

Obwohl Ärztinnen mittlerweile in vielen Fachgebieten zahlenmäßig dominieren, sind Frauen in Führungspositionen immer noch unterrepräsentiert. Ein Umdenken ist jedoch bereits spürbar: Zunehmend engagieren sich junge Ärztinnen und Ärzte geschlechterunabhängig für Kinder und Karriere und artikulieren Benachteiligungen.
Häufig kommt es nicht vor, dass ein Ehepaar gleichzeitig an einer Medizinischen Fakultät habilitiert. Vor wenigen Wochen war dies in Leipzig der Fall: Dr. med. Jeanette Henkelmann, Radiologie, und Dr. med. Ralf Henkelmann, Orthopädie/Unfallchirurgie, hielten beide bei der Fakultätsratssitzung am 20. Dezember 2022 ihre Lehrproben – ein Kraftakt für die in Vollzeit am Universitätsklinikum Leipzig (UKL) tätigen Eltern eines zweijährigen Sohnes. „Uns war klar, dass wir die Challenge zwischen Beruf und Familie beide gleich annehmen“, sagen sie im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. „Unsere Familie steht immer im Vordergrund und der Zeitplan für Klinikprojekte wird entsprechend herumgestrickt.“ Ihr Erfolgsrezept: gegenseitige Motivation und Unterstützung, und zwar sowohl mental als auch ganz praktisch bei der gemeinsamen Betreuung des Sohnes, der die Betriebs-Kita des UKL besucht. „Die gleichzeitige Habilitation haben wir sportlich gesehen und sind als Familie ins Ziel gelaufen.“
Häufig eine Gratwanderung
Jeanette und Ralf Henkelmann verschweigen nicht, dass ihr Weg oftmals eine Gratwanderung zwischen Klinik, Forschung und Privatem ist. Zwar herrsche in ihrer Abteilung eine moderne Arbeitskultur und ihr Chef habe viel Vertrauen in sie als weibliche Führungskraft, sagt Jeanette Henkelmann. „Aber als junge Mutter fühlt man sich oft zwischen zwei Welten hin- und hergerissen.“ Offene Gespräche mit dem Chef und dem Team hätten bei Zeit- und Betreuungsproblemen viel Druck rausgenommen.
Ralf Henkelmann machte neben Anerkennung als junger Vater auch die Erfahrung, dass es im universitären Klinikbetrieb noch immer nicht selbstverständlich ist, als Mann Elternzeit zu nehmen, das Kind in die Kita einzugewöhnen und auch Kinderkrankentage zu nehmen. „Ein Umdenken sollte auch seitens der Väter aktiv bestärkt werden“, sagt er. „Motivation, Eigeninitiative, Durchhaltevermögen und Zeit sind entscheidende Zutaten für eine universitäre Karriere und auch zu vielen Teilen für eine glückliche Partnerschaft.“ Berufliche Ziele und die Arbeitsteilung im Privatem müssten daher ehrlich in der Partnerschaft besprochen werden. „Wir hatten beide das Ziel der Habilitation und haben es gemeinsam erreicht. Ich würde diesen Weg nochmals gehen und freue mich, dass ich auch in meinem operativen Fachgebiet sehe, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zunehmend geschlechterunabhängig gefordert wird.“
An der radiologischen Klinik des UKL ist Jeanette Henkelmann seit mehr als 20 Jahren die erste habilitierte Frau. „Die Habilitation ist eine relevante Hürde für Ärztinnen“, erklärt sie. Nur etwa 34 Prozent der abgeschlossenen Habilitationen in der Humanmedizin würden von Frauen erlangt. „Dies schränkt auch formal die Aufstiegsmöglichkeiten von Ärztinnen ein.“ Dass teilweise neben dem Leistungsprofil von Bewerberinnen und Bewerbern zusätzlich geschlechtsstereotype Eigenschaften in die Entscheidungsfindung für die Besetzung von Führungspositionen einbezogen würden, sei dagegen ein systematisches Problem.
Aufmerksam auf die systematische Benachteiligung von Frauen macht seit Jahren der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB). Seit 2016 untersucht die DÄB-Evaluationsstudie „Medical Women On Top“, deren Start vom Bundesfamilienministerium gefördert wurde, wie groß der Anteil von Ärztinnen in Führungspositionen ist. Evaluiert werden regelmäßig im Abstand von drei Jahren alle 38 deutschen staatlichen Universitätskliniken.
Die jüngste Auswertung von 2022 zeigt ganz an der Spitze nur wenig Bewegung in den letzten Jahren. So blieb der prozentuale Anteil der Klinikdirektorinnen im Durchschnitt bei 13 Prozent mit Verschiebungen innerhalb des Rankings der einzelnen Fakultäten. Der prozentuale Anteil an Oberärztinnen stieg jedoch von 31 Prozent im Jahr 2016 auf 37 Prozent im vergangenen Jahr. Interessant ist, dass der Anstieg fast alle untersuchten Fächer betraf, aber besonders deutlich in der Urologie, Chirurgie und Neurologie zu spüren war. Ein weiteres Novum: 2022 entschieden sieben Professorinnen als Dekaninnen (Hamburg, Dresden, Bochum, Augsburg, Bielefeld, Marburg und Magdeburg) mit über die Besetzung von Berufungskommissionen und die Berufungen in Führungspositionen. Bei der Erhebung 2019 gab es hingegen zwischenzeitlich keine einzige Dekanin als Entscheidungsträgerin in diesem wichtigen Amt einer Medizinischen Fakultät.
Jeanette Henkelmann hofft, dass sich der Wandel in der Klinikkultur zunehmend durchsetzt, auch im universitären Bereich. Junge Kolleginnen unterstützt sie mit ihrer eigenen Erfahrung. „Es braucht mehr aktive Netzwerke zur Motivation und zum Erfahrungsaustausch“, sagt sie. Lange habe sie sich gegen die Vorstellung von Frauenquoten gesträubt mit der Frage, ob ihr alleiniges Können nicht ausreiche. Mit zunehmender Erfahrung komme sie zu dem Schluss, dass eine Frauenquote zwar keine endgültige Lösung sei, „sie kann aber die notwendigen Weichen stellen und ein Werkzeug sein, mit dem sich der systematische Fehler ausgleichen lässt“.
Ortswechsel von Sachsen nach Niedersachsen: Auch in der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) ist der Anteil der beschäftigten Frauen hoch und die „gläserne Decke“ deutlich spürbar: Unter der Professorenschaft sind Frauen nur mit 21 Prozent vertreten, der Anteil der Oberärztinnen beträgt 33 Prozent. Im Fakultätsrat liegt der Frauenanteil jedoch bereits über 50 Prozent – Parität ist hier erreicht.
Auch für Anja Lipschik ist der allmähliche Wandel in der Klinikkultur spürbar. „Wenn wir wollen, dass der Frauenanteil schneller steigt, braucht es strategische Überlegungen und Maßnahmen“, sagt die hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte der UMG dem Deutschen Ärzteblatt. Konkret brauche es Planbarkeit, die Möglichkeit vollzeitnah zu arbeiten und mehr strukturelle Unterstützung in den Zeiten, in denen kleinere Kinder zu betreuen seien. Mutterschutz und Elternzeit seien Schutzräume, die aber nicht immer in ein volles Beschäftigungsverbot münden dürften.
Es fehlt noch an Strukturen
„Es braucht strukturierte Arbeitszeitmodelle für den Wiedereinstieg sowie eine stärkere Väterförderung“, erläutert Lipschik. Die UMG starte gerade ein Pilotprojekt in vier Kliniken, um auf den Bedarf nach vollzeitnaher Arbeit in der fachärztlichen Weiterbildung zu reagieren. Zielgruppe seien Ärztinnen und Ärzte, die beispielsweise aufgrund von Familienverantwortung Bedarf nach vollzeitnaher Arbeit haben. „Das Projekt läuft zwei Jahre und wird eng begleitet, evaluiert und vom Vorstand unterstützt. Ziel sind Modelle, die im Anschluss auch auf andere Kliniken übertragbar sind.“
Ein Grund, weshalb der Frauenanteil in den Führungspositionen in der Medizin nur langsam steige, ist für die UMG-Gleichstellungsbeauftragte die Tatsache, dass lebensphasengerechte Arbeitszeitmodelle im ärztlichen Dienst immer noch individuell ausgehandelt würden. „Ich kenne kaum strukturierte vollzeitnahe (70 bis 90 Prozent Arbeitszeit) Arbeitszeitmodelle im ärztlichen Dienst, die transparent und planbar kommuniziert werden“, sagt sie. Und nicht selten sei Teilzeitarbeit verbunden mit Karriereeinbußen. „Teilzeit wird immer noch als Zeichen einer geringeren Leistungsbereitschaft gesehen – und das ist falsch“, betont Lipschik.
Hinzu komme, dass die Arbeitszeiten in den Kliniken nicht verlässlich seien. „Das ist systembedingt und nachvollziehbar.“ Wenn man aber Familienverantwortung habe, müsse man zu einer bestimmten Uhrzeit an der Kita sein oder zu Hause. „Das betrifft übrigens Ärztinnen und Ärzte.“ Kinder und Familie würden jedoch noch häufig als Thema unhinterfragt auf Frauen projiziert. „Männern wird dieses Thema nicht automatisch zugeordnet“, weiß die Gleichstellungsbeauftragte. Hier sei ein gesellschaftliches Umdenken, aber auch ein Umdenken innerhalb einer Paarbeziehung gefragt, damit sich die Sorgearbeit auf beide Eltern aufteile und nicht zum Karrierehindernis für Frauen werde.
Gesellschaftliches Umdenken
Positive Veränderungen hat es nach den Beobachtungen von Lipschik in den letzten Jahren aber einige gegeben: „Der gesellschaftliche Wandel ist schon da. Junge Paare und Familien planen ihre Karrieren und ihre Zukunft gemeinsam und versuchen, sich gegenseitig zu unterstützen. Das stärkt!“
Jeanette und Ralf Henkelmann gehören zu den jungen Ärztinnen und Ärzten, die dieses Modell bereits leben. Es funktioniere, sei aber mit erheblichen Anstrengungen verbunden, räumen sie ein. „Zeit ist eine rare Ressource und muss von uns als Paar und Ärzte in Führungspositionen verantwortungsvoll verwaltet werden“, sagt Jeanette Henkelmann. „Wir haben ein Konzept, bei dem sich mein Mann sehr aktiv in die Kinderbetreuung einbringt und wir sehen ähnliche Konzepte auch immer häufiger bei Kolleginnen und Kollegen. Das ist eine tolle Entwicklung und die Akzeptanz dessen in der Personalpolitik unterstützt sowohl Mütter als auch Väter.“ Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
aerzteblatt.de
Zunehmend junge Ärztinnen
Die Gesundheitsversorgung wird weiblicher. Auch im ambulanten Bereich lassen sich mehr Ärztinnen nieder.
►http://daebl.de/PS44
Was sich ändern muss
Unmittelbar nach Bekanntgabe einer Schwangerschaft durch eine Ärztin in Weiterbildung sollten verpflichtende Weiterbildungsgespräche durchgeführt werden, um bisher erfolgte Rotationen und erreichte Fallzahlen offiziell zu dokumentieren. Es sollte ein neuer bis zum Mutterschutz geltender Rotationsplan erstellt werden, mit dem die schwangere Ärztin unter Berücksichtigung der Vorgaben der Betriebsmedizin ihre Weiterbildung bestmöglich in einem sicheren Umfeld fortsetzen kann. Ferner sollte ein Rotationsplan für die Zeit nach Mutterschutz und Elternzeit erstellt werden, um eine möglichst reibungslose Fortsetzung der Weiterbildung bis zur Facharztprüfung zu gewährleisten.
Nach meiner Wahrnehmung wünschen sich die meisten Kolleginnen ein offenes Ohr und individuelle Unterstützung von den Vorgesetzten sowie Förderung und Fortbildungsmöglichkeiten. Diesbezüglich ist es gerade auch an kleineren Standorten sowie für Mütter hilfreich, Synergien, die sich aus digitalen Lehrmöglichkeiten ergeben, zu nutzen. Beispielsweise gibt es für die radiologische Weiterbildung, die Vorbereitung auf die ersten eigenen Dienste und die Facharztprüfung eine digitale Lernplattform, entwickelt vom Forum Junge Radiologie. Auf „Raducation“ werden alle Lerninhalte des Weiterbildungscurriculums Radiologie überwiegend kostenfrei deutschlandweit zur Verfügung gestellt.
Ohne die Unterstützung meines Mannes wäre es mir nicht möglich, als Ärztin in der Unfallchirurgie in Vollzeit zu arbeiten. Arbeitgeber im Krankenhaus sollten Familien mit zwei berufstätigen Eltern dahingehend unterstützen, dass die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes ernst genommen wird. Ein pünktlicher Feierabend sollte eine Selbstverständlichkeit sein, ebenso eine tarifkonforme Anzahl an freien Wochenenden für Zeit mit der Familie und zur Regeneration. Verlässliche Arbeitszeiten sind für die Planung des Alltags und der Freizeit wichtig. Vorteilhaft sind Kinderbetreuungsangebote durch die Klinik. Ebenso wichtig ist das Ermöglichen flexibler Teilzeitmodelle.
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