ArchivDeutsches Ärzteblatt20/2000Chirurgenkongress: Rasante Veränderungen

POLITIK: Medizinreport

Chirurgenkongress: Rasante Veränderungen

Nickolaus, Barbara

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS Robotersysteme und Telematik werden die chirurgischen Fachgebiete in absehbarer Zeit grundlegend beeinflussen.


Rasant ist der Einzug der Computertechnik und Robotik in OP, Klinik und Arztpraxis. Dies verdeutlichte der 117. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der 50. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, die zeitgleich in Berlin stattfanden. Nach Angaben des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Prof. Albrecht Encke (Frankfurt/Main), werden die stetige Verfeinerung bildgebender Verfahren, die virtuelle OP-Planung für elektive Eingriffe, das Voranschreiten der minimal-invasiven Chirurgie (MIC) in heute besser abgrenzbaren Teilbereichen sowie die Weiterentwicklung von Roboter- und Navigationshilfen die operativen Fachgebiete grundlegend verändern.
Eine Vielzahl kleiner, aber bedeutender chirurgischer Hilfsmittel (mechanische Nähapparate, intraoperative Messverfahren zur Gewebedurchblutung, digitale chirurgische Simulationsmodelle) erleichtern und beschleunigen sowohl die Ausbildung als auch den OP-Alltag. Encke betonte, dass alle Fortschritte nur dann dem Patienten zugute kommen, wenn ein kritischer Prozess des Umdenkens unter den Chirurgen stattfindet. Wie bei allen neuen Verfahren werde der Operateur in der Lernphase allerdings nicht von Fehlern und Irrwegen verschont bleiben.
Nach Angaben von Prof. Peter Schlag (Berlin) trägt die Telematik unmittelbar zur chirurgischen Entscheidungsfindung bei, indem durch Vernetzung Radiologen oder Pathologen der eigenen Klinik oder des entfernten Universitätsklinikums an den sterilen OP-Tisch zugeschaltet werden können. Ohne Telematik ist aber auch die Manipulation von Robotern nicht möglich, die häufig von einer Instrumentenkonsole im Nachbarraum des OP betrieben werden.
Mit virtueller Technik lässt sich aus digitalisierten diagnostischen Bildinformationen eine 3-D- bis hin zur so genannten 5-D-Ebene erzeugen und damit eine räumliche Sicht simulieren. Verschiedenste OP-Szenarien können mit Hilfe dieser Daten durchgespielt werden und erlauben eine hochgradig individuell zugeschnittene OP-Planung. Zugleich sind virtuelle Szenarien ideale Trainingsverfahren zum Einüben bestimmter chirurgischer Vorgehensweisen.
Mit der intraoperativen Navigation, bei der die Position bestimmter chirurgischer Instrumente in Relation zum Patienten und zum betreffenden Organ punktgenau aus CT, MRT oder Ultraschalldaten berechnet werden, können Operationen von höchster Präzision an Körperregionen durchgeführt werden, die für den Chirurgen kaum tastbar oder einsehbar sind (Gehirn, Gesichtsschädel); gleichzeitig werden das umliegende Gewebe, Gefäße und Nerven geschont.
Die einzelnen operativen Schritte werden, computergestützt und durch Navigationssysteme bewirkt, von Robotern ausgeführt, die zitterfrei und hoch präzise arbeiten. Alle hier genannten Bereiche greifen zwangsläufig ineinander. Schlag kam zu dem mit Erstaunen quittierten Schluss, dass heutige Roboter Prototypen ohne Zukunft seien, da eine computerassistierte Chirurgie echte Systemlösungen benötige, in die alle technischen Innovationen sinnvoll integriert und einfach anzuwenden sind. Nähere Erklärungen hierzu lieferte der Jubiläumskongress der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie.
Prof. Jürgen Bier (Virchow-Klinikum der Charité, Berlin) erläuterte, dass es derzeit rund 600 Medizinroboter gebe, von denen einige ähnlich wie Industrieroboter arbeiten. Rund 400 der Medizinroboter sind ferngesteuerte Kamerastative, die bevorzugt in der MIC Anwendung finden, weitere 100 arbeiten als programmierbare Mikro-
skopstative (Neurochirurgie), 70 Roboter sind vorprogrammierte Fräsmaschinen (Orthopädie und Unfallchirurgie), 30 sind Roboter für Bestrahlungen (Onkologie), für minimal-invasive Herzoperationen und für Katheterführungen (Neurochirurgie). Auch Bier betonte die Notwendigkeit einer Systemlösung, um Medizinroboter zu echten Hilfen (Assistenzsystemen) des Chirurgen zu machen.
Am Virchow-Klinikum der Charité Berlin steht ein Robotersystem, das aus einem chirurgischen Instrumenten-Tool, mobilen CT für zeitnahe Bildgebung, Navigationssystem und Hochleistungs-PCs mit eigens entwickelter OP-Software besteht. Diese weltweit bisher einmalige Ausstattung kommt für die Implantologie (Epithesen, Zähne) und für die craniofaciale Chirurgie (funktionelle/ästhetische Rehabilitation bei angeborenen Defekten, Tumor, Unfall) infrage. Tremor, ausgelöst durch natürliche Nervenreflexe, Atmung, unterschiedliche Tagesform, Ermüdung sind für Roboter nicht relevant.
Neben Systemlösungen, so Bier, wird der Roboter der Zukunft immer kleiner und damit flexibler im OP einsetzbar werden. Zugleich wird er unentbehrlicher. „Möglicherweise wird in einigen Jahren nicht nur von Patienten, sondern auch von Richtern und Gutachtern die Frage gestellt werden, warum nicht mit intelligenten Instrumenten wie Navigations- und Robotersystem gearbeitet worden sei.“ Dr. Barbara Nickolaus

Hightech dominiert bereits heute einige Operationsräume.

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote