamburg, dem Rat erhalten geblieben – möglicherweise auch als künftiger Sprecher und damit als Nachfolger von Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, der 16 Jahre dem Rat angehörte und elf Jahre dessen Sprecher war. Neu dabei sind der Onkologe Prof. Dr. med. Michael Hallek, Uni Köln, die Allgemeinmedizinerin Prof. Dr. med. Stefanie Joos, Uni Tübingen, sowie die Pflegewissenschaftlerin Prof. Dr. PH Melanie Messer, Uni Trier. Neben Schreyögg sind drei weitere Ökonomen vertreten: Prof. Dr. med. Jochen Schmitt, MPH, leitet an der TU Dresden unter anderem das Gesundheitsökonomische Zentrum, Prof. Nils Gutacker, PHD, lehrt an der University of York, sowie Prof. Dr. rer. oec. Leonie Sundmacher, die das Fachgebiet Gesundheitsökonomie an der TU München leitet.

Künftig soll der Rat jedes Jahr ein Gutachten vorlegen. Davon erhofft sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der zwischen 1999 und 2005 selbst Ratsmitglied war, noch mehr Impulse für die Politikgestaltung. Bleibt die Hoffnung, dass bald mehr von den Empfehlungen wahrgenommen und intensiv diskutiert werden.

Rebecca Beerheide
Leiterin politische Redaktion

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