ArchivDeutsches Ärzteblatt8/2023Gemeinsamer Bundesausschuss: Intensives Arbeitsprogramm

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Gemeinsamer Bundesausschuss: Intensives Arbeitsprogramm

Beerheide, Rebecca

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Mit der Aufgabe, den Rahmen für Leistungen in der medizinischen Versorgung festzulegen, sehen sich die Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses immer wieder heftiger Kritik ausgesetzt. Bei der Vorstellung des Arbeitsprogramms für 2023 wehrten sich die Unparteiischen dagegen.

Im Gemeinsamen Bundesausschuss treffen die Akteure der Selbstverwaltung aufeinander: Die Seite der Krankenkassen mit den „Leistungserbringern“ – also den Vertragsärzten sowie Krankenhäuser. Foto: Svea Pietschmann G-BA
Im Gemeinsamen Bundesausschuss treffen die Akteure der Selbstverwaltung aufeinander: Die Seite der Krankenkassen mit den „Leistungserbringern“ – also den Vertragsärzten sowie Krankenhäuser. Foto: Svea Pietschmann G-BA

Starre Qualitätsvorgaben, zu viele Mindestmengen oder zu langsame Arbeitsweise: Dieser Kritik in der aktuellen Diskussion um die Reformen der Krankenhausstruktur und der Notfallversorgung sehen sich die Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ausgesetzt. „Es wird immer moderner, ein Selbstverwaltungsbashing zu betreiben. Das hat in den vergangenen Monaten an Intensität zugenommen, sodass man schon sehr irritiert ist“, erklärte der Unparteiische Vorsitzende Josef Hecken bei einer Pressekonferenz des Gremiums. Besonders Vorwürfe, der G-BA sei eine Lobbyorganisation im Gesundheitswesen oder die G-BA-Vorgaben zur Qualitätssicherung beförderten den kalten Strukturwandel bei den Krankenhäusern, verärgerten den Vorsitzenden. „Die heutigen Strukturen der Krankenhäuser sind das Ergebnis der seit 1949 betriebenen Politik der Bundesländer. Die Krankenhausplanung ist Aufgabe der Bundesländer, das war nie ein Teil der Selbstverwaltung. Und wenn es nicht mehr klappt, heißt es plötzlich vom Bundesgesundheitsministerium und von den Ländern: Die Selbstverwaltung habe versagt“, ärgerte sich Hecken.

Ein besonderes Ärgernis sei in dem Kontext auch das Anfang der Woche vorgestellte Notfallkonzept der Regierungskommission. Hecken bezeichnete es als „Diskussionsvorschlag“, denn er könne den Gutachten nichts Neues entnehmen. „Das, was da aufgeschrieben wurde, haben wir vor sechs Jahren im Auftrag des Gesetzgebers bereits beschlossen“, so Hecken. Er spielt damit auf das 2019 bereits erarbeitete Notfallstufenkonzept an, nachdem bereits 1 071 Kliniken in Deutschland die Vorgaben entsprechend erfüllen (siehe vorherigen Beitrag in diesem Heft).

In den Vorschlägen der Regierungskommission habe man nur eine unterste sowie mit den Fachkliniken eine weitere Stufe hinzugefügt, sodass es nicht mehr wie in den G-BA-Vorschlägen drei, sondern nun fünf Stufen gebe. Alles andere sei identisch, so Hecken. „Und wir haben diese Stufen ohne politischen Einfluss, gegen die Stimmen der Länder und den Willen der Deutschen Krankenhausgesellschaft hier erarbeitet.“ Er mahnte den aktuellen Gesetzgeber, Gremien wie den G-BA nicht als Lobby zu verstehen, sondern ernsthaft in die künftigen Beratungen zu einer Strukturreform einzubeziehen.

Hecken bremste auch die Erwartungen vieler, dass sich durch eine Krankenhausreform zügig alles verbessern würde. „Wir brauchen Anpassungsprozesse über mehrere Jahre, die auch viel Geld kosten werden.“ Dies sei bereits bei der Umsetzung des Notfallstufensystems zu beobachten gewesen. Man habe allen Standorten großzügige Übergangsregelungen und Möglichkeiten zur Anpassung der örtlichen Gegebenheiten zugestanden.

Finanzrahmen im Blick halten

Aus der Sicht von Hecken müsse vor allem der Finanzrahmen im Gesundheitswesen im Blick behalten werden. „Es wird auch in dieser Legislatur nicht mehr Geld vom Bundesfinanzminister geben, das haben schon viele andere Gesundheitsminister in anderen Konstellationen ausprobiert.“ Daher müssten Gelder im Gesundheitssystem richtig eingesetzt werden – und nicht an falschen Stellen ausgegeben.

So rechnet Hecken vor, dass im Gesundheitssystem durch die Nutzenbewertung des G-BA jährlich mindestens 16 Milliarden Euro eingespart werden, wenn nicht gar mehr. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus dem Bewertungsprozess des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), mit dem rund 4,4 Milliarden Euro bei neuartigen Arzneimitteln eingespart werden, durch die Festbetragsregelungen 8,2 Milliarden Euro und durch die Rabattverträge rund 5,1 Milliarden Euro. „Diese 16 Milliarden Euro sind ein Beitragspunkt in der Gesetzlichen Krankenversicherung“, so Hecken.

Gleichzeitig behindere das AMNOG nicht die Markteinführung neuartiger Medikamente, wie pharmazeutische Unternehmen oft beklagen: Die Daten des G-BA zeigen, dass in Deutschland 133 Tage zwischen Markteinführung und Erstattung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) liegen, in Österreich seien es 315 Tage, in Spanien 517 und in Frankreich 497 Tage. Ähnliches gelte auch für die Orphan Drugs und Onkologika.

Streit um Mindestmengen

Auch Karin Maag, Unparteiisches G-BA-Mitglied und Vorsitzende des Ausschusses für Qualitätssicherung, sieht die Debatte um die Mindestmengen „nicht so politisierbar, wie es oft dargestellt wird“. So habe der G-BA derzeit neun Mindestmengen erarbeitet, die komplexe planbare Eingriffe regeln. Damit haben die Mindestmengen nichts mit dem Strukturwandel zu tun, der oft den Entscheidungen vom G-BA zugeschrieben wird, so Maag. „Ich betone: Mindestmengen dienen der Qualitätssicherung, sie sind kein Instrument zur Strukturbereinigung, um womöglich fehlgeleitete Krankenhausplanung zu ersetzen.“ In diesem Jahr will der G-BA die Beratungen zu den kathetergestützten Aortenklappenimplantationen (TAVI), für Herztransplantationen und für die kolorektale Chirurgie bei Darmkrebs fortsetzen.

Maag leitet auch den neu eingesetzten Unterausschuss Long COVID, der im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz eingesetzt wurde. Bis Ende 2023 soll der G-BA nun eine Richtlinie für eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung für Versicherte mit Verdacht auf Long COVID erarbeiten. „Es wird eine Herausforderung, diese Richtlinie nun zu entwickeln“, berichtete Maag. Der Unterausschuss tage daher alle zwei Wochen.

Im Geschäftsbereich der dritten Unparteiischen, Dr. med. Monika Lelgemann, stehe in diesem Jahr vor allem die Früherkennung bei Lungenkrebs auf der Tagesordnung. Es gebe eine Bewertung des Bundesamtes für Strahlenschutz zum Einsatz einer Low-Dose-Computertomografie (LDCT), bei der auch das Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) einen Anhaltspunkt für einen Nutzen von aktiven wie ehemaligen Raucherinnen und Rauchern festgestellt hat. „Mit der Leistung könnte erstmals eine risikoadaptierte Früherkennungsmaßnahme eingeführt werden“, erklärte Lelgemann. Allerdings benötige es vor der Diskussion um die Ausgestaltung des Programms eine strahlenschutzrechtliche Genehmigung.

Auch die Früherkennung bei Brustkrebs werde erneut behandelt, da die EU-Leitlinien eine Ausweitung der Altersgrenzen vorsehen. Derzeit können Frauen zwischen 50 und 69 Jahren an dem Programm teilnehmen. Aus einer vom G-BA beauftragten Bewertung des IQWiG gehen Hinweise auf einen Nutzen für 45- bis 49-jährige sowie 70- bis 75-jährige Frauen hervor, berichtete Lelgemann. Allerdings benötige es für die Weiterarbeit an dem Programm die strahlenschutzrechtliche Genehmigung durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV).

Ausweitung der Mammografie

Zu erwarten sei, dass noch in diesem Jahr die Ausweitung für ältere Frauen gestartet werden kann. Bei jüngeren Frauen werde es noch etwas dauern, da die Genehmigungen für diese Altersgruppe im BMUV nicht priorisiert wurde.

Die Bewertung von Medizinprodukten fällt auch in den Arbeitsbereich von Lelgemann. In dem Bereich gebe es weiterhin eine „unzureichende Datenlage bei der Einführung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“. Da die Hersteller dies oftmals nicht liefern, wurde der G-BA vom Gesetzgeber verpflichtet, diese Studien selbst durchzuführen. Die Kosten müssten die Gemeinschaft der gesetzlich Versicherten zahlen.

Zusätzlich zum Umfangreichen Arbeitsprogramm des Gremiums der Selbstverwaltung stehen auch Strukturveränderungen ins Haus: In einem vom Bundesgesundheitsministerium geplanten Versorgungsstrukturgesetz I soll es auch eine Reform des G-BA geben. Der Unparteiische Hecken erklärte, dass die Vertreter der Pflegeberufe ein stärkeres Gewicht bekommen sollen. Dabei gehe es um Mitberatungsrechte im Plenum, in einzelnen Fachausschüssen und die Unterstützung durch eine Geschäftsstelle. Rebecca Beerheide

Die Unparteiischen im G-BA

Foto: Rosa Reibke/G-BA
Foto: Rosa Reibke/G-BA

Josef Hecken, seit 2012 Unparteiischer Vorsitzender des G-BA. 2023 steht die Neuberufung für das Amt an. Das Vorschlagsrecht liegt bei den drei Trägerorganisationen.

Foto: Rosa Reibke/G-BA
Foto: Rosa Reibke/G-BA

Karin Maag, seit 2021 Unparteiisches Mitglied im G-BA. Die frühere CDU-Politikerin folgte auf Elisabeth Pott. Auch sie strebt offenbar eine zweite Amtszeit ab 2024 an.

Foto: Georg J. Lopata/G-BA
Foto: Georg J. Lopata/G-BA

Monika Lelgemann, seit 2018 Unparteiisches Mitglied im G-BA. Die Anästhesistin steht für eine weitere Amtsperiode nicht zur Verfügung.

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