ArchivDeutsches Ärzteblatt9/2023Interview mit Laura Grüner, Dr. med. Barbara Puhahn-Schmeiser und Dr. med. Petra Büchin: Über Vorbilder und Klischees

POLITIK: Das Interview

Interview mit Laura Grüner, Dr. med. Barbara Puhahn-Schmeiser und Dr. med. Petra Büchin: Über Vorbilder und Klischees

Kurz, Charlotte; Beerheide, Rebecca

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

In einem Generationengespräch tauschen sich drei Ärztinnen unterschiedlicher Berufserfahrung und Generationen über die Vereinbarkeit von Beruf und Privatem, alte Rollenbilder und Solidarität auch von männlichen Kollegen aus.

Zur Person

Foto: privat
Foto: privat

Dr. med. Petra Büchin (54) ist Chefärztin des Zentrums für Wirbelsäulenchirurgie und Rückentherapie und Ärztliche Direktorin des Karl-Olga-Krankenhauses in Stuttgart.

Zur Person

Foto: Oliver Kraus
Foto: Oliver Kraus

PD Dr. med. Barbara Puhahn-Schmeiser (39) ist Fachärztin für Neurochirurgie und arbeitet am Universitätsklinikum Freiburg und ist Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes.

Zur Person

Foto: privat
Foto: privat

Laura Grüner (27) ist Ärztin in Weiterbildung für Orthopädie und Unfallchirurgie im Städtischen Klinikum Dresden.

Wie werden Sie in Ihrem beruflichen Alltag wahrgenommen auch im Vergleich zu männlichen Kollegen?

Laura Grüner: Ich fühle mich im Vergleich zu meinen männlichen Kollegen gleichgestellt. Bei den Patienten ist das anders. In der Unfallchirurgie tragen wir hauptsächlich Kasack und damit sind wir Ärzte nicht so klar von der Pflege zu unterscheiden. Ich denke, ich trete resolut auf und mache klar, dass ich Ärztin bin. Trotzdem fühle ich mich manchmal nicht wahrgenommen. Viele ältere männliche Patienten nennen mich häufig „Schwesterchen“. Oder ich erkläre dem Patienten den Operationsprozess und danach kommt die Frage: „Ja und wann kommt der Doktor?“ Das ist schon mehrfach, auch an meiner vorherigen Arbeitsstelle an einer orthopädischen Klinik, passiert. Anderes Beispiel: Wenn man als Assistenzärztin mit einem männlichen Studenten am Bett steht, dann redet der Patient einfach mit dem Studenten, obwohl man vorher erklärt hat, dass er ein angehender Kollege ist. Ich dachte, da stehe ich drüber, aber es hat mich doch beschäftigt.

Barbara Puhahn-Schmeiser: Unter den Kollegen finde ich, gibt es sowohl im Studium als auch im Beruf keine Andersbehandlung. Am Anfang meiner beruflichen Tätigkeit gab es allerdings einen Vorfall mit einem damaligen Chefarzt. Er sagte zu mir: „Sie haben ein Y-Chromosom zu wenig und deswegen können wir sie leider nicht einstellen.“ Die Angst war, dass zu viele Ärztinnen in der Klinik arbeiten, die schwanger werden können. Die Andersbehandlung durch die Patienten kann ich bestätigen. Was hilft ist, Kittel mit Namen und Bezeichnung zu tragen.

Petra Büchin: Mir ging das am Anfang meiner Karriere genauso und das zieht sich mit den Patienten bis heute fort. Ich bin jetzt 54 Jahre alt und muss mich immer noch in der Sprechstunde fragen lassen, ob ich auch operiere. Es ist auch schon passiert, dass Angehörige mich gebeten haben, dass ich etwas zu Essen für sie besorgen soll. Mittlerweile stehe ich da drüber und kann das auch weglächeln. Ich hatte vor Jahren ein Erlebnis auf dem niederrheinisch-westfälischen Chirurgenkongress. Die Vorsitzenden haben mich mit Herrn Doktor Büchin aufgerufen. Als ich klargestellt habe, dass ich damit gemeint war, hieß es nur: „Ach Entschuldigung, ich dachte, sie sind die Dame, die die Mikrofone verteilt.“ Der ganze Hörsaal voller Männer hat schallend gelacht. Ich war damals sehr betreten.

Grüner: Etwas Ähnliches ist mir auch einmal passiert. Auf einer Weihnachtsfeier wurden meine Kommilitonen und ich eingeladen, da war ich noch im PJ. Der Chefarzt erklärte mir, dass ich mir das mit der Unfallchirurgie und Orthopädie gut überlegen sollte, wenn ich eine Familie haben will. Er sagte vor allen: „Frauen gehören nicht in die Unfallchirurgie.“ Danach dachte ich, jetzt mache ich es erst recht.

Büchin: Ganz am Anfang hat man bei der Einstellung gesagt, dass ich es mir als Frau das mit der Chirurgie überlegen sollte. Ein Professor zu mir: „Sie sind jetzt grad nett anzusehen und man hat sie ganz gerne um sich. Aber wenn sie mal älter sind und der Lack ab ist, dann sieht es ganz anders aus.“

Wie reagiert man am besten auf solche Situationen? Erleben Sie dabei auch Solidarität von den männlichen Kollegen?

Grüner: Damals auf der Weihnachtsfeier war ich perplex und schockiert, weil ich damit nicht gerechnet habe und konnte gar nichts erwidern. Ein Kommilitone und gleichzeitig guter Freund hat dem Chefarzt in angemessenem Ton gesagt, dass das absolut nicht zeitgemäß ist. In meinem Freundeskreis waren alle erschrocken, dass so etwas überhaupt noch Thema ist. Solidarität von männlichen und weiblichen Studenten ist vorhanden.

Puhahn-Schmeiser: Ich kann nur für die Universitätskliniken sprechen. Es geht natürlich um die Karriere, da will man dem Chef gefallen. Deswegen gibt es doch auch Grenzen der Solidarität. Ich bin überrascht, wie der Kommilitone reagiert hat und finde das toll. Das ist mutig und passiert aus meiner Sicht selten. Gut wäre, wenn man in dieser Situation gelassen bleiben kann und das in Ruhe kommentiert. Wichtig sind auch Frauen wie Petra Büchin in entsprechenden Positionen, damit sich die Denkweise ändert. Solche Frauen, die Pionierinnen in den letzten Jahren waren und sind, helfen uns weiter.

Büchin: Es gibt noch immer dieses Rollenverständnis, dass die Frau beruflich zurücksteckt. Das ist in unserer Gesellschaft immer noch extrem stark verwurzelt. Als Chirurgin ist es noch schwieriger. Wir haben gerade eine junge Assistentin, die ist sehr begabt und kann nach einem Jahr schon sehr gut operieren. Bei uns ist es eigentlich üblich, dass jeder Operateur zum Patient geht und sich vorstellt. Sie macht das nicht gerne, weil auch Fragen etwa nach ihrem Alter kommen. Ich habe ihr gesagt, dass sie lernen muss, damit umzugehen. Ich bestärke sie, dass sie selbstbewusst in das Gespräch geht und erklärt, dass sie nicht alleine, sondern im Team operiert und sie das macht, was man ihr zutraut.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihre männlichen Kollegen das Thema auch interessiert und das etwa auf Kongressen diskutiert wird?

Büchin: Ich glaube, manche verstehen es noch nicht so richtig. Bei einem Chirurgenkongress gab es eine Podiumsdiskussion und da stand ein Chefarzt auf und sagte, er wolle uns etwas Gutes tun. Er fragte, was wir haben wollen, ob wir andere Instrumente bräuchten, die wir leichter bedienen könnten. Das ist aber nicht unser Problem.

Puhahn-Schmeiser: Ich glaube, dass das Bewusstsein für dieses Thema wächst, auch deshalb, weil es mehr Chefärztinnen in diesen Positionen gibt.

Grüner: Ich hab an der Universität Rostock studiert und da war das immer ein Thema. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass die Orthopädie und Unfallchirurgie auf jeden Fall ein Frauenfach ist. Ich bin aber die einzige Frau aus meinem Freundeskreis, die das Fach gewählt hatte.

Wie sehen Sie Ihre Karriere als Ärztin? Welche Erwartungen haben Sie an Ihr Berufsleben?

Grüner: Meine Erwartungen ans Berufsleben waren, dass ich schnell den Facharzt mache. Ich will meine Arbeit gut machen, dass sich die Patienten wohlfühlen und ich viel lerne.

Puhahn-Schmeiser: Am Anfang des Berufslebens ist man ungebunden, will schnell seinen Facharzt machen und dann teilweise auch habilitieren. Im Laufe der Zeit stand bei mir dann aber die Familienplanung im Raum. Ich bin ganz froh, dass ich meinen Facharzt und die Habilitation vorher abschließen konnte. Insgesamt glaube ich, dass Ärztinnen schnell ins Hintertreffen geraten, dadurch dass in der Lebensphase zwischen 30 und 40 Jahren, nämlich in der Zeit, in der Karrieren allgemein ihren Lauf nehmen, wichtige Rahmenbedingungen fehlen.

Büchin: Als ich angefangen habe zu arbeiten, war ich von der Chirurgie total fasziniert und erst später kam der Kinderwunsch hinzu. Ich habe dann das erste Kind bekommen und mit der Schwangerschaft mit meinem zweiten Kind bin ich von Aachen in meine Heimat Stuttgart gezogen und habe fünf Jahre Pause gemacht. Mir waren die Kinder so wichtig wie mein Job. Ich wollte aber auch die Mutterrolle ausfüllen. Es ist wichtig, dass wir das auch parallel hinkriegen und es kein Karrierenachteil ist, wenn man sich ganz bewusst für diese Pause entscheidet. Das ist auch eine Chance für uns Frauen, um bei der jahrzehntelangen Berufszeit auch eine Auszeit zu haben und die Zeit mit den Kindern ganz bewusst zu genießen. Danach habe ich fachfremd in der Wirbelsäulenchirurgie wieder angefangen. Über einen Umweg habe ich meinen Facharzt in Orthopädie und Unfallchirurgie gemacht. Ich hatte nie das große Karriereziel vor Augen. Es kam eher Schritt für Schritt, dass ich im Job mehr Verantwortung sowohl für Patienten als auch für Mitarbeiter übernehmen wollte. So kam auch der Wunsch, Chefärztin und Ärztliche Direktorin zu werden. Wenn allerdings etwas mit meinen Kindern gewesen wäre, hätte ich das gestoppt und mich wieder stärker um die Kinder gekümmert.

Oftmals wird die Auszeit aber noch als Karrierehindernis gesehen ...

Büchin: Oft ist es in der Medizin so, dass man nicht nur acht Stunden in der Klinik arbeitet, sondern sich abends auf eine Operation am nächsten Tag vorbereiten muss. Wenn ich diese Zeit nicht einbringen kann und deshalb nicht in meiner Karriere vorankomme, ist das problematisch. Deshalb sollte die Arbeitsteilung von beiden Partnern wirklich auch paritätisch organisiert werden, sonst wird die Frau immer einen Karrierenachteil haben.

Puhahn-Schmeiser: Ja, das ist richtig. In diesem Zusammenhang finde ich jedoch den Karriereweg von Frau Büchin wegweisend, die nach Mutterschutz und Elternzeit trotzdem eine beeindruckende chirurgische Karriere hingelegt hat. Solche Vorbilder sind wichtig, dass man ohne Gewissensbisse Mutterschutz und Elternzeit auch mal bewusst genießen kann, ohne das Gefühl zu haben, zwingend die Karriere opfern zu müssen.

Grüner: Für Frauen wie mich, die noch keine Familie haben, macht das ebenfalls Mut. Uns muss gesagt werden, dass Berufliches und Privates kombinierbar sind.

Büchin: Man braucht allerdings ein extrem gutes Netzwerk. Ich hatte die Eltern im Haus und konnte die Kinder, bevor ich zur Arbeit gegangen bin, zu meinen Eltern bringen. Es ist trotzdem schwierig für jemand, der immer pünktlich um 14.30 Uhr gehen muss, alles mitzubekommen. Wir versuchen zwar, den OP-Plan so zu gestalten, dass er vereinbarer ist, aber es wird auch immer Operationen geben, die nachmittags stattfinden und die eine Kollegin dann nicht miterleben kann, weil sie nicht da ist.

War oder ist es für Sie eine Option, sich niederzulassen oder im niedergelassenen Bereich zu arbeiten?

Büchin: Für mich war das nie eine richtige Option. Allerdings kenne ich auch einige zumeist Ältere, die in die Niederlassung genau aufgrund der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gegangen sind.

Puhahn-Schmeiser: Für mich persönlich war das bis jetzt auch noch kein Thema.

Grüner: Für mich ist das eine Option, insbesondere weil ich eher Richtung Orthopädie gehen möchte. Ich könnte mir vorstellen, in einem MVZ oder als angestellte Ärztin eher in der ländlichen Region zu arbeiten. Ich komme aus einem kleinen Ort 50 Kilometer östlich von Dresden. Dort werden niedergelassene Orthopäden dringend gesucht und von der Kassenärztlichen Vereinigung auch gefördert.

Welche Herausforderungen bestehen für Sie im Alltag?

Büchin: Frauen arbeiten weniger hierarchisch als Männer. Das erwarte ich aber von Kollegen. Da stoße ich oft auf Unverständnis und merke, dass die Männer ihre Mauern um sich herum hochhalten, damit alles beim Alten bleibt. Das ist manchmal eine Herausforderung, sie dazu zu bringen, im Team, interdisziplinär oder mehr auf Augenhöhe zu arbeiten. Aufgrund des Personalmangels brauchen wir die Frauen aber unbedingt am Patientenbett in den Kliniken und in den Arztpraxen. Sie sind top ausgebildet und arbeiten meiner Meinung nach auch viel effektiver. Man muss ihnen unbedingt die Voraussetzungen schaffen und dann haben Ärztinnen heutzutage alle Möglichkeiten und Chancen. Ich musste früher noch viel mehr kämpfen, weil es eher einen Mangel an Stellen gab.

Puhahn-Schmeiser: Im Alltag ist es eine Herausforderung, alles unter einen Hut zu bringen. Dafür brauchen Beschäftigte adäquate Rahmenbedingungen, dass Vereinbarkeit mit Privatem auch möglich ist. Also verlässliche Dienst- beziehungsweise Arbeitszeiten, für alle Beteiligten sinnvolle Arbeitszeitmodelle und geeignete Arbeitsmodelle. Wenn man hier als Vorbildrolle gute Bedingungen schafft, zieht das sicher weitere Kreise.

Grüner: Es sollte Normalität und nicht die Ausnahme sein, dass der OP-Plan nicht für Person XY wegen der Kinderbetreuung umgestellt wird. Damit würde man mehr Akzeptanz unter männlichen als auch weiblichen Kollegen schaffen.

Was müsste sich politisch oder gesellschaftlich ändern, um Hürden abzubauen und Gleichstellung voranzutreiben?

Büchin: Ein ganz großer Schritt wäre es, wenn die Männer genau genauso in Elternzeit gehen würden wie die Frauen. Wenn das nicht mehr die Ausnahme ist, sondern normal wird. Das wäre ein großer Unterschied.

Puhahn-Schmeiser: Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Es wird oft als Problem der Frauen und nicht als Problem der Eltern dargestellt. Ich finde es sinnvoll, wenn es so etwas wie paritätische Elternzeit mit entsprechenden monetären Anreizen geben würde. Das wäre ein Wahnsinnsschritt nach vorne. Wichtig sind auch flexible und ausreichende Betreuungszeiten.

Welchen Rat haben Sie an jüngere Ärztinnen und welchen Rat geben Sie Älteren im Umgang mit Jüngeren?

Büchin: Ich hätte als junge Frau gerne eine Mentorin gehabt, die mir etwa beigebracht hätte, wie ich in Gesprächen mit Vorgesetzten agieren sollte. Heute bin ich Mentorin für den Deutschen Ärztinnenbund und finde, das ist für beide Seiten eine Win-win-Situation, sofern sich beide darauf einlassen.

Puhahn-Schmeiser: Es ist sehr wichtig, weibliche solidarische Vorbilder zu haben. Zudem würde ich jüngeren Frauen immer raten, das zu machen, wofür sie brennen. Ich habe zum Beispiel in der Gynäkologie angefangen, weil ich damals dachte, dass Vereinbarkeit hier einfacher wäre. Das habe ich aber nach einem Jahr aufgehört, weil ich eben schon immer Neurochirurgin werden wollte. Heute bin ich sehr froh, dass ich mich so entschieden haben.

Grüner: Es ist auch mein Wunsch, weibliche Vorbilder zu haben und zu sehen, dass die Chefärztin auch Mensch ist, die Kinder hat und es trotzdem funktioniert. Ich komme nicht aus einer Ärztefamilie und da ist es umso wichtiger zu lernen, wie man das alles organisiert. Ich möchte aber auch nicht bevorzugt behandelt werden, weil ich eine Frau bin, sondern ich möchte mir meinen Platz verdienen, weil ich chirurgisch gut bin und man mir fachlich etwas zutraut. Das Interview führten

Charlotte Kurz und Rebecca Beerheide.

Erfahrungen teilen

Ärztinnen werden am Arbeitsplatz oftmals nicht ernst genommen, arbeiten weniger hierarchisch und sollten sich öfter Mut zusprechen. Darin waren sich die drei Ärztinnen einig. Welche Erfahrungen oder Situationen haben Sie erlebt, auch als männliche Kollegen?
Schreiben Sie uns: gleichberechtigung@aerzteblatt.de


Berichterstattung im Wandel

Teilzeit, Karriere und Repräsentanz: Das Deutsche Ärzteblatt berichtet seit Jahrzehnten über die Herausforderungen für Frauen in der Medizin. Waren es zunächst Berichte dazu, überhaupt als Mutter in Klinik und Praxis arbeiten zu können, stehen nun Führungspositionen und Gleichberechtigung im Fokus.

Alle Beiträge zum Nachlesen: https://www.aerzteblatt.de/weltfrauentag2023

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote