ArchivDeutsches Ärzteblatt9/2023Aviäre Influenza: H5N1 breitet sich global aus

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Aviäre Influenza: H5N1 breitet sich global aus

Gießelmann, Kathrin

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Immer mehr Forschende äußern sich besorgt über die Ausbreitung des Vogelgrippevirus H5N1. Einige warnen vor einer Anpassung des Virus an Säugetiere. Denn bereits im Oktober 2022 konnte in Spanien auf einer Nerzfarm die erste Übertragung unter Säugetieren beobachtet werden.

Foto: Science Photo Library/Scott Camazine
Foto: Science Photo Library/Scott Camazine

Das hochpathogene aviäre Influenzavirus breitet sich aus wie nie zuvor. Erstmals ist es in Südamerika angekommen. Einzig die Antarktis und Australien blieben bisher verschont. Bei dem derzeitigen Ausbruch der Vogelgrippe H5N1 seien bereits 58 Millionen Tiere in Hühnerställen und industriellen Betrieben gestorben, heißt es in Science (1). Immer mehr Beweise für eine Übertragung von Vögeln auf Säugetiere oder von Säugetiere auf Säugetiere liegen vor: Bei den Robben im Kaspischen Meer sowie den Seelöwen in Peru handelte es sich wahrscheinlich um einzelne Ereignisse, berichtete Ursula Höfle (PhD) von der Universität von Castilla-La Mancha in Spanien bei einer Pressekonferenz im Februar (2).

Hingegen würden genomische Daten darauf hindeuten, dass es bei dem Ausbruch auf der Nerzfarm mit mehr als 50 000 Tieren im Nordwesten Spaniens erstmals zu einer Transmission zwischen Säugetieren kam. Für den Virologen Dr. Tom Peacock vom Imperial College in London sind die Ereignisse auf der Nerzfarm „ein klarer Mechanismus, wie eine H5-Pandemie starten“ könnte (3). „Zum jetzigen Zeitpunkt sieht es so aus, dass sich die Nerz-zu-Nerz-Transmission de novo auf der Tierfarm entwickelt hat“, ergänzte Höfle. Sie konnten eine Mutation eines Teils der viralen Polymerase (PB2-Protein) nachweisen, der die Proteaseaktivität der Viren in Säugetierzellen erhöhen kann und somit die Übertragung erleichtere, berichtete die spanische Veterinärmedizinerin.

In äußerst seltenen Fällen wurde das Virus auch auf den Menschen übertragen, was auf das zoonotische Potenzial der Seuche hinweist. Dennoch stehe man zu diesem Zeitpunkt nicht kurz vor einer H5-Pandemie, betonte Prof. Dr. med. vet. Martin Beer, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik am Friedrich-Loeffler-Institut. Ein an Schweine angepasstes H5-High-Pass-Virus wäre hingegen viel besorgniserregender als die Infektion von Nerzen, erklärte Beer und verwies auf Ähnlichkeiten im angeborenen Immunsystem bei Schweinen und Menschen.

Etwas beunruhigter äußerte sich Prof. Dr. rer. nat. Stephan Ludwig, Leiter der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen am Standort Münster im Interview mit der Zeit (4). Er betonte die höhere Viruslast, die globale Ausbreitung und die im Vergleich zu Corona schnellere Fähigkeit zu mutieren: „Schauen Sie sich das Coronavirus und seinen Sprung auf den Menschen an. Es war die schiere Menge an Viren, die so rasch zu so vielen Varianten geführt hat.“ Das könne in dieser Vogel-Pandemie auch passieren, ist Ludwig überzeugt. Kathrin Gießelmann

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0923
oder über QR-Code.


Foto: picture alliance/dpa/Christophe Gateau
Foto: picture alliance/dpa/Christophe Gateau

3 Fragen an . . .

Prof. Dr. med. Christian Drosten, Berliner Standortleiter der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen

Wie ordnen Sie die aktuelle Verbreitung von H5N1 ein?

Die derzeitige Entwicklung um H5N1 ist beachtenswert. Die Nachrichtenlage wird dadurch bestimmt, dass das Virus nun in Wild- und Nutzbeständen von Säugetieren übertragen und nicht nur eingetragen wird. Die anfänglichen Eintragungen ereignen sich zudem über einen großen geografischen Bereich, was der hohen Übertragbarkeit und Verbreitung des Virus bei Vögeln geschuldet ist.

Sehen Sie eine unmittelbare Gefahr für eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung?

Bisher kommt es zu keiner besorgniserregenden Häufung der Übertragung auf den Menschen, geschweige denn zu einer irgendwie auffälligen Mensch-zu-Mensch Übertragung. Begrenzte Infektionen zwischen Menschen sind zwar in der Vergangenheit durchaus schon beschrieben worden (5, 6, 7, 8), erreichen aber bei Weitem nicht die Effektivität, die am Anfang einer Pandemie beim Menschen stünde. Das Virus kann sich momentan also besser an Säugetiere anpassen, nicht aber speziell an den Menschen. Im Genom der bisher analysierten Viren wurden in manchen Fällen schon erste Anpassungsmutationen an Säugetiere gesehen, diese sind allein aber noch kein Alarmsignal.

Zudem sind die Bestände von wild lebenden Säugetieren in ihrer Größe und geografischen Ausbreitung nicht mit der menschlichen Bevölkerung zu vergleichen. Daher ist die Dimension, in der das Virus jetzt Gelegenheit bekommt, sich an Säugetiere anzupassen, wohl nicht mit der Dimension einer pandemischen Übertragungswelle von SARS-CoV-2 beim Menschen gleichzusetzen.

Sollten Impfstoffe vorbereitet werden, ohne dass die Variante bekannt ist, die sich beim Menschen ausbreiten könnte?

Der Zeitpunkt einer hinreichenden Anpassung an den Menschen lässt sich nicht vorausbestimmen. Daher ist jede technisch machbare und vom Aufwand vertretbare Vorbereitung zur Impfstoffentwicklung mit moderneren Formulierungen, auch etwa mRNA-Vakzinen, aus meiner Sicht zu befürworten.

1.
Lindner A, Jamieson D: Blind spots in biodefense. Science 16. Februar 2023; Vol 379, Issue 6633 CrossRef MEDLINE
2.
Gießelmann K: Vogelgrippe bei Nerzen: Welche Gefahr besteht jetzt für den Menschen? https://www.aerzteblatt.de/n140951 (last accessed on 20 January 2023).
3.
Kupferschmidt K: ‘Incredibly concerning’: Bird flu outbreak at Spanish mink farm triggers pandemic fears. Science News 24. Januar 2023.
4.
Sentker A, Ludwig S: „Wir haben jetzt eine Riesenchance“. Die Zeit 16. Februar 2023.
5.
Kandun IN, Wibisono H, Sedyaningsih ER, et al.:Three Indonesian clusters of H5N1 virus infection in 2005. N Engl J Med 2006; 355: 2186–94 CrossRef MEDLINE
6.
Ungchusak K, Auewarakul P, Dowell SF, et al.: Probable person-to-person transmission of avian influenza A (H5N1). N Engl J Med 2005; 352: 333–40 CrossRef MEDLINE
7.
Wang H, Feng Z, Shu Y, et al.: Probable limited person-to-person transmission of highly pathogenic avian influenza A (H5N1) virus in China. Lancet 2008; 371: 1427–34 CrossRef MEDLINE
8.
Zaman M, Ashraf S, Dreyer NA et al.: Human infection with avian influenza virus, Pakistan, 2007. Emerg Infect Dis Juni 2011; 17 (6): 1056–9 CrossRef MEDLINE
1.Lindner A, Jamieson D: Blind spots in biodefense. Science 16. Februar 2023; Vol 379, Issue 6633 CrossRef MEDLINE
2.Gießelmann K: Vogelgrippe bei Nerzen: Welche Gefahr besteht jetzt für den Menschen? https://www.aerzteblatt.de/n140951 (last accessed on 20 January 2023).
3.Kupferschmidt K: ‘Incredibly concerning’: Bird flu outbreak at Spanish mink farm triggers pandemic fears. Science News 24. Januar 2023.
4.Sentker A, Ludwig S: „Wir haben jetzt eine Riesenchance“. Die Zeit 16. Februar 2023.
5.Kandun IN, Wibisono H, Sedyaningsih ER, et al.:Three Indonesian clusters of H5N1 virus infection in 2005. N Engl J Med 2006; 355: 2186–94 CrossRef MEDLINE
6.Ungchusak K, Auewarakul P, Dowell SF, et al.: Probable person-to-person transmission of avian influenza A (H5N1). N Engl J Med 2005; 352: 333–40 CrossRef MEDLINE
7.Wang H, Feng Z, Shu Y, et al.: Probable limited person-to-person transmission of highly pathogenic avian influenza A (H5N1) virus in China. Lancet 2008; 371: 1427–34 CrossRef MEDLINE
8.Zaman M, Ashraf S, Dreyer NA et al.: Human infection with avian influenza virus, Pakistan, 2007. Emerg Infect Dis Juni 2011; 17 (6): 1056–9 CrossRef MEDLINE

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