

Ein neues Gutachten über die Auswirkungen der Klinikreform hat in den Bundesländern zu großer Unruhe geführt. Eins-zu-eins-Umsetzung der vorliegenden Vorschläge hätte enorme Veränderungen der Krankenhauslandschaft zur Folge. Dazu wird es aber wohl nicht kommen.
Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingesetzte Regierungskommission hatte im vergangenen Dezember ihre Vorschläge für eine grundlegende Krankenhausreform vorgelegt. Die Krankenhauslandschaft, so eine ihrer Ideen, soll künftig besser strukturiert und jedes somatische Krankenhaus einer von vier Versorgungsstufen zugeordnet werden: Maximalversorger dem Level 3, Schwerpunktversorger dem Level 2, Grundversorger mit Notaufnahme dem Level 1n und Grundversorger ohne Notaufnahme, die künftig sektorenübergreifend agieren sollen, dem Level 1i. Um die Level 2 und 3 erreichen zu können, müssen die Häuser der Kommission zufolge eine bestimmte Anzahl an Fachrichtungen vorhalten. Dabei soll jede Fachrichtung künftig einer konkreten medizinischen Leistungsgruppe zugeordnet werden, die mit eigenen Mindeststrukturvorgaben versehen ist.
Große Veränderungen
Die Krankenhäuser kritisierten, dass weder die Regierungskommission noch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) dargestellt hat, welche Auswirkungen eine Umsetzung dieser Ideen auf die deutsche Krankenhauslandschaft haben würde. Eine solche Analyse hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) jetzt vorgelegt. Demnach würden von den 1 697 somatischen Krankenhausstandorten, die es in Deutschland gibt, noch 504 übrig bleiben. Dieses Szenario beruht auf der Idee, dass alle Krankenhäuser der Grundversorgung mit Notaufnahme, die 30 Fahrminuten oder weniger von einem größeren Krankenhaus der Schwerpunkt- oder Maximalversorgung entfernt liegen, von der stationären Versorgung ausgeschlossen werden könnten, weil die größeren umliegenden Häuser die Versorgung übernehmen. Die dabei übrig bleibenden Häuser sollen in das Level 1i eingruppiert werden.
Konkret würden 150 Standorte dem Level 3 der Maximalversorgung zugeordnet werden, 82 dem Level 2 der Schwerpunktversorgung und 834 dem Level 1n der Grundversorgung mit Notaufnahme. Von diesen 834 liegen allerdings nur 272 mehr als 30 Fahrminuten von einem größeren Krankenhaus entfernt. Die übrigen 562 Standorte würden also dem Level 1i zugeordnet und somit sektorenübergreifend agieren, ebenso wie 416 Grundversorger ohne Notaufnahme. 215 Standorte schließlich würden keinem der Versorgungslevel zugeordnet werden (Tabelle). „Diese Einteilung der Standorte in Versorgungslevel würde zu großen Verschiebungen im Leistungsangebot der Krankenhäuser in Deutschland führen“, erklärte Prof. Dr. rer. pol. Boris Augurzky, Geschäftsführer des Forschungsinstituts Institute for Health Care Business (hcb), das das Gutachten zusammen mit dem Datenanalysespezialisten Vebeto vorgelegt hat. „Das Fach Neurologie, zum Beispiel, gibt es heute an 317 Standorten. Nach der neuen Einteilung würden noch 187 übrig bleiben. 39 Prozent der Fälle müssten verlagert werden.“ Bei der interventionellen Kardiologie würde die Zahl der Abteilungen von 603 auf 223 sinken. 47 Prozent der Fälle müssten verlagert werden. Und bei der Geburtshilfe würde die Zahl der Abteilungen von 593 auf 227 sinken. „52 Prozent der Fälle müssten dann an anderen Krankenhäusern erbracht werden“, so Augurzky, der auch Mitglied der Kommission ist.
Die Analyse beruht in erster Linie auf den Qualitätsberichten der Krankenhäuser aus dem Jahr 2020. Sie bezieht sich auf die Vorhaltung der jeweiligen Leistungen und nicht auf die Leistungsmengen. Zudem wurden die Strukturvorgaben berücksichtigt, die der Gemeinsame Bundesausschuss im Jahr 2018 für die stationäre Notfallversorgung vorgelegt hat. An diesen Vorgaben hatte sich auch die Regierungskommission orientiert (Kasten „Notfallstufen des G-BA“).
Die Krankenhäuser reagierten alarmiert auf die Analyse. Eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Vorschläge der Regierungskommission „würde zu einem sehr tiefen Eingriff in die Krankenhauslandschaft führen“, betonte der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. rer. pol. Gerald Gaß bei der Vorstellung der Ergebnisse Mitte Februar. Die Bundesländer reagierten mit einem Aufschrei. So sprach zum Beispiel der bayerische Landkreistagspräsident Thomas Karmasin (CSU) von einer „Schneise der Verwüstung“, die die Reform durch Bayern ziehen würde. Die kirchlichen Krankenhausträger in NRW wiesen zudem darauf hin, dass eine Schließung vieler Standorte auch Auswirkungen auf die Pflegeausbildung haben werde, die heute vielfach in den Krankenhäusern stattfindet. Und Ärzteverbände wie das Bündnis Junge Ärztinnen und Ärzte (BJÄ) betonten schon zuvor, dass die Folgen der Reform auf die ärztliche Weiterbildung unbedingt berücksichtigt werden müssten (DÄ, Ausgabe 6/23).
Das BMG wies anlässlich der Analyse darauf hin, dass die einzelnen Versorgungsstufen noch nicht definiert seien. Gute Berechnungen über die Auswirkungen der Reform auf die Versorgung könnten daher erst vorgelegt werden, wenn diese Definitionen feststünden. Grundsätzlich geht das Ministerium eher davon aus, dass es künftig 300 bis 400 Krankenhäuser des Levels 2 in Deutschland geben wird.
Sache der Länder
Dass eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Kommissionsideen so weitreichende Auswirkungen hätte, liegt vor allem daran, dass die Kommission das Vorhalten bestimmter Leistungsgruppen an das Erreichen der Versorgungslevel gekoppelt hat. „Ein Krankenhaus mit einer großen Geburtsklinik dürfte dann künftig keine Geburtshilfe mehr anbieten, wenn es über keine Neurologie verfügt“, erklärte Ingo Morell, Präsident der DKG und der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW). „Wenn man sich von dieser starren Kopplung lösen würde, lägen unsere Vorstellungen gar nicht so weit entfernt von denen der Regierungskommission.“
Gleichzeitig konnte Morell die Krankenhäuser in Deutschland beruhigen. Aus seiner Sicht wird es keine Eins-zu-eins-Umsetzung der Kommissionsvorschläge geben. Schließlich beziehen sich diese in großen Teilen auf die Krankenhausplanung, die Sache der Bundesländer ist. Und die Länder haben deutlich gemacht, dass sie die Vorschläge nicht eins zu eins übernehmen werden. Bund und Länder haben sich darauf verständigt, bis zum Sommer dieses Jahres einen gemeinsamen Vorschlag erarbeiten zu wollen (Kasten „Ausblick“). Dabei werden die Länder allerdings nicht darum herumkommen, auf die Zwänge der 2020er-Jahre zu reagieren, die sich insbesondere aus dem demografischen Wandel ergeben.
„Die Auswirkungen des demografischen Wandels erfordern mutige, zukunftsorientierte Schritte zur Umgestaltung unseres Gesundheitswesens, nicht nur der Krankenhausversorgung“, betonte der DKG-Vorsitzende Gaß. Es sei unstrittig, dass es nicht möglich sein werde, in den heutigen Versorgungsstrukturen die notwendigen Gesundheitsleistungen von morgen zu erbringen. „Wir werden die vorhandenen Strukturen im ambulanten und stationären Bereich nicht unverändert lassen und sie mit einer ausreichenden Zahl an Fachkräften ausstatten können“, sagte Gaß.
Bei ihren Beratungen werden Bund und Länder auch nach Nordrhein-Westfalen blicken. Denn hier vollzieht sich bereits seit Jahren, was sich auch bundesweit vollziehen soll: die Umsetzung einer Krankenhausplanung, in der überflüssige Doppelstrukturen identifiziert und im Anschluss abgebaut werden – bei gleichzeitiger Verbesserung der Versorgungsqualität. Denn auch in NRW wurden Leistungsgruppen eingeführt, die an Mindeststrukturvorgaben gekoppelt sind. Die Basis bildete in NRW ein Gutachten, in dem die Einführung von 128 Leistungsgruppen empfohlen wurde – so viele, wie sie auch die Regierungskommission vorgeschlagen hat. In NRW entschied man sich am Ende jedoch, die Leistungsgruppen an die ärztliche Weiterbildung zu koppeln und 60 somatische Leistungsgruppen auszuwählen. Diese sind an Qualitätsindikatoren gekoppelt, die die Krankenhäuser einhalten müssen, wenn sie die entsprechenden Leistungen künftig erbringen wollen. Zum Beispiel müssen Krankenhäuser, die Leistungen der „Komplexen Endokrinologie und Diabetologie“ erbringen wollen, auch die Leistungsgruppen „Allgemeine Chirurgie“, „Allgemeine Innere Medizin“ und „Intensivmedizin“ vorhalten sowie drei Fachärzte in diesem Bereich beschäftigen, von denen mindestens zwei Fachärzte für Endokrinologie und Diabetologie sind. Die Vorschläge der Regierungskommission und die Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen werden in jedem Fall zwei der Pfeiler sein, auf denen die anstehenden Beratungen von Bund und Ländern beruhen (Kasten „Unterschiede zwischen der Kommission und NRW“).
Gute Erfahrungen in NRW
Morell wies auf die guten Erfahrungen hin, die NRW mit seiner Reform der Krankenhausplanung gemacht habe – weil diese nicht über einen Algorithmus vorgegeben, sondern in einem gemeinsamen Diskussionsprozess entwickelt worden sei. Dabei betonte er: „Auch unsere Leistungsgruppen werden zu einer Konzentration der Versorgung im Bereich der High-End-Medizin führen.“ Das sei ja auch gewollt. „Und wir werden auch in NRW Verlagerungen der Versorgung und Standortschließungen erleben“, so Morell weiter. „Davor drücken wir uns auch nicht. Wir benötigen aber eine Flexibilität in der Krankenhausplanung, um auf die Bedürfnisse in den Regionen eingehen zu können.“
Zugleich meinte der KGNW-Präsident, dass Standortschließungen nicht zwangsläufig dazu beitragen würden, den Fachkräftemangel zu beheben. Denn man könne nicht davon ausgehen, dass sich die Mitarbeitenden geschlossener Standorte gleich in den umliegenden Krankenhäusern bewerben würden, mit denen die dort bestehenden offenen Stellen besetzt werden können. Charlotte Kurz, Falk Osterloh
Ausblick auf die kommenden Monate
Bis zur Sommerpause wollen sich Bund und Länder fünf Mal treffen, um eine gemeinsame Position für die Krankenhausreform zu finden. Die Treffen sollen jeweils Ende des Monats stattfinden. An den Sitzungen nehmen die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder teil sowie die Regierungsfraktionen. Die Fachebene wird wöchentlich zusammenkommen, um die Treffen vorzubereiten. Ziel ist, dass das Bundesgesundheitsministerium im Anschluss einen Gesetzentwurf verfasst, der im September das parlamentarische Verfahren einleitet, das im Dezember mit einer Verabschiedung des Gesetzes enden soll.
Vier Themengebiete stehen bei den Treffen auf der Agenda: die Definition der neuen Versorgungsstufen, die Definition der Leistungsgruppen, die Ausgestaltung der Vorhaltepauschalen und die neuen Level-1i-Einrichtungen, die künftig als integrierte ambulant/stationäre Krankenhäuser agieren sollen.
Unterschiede zwischen der Kommission und NRW
- In Nordrhein-Westfalen (NRW) wurde die neue Krankenhausplanung in zahlreichen Gesprächen mit allen beteiligten Akteuren konsentiert: von den Ärztekammern über die Krankenhäuser bis zu den Krankenkassen. Die Reform der Bundesregierung soll auf den Ideen der Regierungskommission fußen, die von Bund und Ländern im Anschluss modifiziert werden. Weitere Akteure sind nicht direkt beteiligt.
- Sowohl die Kommission als auch NRW wollen den Krankenhäusern genauer vorschreiben, welche Leistungen sie erbringen dürfen: über die Zuweisung von Leistungsgruppen mit Mindeststrukturvorgaben. Die Kommission schlägt eine feine Differenzierung des Leistungsgeschehens mittels 128 Leistungsgruppen vor. NRW hat sich für 60 somatische Leistungsgruppen entschieden.
- Die Regierungskommission will das Erreichen der Versorgungslevel an das Vorhalten bestimmter Leistungsgruppen binden. Dadurch könnten manche Fächer, zum Beispiel die Geburtshilfe, nur noch in großen Krankenhäusern mit vielen Abteilungen angeboten werden. NRW sieht keine Einführung von Versorgungsleveln vor. Eine große Geburtshilfe kann insofern auch an mittelgroßen Krankenhäusern angesiedelt sein.
- Der neue Krankenhausplan von NRW enthält eine Bedarfsprognose für die stationäre Versorgung, die in den anstehenden Diskussionen zwischen Politik, Krankenhäusern und Krankenkassen noch einmal angepasst werden soll. Der Kommissionsvorschlag enthält keine Bedarfsprognose.
Notfallstufen des Gemeinsamen Bundesausschusses
Das System der Notfallstrukturen des Gemeinsamen Bundesausschusses sieht eine Einteilung aller Krankenhäuser in eine von drei Stufen vor: die Basisnotfallversorgung (Stufe 1), die erweiterte Notfallversorgung (Stufe 2) und die umfassende Notfallversorgung (Stufe 3). Für jede Stufe wurden Mindeststrukturvoraussetzungen festgelegt, die die Krankenhäuser einhalten müssen. In der Stufe 1 müssen Krankenhäuser unter anderem mindestens über die Fachabteilungen Chirurgie/Unfallchirurgie und Innere Medizin sowie eine Intensivstation mit sechs Betten verfügen. Eine Betreuung durch einen Facharzt muss innerhalb von 30 Minuten erfolgen. An die Notfallstufen sind Zuschläge gekoppelt. Der Zuschlag für die Stufe 1 beträgt 153 000 Euro pro Standort und Jahr, in der Stufe 2 erhalten Krankenhäuser 459 000 Euro und in der Stufe 3 688 500 Euro. Wer die Strukturvorgaben der Stufe 1 nicht erfüllt, muss einen Abschlag von 60 Euro für jeden vollstationären Behandlungsfall hinnehmen. Das System sieht zudem eine Länderöffnungsklausel vor, über die die Bundesländer Krankenhäuser als Notfallkrankenhäuser ausweisen können, obwohl diese die Vorgaben der Stufe 1 nicht erfüllen.
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