ArchivDeutsches Ärzteblatt7/2023Ambulante Versorgung: Kein Kind bevorzugen

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Ambulante Versorgung: Kein Kind bevorzugen

Schmedt, Michael

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Michael Schmedt, Chefredakteur
Michael Schmedt, Chefredakteur

Viel ist in den beiden vergangenen Jahren über die Leistungen der Gesundheitsberufe in der Pandemie geschrieben worden. Viel Lob ist verteilt worden – auch von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Er nutzt dies immer strategisch, wenn er mit solch einer Wertschätzung eine Rede vor Angehörigen der Gesundheitsberufe einleitet. Der Applaus ist ihm sicher, der Gegenwind fällt geringer aus.

Dennoch fällt bei genauerer Betrachtung eine Schieflage auf. So mussten zum Beispiel niedergelassene Ärztinnen und Ärzte lange kämpfen, bevor jetzt langsam Bewegung in die Zahlung eines Energiekostenzuschlags für jene Arztgruppen kommt, die von den gestiegenen Energiepreisen belastet sind. Der Bewertungsausschuss berät aktuell darüber, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag hervorgeht. Für die Krankenhäuser dagegen ist diese Unterstützung längst beschlossen.

Anderes Beispiel: Vergangene Woche wies Lauterbach auf die wachsenden Herausforderungen für das Versorgungssystem durch eine deutliche Zunahme von Krebserkrankungen und Demenz hin. Mit der von ihm angestoßenen Krankenhausreform werde die Versorgung aber künftig gesichert, sagte er. Wieder kein Wort zur ambulanten Versorgung, wo die überwiegende Zahl krebs- oder auch demenzkranker Patienten versorgt werde, wie der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. med. Andreas Gassen, betonte.

Noch mehr aus dem Blick geraten sind die medizinischen Fachangestellten (MFA). Ohne sie ist keine Arztpraxis arbeitsfähig, ohne sie wäre die Pandemie nicht so gut bewältigt worden. Sie waren die Ersten, die mit Coronapatienten in Kontakt kamen und waren unverzichtbar als es galt, Millionen Bundesbürger in Arztpraxen zu impfen. Eine Prämie hielt der Bundesgesundheitsminister – anders als bei den Pflegekräften – trotz seiner mündlichen Anerkennung für nicht nötig. Auf eine Petition, die der Verband der medizinischen Fachberufe dem Bundesgesundheitsministerium übergeben hatte, fehlt bis heute eine Antwort. Durch diese mangelnde politische Wertschätzung werden die medizinischen Fachangestellten schlicht verprellt. Es fehlt eine konsequente Gegenfinanzierung von Personalkosten für den vertragsärztlichen Bereich. Bereits jetzt wechseln viele MFA in die stationäre Versorgung, weil sie dort mehr verdienen. Dass Arztpraxen kaum noch MFA finden und junge Ärzte es sich daher gut überlegen werden, eine Niederlassung zu planen, ist eine folgenschwere Entwicklung für die medizinische Versorgung.

Denn das große Versorgungsproblem – bedingt durch den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel – ist ohne qualifizierte MFA nicht zu bewältigen. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung hat in einer Modellrechnung festgestellt, dass die Nachfrage nach vertragsärztlichen Leistungen weiterhin steigen wird – gleichzeitig auch der Fachkräftemangel. Eine fatale Entwicklung, die nur durch eine interprofessionelle Zusammenarbeit zu lösen sein wird. Und da braucht man jede Frau und jeden Mann, der heute im Gesundheitswesen arbeitet. Der Bundesgesundheitsminister muss seinen Blick weiten und neben seinem Lieblingskind Krankenhaus auch die ambulante Versorgung betrachten. Eigentlich müsste ihm als Vater von fünf Kindern klar sein, dass man ein Kind nicht bevorzugen sollte.

Michael Schmedt
Chefredakteur

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