

Dass der Fachkräftemangel eine gute medizinische Versorgung bedroht, ist inzwischen eine Binsenweisheit. Könnten es aber für die Fachkräfte im Gesundheitswesen nicht auch gute Zeiten sein? Ein geringes Angebot und eine große Nachfrage sorgen eigentlich dafür, dass man sich aussuchen kann, für wen man arbeitet. Die Verhandlungsposition ist – was Arbeitszeit, Gehalt und Flexibilität betrifft – doch gut. Aber weit gefehlt! Das große Problem im Gesundheitswesen ist: Diese Bedingungen sind in der festangestellten Branche so gut wie nicht mehr zu finden.
Die Leiharbeit dagegen bietet viele der genannten Vorteile und konterkariert so deren ursprüngliche Idee, Menschen, die arbeitslos sind, einen Zugang in die Arbeitswelt zu verschaffen. Denn die Leiharbeit ist keine Übergangslösung mehr, sondern die Möglichkeit, unter verbesserten Bedingungen zu arbeiten. Das nutzen Leiharbeitsunternehmen aus, um gezielt Pflegepersonal von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen abzuwerben. Darum wundert es nicht, dass sich Krankenhäuser vergangene Woche für eine stärkere Regulierung der Leiharbeit im ärztlichen Dienst und in der Pflege aussprachen. Einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts unter 319 Krankenhäusern ab 50 Betten zufolge sind die Hauptgründe für diese Forderung nicht refinanzierte Mehrkosten für die Leiharbeit, eine schlechtere Versorgungsqualität durch Leiharbeitskräfte und teilweise eine mangelnde Zuverlässigkeit von Leiharbeitsagenturen.
Vergessen sollte man nicht, dass Leiharbeit die Arbeitsbedingungen der Festangestellten verschlechtern kann. Wenn zum Beispiel für diese die weniger attraktiven Dienstzeiten übrig bleiben. Zudem benötigt nicht eingearbeitetes Personal mehr Anleitung, was Zeit kostet. Und häufig wechselndes Personal ist weder gut für ein Team noch für die Patienten.
Wer aber ausschließlich der Leiharbeitsbranche die Schuld geben will, macht es sich zu einfach. Denn durch den Fachkräftemangel muss man bei Arbeitsspitzen und Krankheitsausfällen schnell reagieren können. Zudem ist das Argument der Leiharbeitsfirmen, sie würden dafür sorgen, dass Pflegekräfte in ihrem Beruf bleiben, nicht ganz von der Hand zu weisen. Daher wäre es auch fatal, Festangestellte und Leiharbeiter gegeneinander ausspielen zu wollen.
Wer aber hofft, ein strenges Verbot der Leiharbeit würde dazu führen, dass die Fachkräfte in eine Festanstellung zurückkehren, liegt falsch. Denn die Arbeitsbedingungen machen dieser Überlegung einen Strich durch die Rechnung. Man kann durchaus Parallelen zur Gastronomie ziehen. Dort sucht man nach der Coronapandemie auch händeringend nach Personal, das nicht zurückgekommen ist. Viele arbeiten inzwischen sogar lieber beim Discounter an der Kasse, als bis spät in der Nacht durstige Kneipengäste zu versorgen. Mit den Arbeitsbedingungen steht und fällt die Attraktivität eines Arbeitsplatzes. Das gilt erst recht für so ein forderndes Arbeitsumfeld wie das Gesundheitswesen.
Einer Auswertung der Linksfraktion im Bundestag zufolge ist von 2017 bis 2022 die Zahl der Leiharbeitskräfte in allen Branchen um 20 Prozent zurückgegangen. In der Pflege stieg sie dagegen um 46 Prozent an. Da passt es gut, dass sich der neu konstituierte Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege in seinem ersten Gutachten dem Fachkräftemangel im Gesundheitswesen widmen soll. Das ist bitter nötig. Die Leiharbeit muss auf die unterstützende Funktion zurückgefahren und gleichzeitig die Arbeitsbedingungen der Festangestellten verbessert werden. So verhindert man die jetzige ungute Konkurrenzsituation und deren Folgen.
Michael Schmedt
Chefredakteur
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