ArchivDeutsches Ärzteblatt12/2023Cannabisverordnung: Kleinere Nachbesserungen

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Cannabisverordnung: Kleinere Nachbesserungen

Lau, Tobias

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Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat moderate Änderungen bei der Versorgung mit medizinischem Cannabis beschlossen – und war dabei nicht so restriktiv, wie erwartet wurde. Es bleibt bei der Genehmigungspflicht, auf einen Facharztvorbehalt wurde hingegen verzichtet.

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Leistungsansprüche bei medizinischem Cannabis angepasst. Foto: picture alliance/dpa/Boris Roessler
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Leistungsansprüche bei medizinischem Cannabis angepasst. Foto: picture alliance/dpa/Boris Roessler

Hausärztinnen und Hausärzte dürfen auch weiterhin medizinisches Cannabis verordnen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat darauf verzichtet, einen Facharztvorbehalt einzuführen, wie er in einem Entwurf zur Beschlussfassung von Ende Oktober als Option aufgeführt worden war. Mehrere Verbände, darunter die Deutsche Medizinal-Cannabis Gesellschaft (DMCG) und die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin, hatten im Vorfeld gegen die mögliche Einschränkung protestiert.

An die Einführung der Erstattungsfähigkeit von Cannabis als Medizin im März 2017 hatte der Gesetzgeber die Durchführung einer fünfjährigen, nichtinvasiven Begleiterhebung geknüpft und festgelegt, dass der G-BA im Anschluss auf Grundlage von deren Auswertung das Nähere zum zukünftigen Leistungsanspruch regelt.

Streitpunkt Genehmigung

Dass es Reformbedarf gibt, darüber herrscht weitestgehend Einigkeit. Die Frage ist nur: Wer ist dafür zuständig? So waren im Vorfeld der Beschlussfassung Forderungen immer lauter geworden, volle ärztliche Therapiehoheit bei medizinischem Cannabis herzustellen, indem der Genehmigungsvorbehalt aufgehoben wird.

Der gilt ab der ersten Verordnung: Ärzte müssen dann einen Kostenübernahmeantrag bei der Krankenkasse des Patienten stellen, in dem sie nicht nur belegen müssen, dass der Patient bei einer schweren Erkrankung als austherapiert gilt, sondern auch die Evidenz des verordneten Präparats in der jeweiligen Indikation mit Studien belegen. Wurde bereits in einer stationären Behandlung mit der Therapie begonnen, gilt für die Kasse eine Prüffrist von drei Tagen.

Gleiches gilt in der Allgemeinen Ambulanten Palliativversorgung (AAPV). Der G-BA hat zudem eine Erleichterung in der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) beschlossen: Hier wurde der Genehmigungsvorbehalt ganz aufgehoben. In der AAPV und der SAPV sei zudem von besonderem Vorteil, dass auf einen Facharztvorbehalt verzichtet wurde. Denn hier würden Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner große Teile der Patientenversorgung sicherstellen, betonte der Unparteiische Vorsitzende des G-BA, Josef Hecken, nach dem Beschluss.

Nur die Erstverordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten sowie ein grundlegender Therapiewechsel stehen nun unter Genehmigungsvorbehalt. Folgeverordnungen, Dosisanpassungen oder der Wechsel zu anderen Blüten oder Extrakten müssen demnach nicht neu genehmigt werden. Hat ein Patient bereits vor Inkrafttreten der neuen Regelungen des G-BA eine Genehmigung erhalten, gilt diese auch weiterhin.

Den Forderungen nach einer völligen Abschaffung des Genehmigungsvorbehalts hatte Hecken allerdings eine klare Absage erteilt: Die allgemeine Genehmigungspflicht sei nämlich gesetzlich festgeschrieben, weshalb es gar nicht in der Kompetenz des G-BA liege, sie abzuschaffen. Das Gremium habe die explizite Aufgabe, das näher zu regeln, was eben nicht im Gesetz steht. Das sei keine Neuigkeit, weshalb er sich wundere, dass Experten im Bundesgesundheitsausschuss sich dahingehend geäußert hätten.

Am Vortag hatte der Bundesgesundheitsausschuss sich mit zwei Anträgen der CDU/CSU sowie der Linken zu medizinischem Cannabis und der Freigabe von Cannabis als Genussmittel befasst. Auch die Union hat dabei in ihrem Antrag gefordert, „die Therapiehoheit von Ärztinnen und Ärzten bei der Verschreibung von medizinischen Cannabisprodukten (…) zu stärken und durch eine Überprüfung des langwierigen Genehmigungsverfahrens die gesetzlichen Krankenkassen sowie den Medizinischen Dienst zu entlasten“.

Befürworter des Genehmigungsvorbehalts führen eine erhöhte Missbrauchsgefahr bei mangelnder Kontrolle durch die Kassen ins Feld. Johannes Ertelt, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA), kritisierte demgegenüber im Ausschuss, dass das Verfahren hohe bürokratische Zugangshürden zu einer angemessenen Therapie für zumeist schwer kranke Patienten bedeute. Rund jeder dritte Antrag würde von den Krankenkassen abgewiesen, oftmals mit fragwürdigen Argumenten, die einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten. Das Widerspruchsverfahren sei jedoch aufwendig, der Rechtsweg umso mehr. Es brauche daher Erleichterungen beim Zugang.

Der als Sachverständiger geladene Prof. Dr. med. Johannes Horlemann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), hatte hingegen von seinen positiven Erfahrungen ohne Genehmigungsanträge berichtet: Ein Selektivvertrag der DGS mit der AOK Rheinland/Hamburg ermöglicht Ärzten seit dem Sommer vergangenen Jahres die Verordnung von Cannabis ohne Genehmigungsvorbehalt. Allerdings gilt das nur für Schmerzpatienten und für Ärzte, die vorher eine zwanzigstündige Weiterbildung absolviert haben. Solche Vertragsformen in Kombination mit Weiterbildungen könnten Missbrauch auch dann verhindern, wenn der Genehmigungsvorbehalt fällt, erklärte Horlemann.

Blüten nur zweite Wahl

Ebenfalls umstritten war die Frage der Darreichungsform. „Vor einer Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten ist zu prüfen, ob andere Cannabisarzneimittel zur Verfügung stehen, die zur Behandlung geeignet sind. Die Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten ist besonders zu begründen“, heißt es dazu im Beschlussentwurf des G-BA.

„Wir plädieren dafür, den Blüten einen begründungsbedürftigen Nachrang in der Arzneimittelrichtlinie zu geben“, erklärte Dr. med. Antje Haas, Leiterin der Abteilung Arznei- und Heilmittel des GKV-Spitzenverbands bei der Beschlussfassung im Plenum. „Wir sehen diese Nachrangigkeit nicht durch das Gesetz gegeben, sondern vielmehr eine Gleichrangigkeit“, erwiderte Dr. med. Sibylle Steiner aus dem Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Ein Kompromiss, den auch ihr Vorstandskollege Dr. med. Stephan Hofmeister begrüßte, bestand darin, die Formulierung zu „cannabishaltige Fertigarzneimitteln“ zu präzisieren. Das sei vertretbar, da aus ärztlicher Sicht bei einem Fertigarzneimittel immer mehr Verlässlichkeit über die genaue Zusammensetzung der Inhaltsstoffe herrsche als bei einem Naturprodukt wie Cannabisblüten, erklärte Hofmeister.

Hecken zeigte sich im Anschluss zufrieden mit den Neuerungen. Die gefundenen Regelungen würden den vom Gesetzgeber gegebenen Handlungsrahmen voll ausschöpfen, seien fachlich ausgewogen und ein sehr gut gangbarer Weg, um eine gute und rechtssichere Versorgung von Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung sicherzustellen, sagte er. Tobias Lau

Der steinige Weg zur Freigabe von Cannabis als Genussmittel

Parallel zur Nachjustierung bei medizinischem Cannabis läuft der Prozess zur Freigabe von Cannabis als Genussmittel weiter. Trotz europa- und völkerrechtlicher Bedenken hält Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) an dem Projekt fest.

„In Deutschland sehe ich beim Gesetzesvorhaben Cannabislegalisierung weniger Probleme, aber alle schauen nun nach Brüssel“, sagt der Rechtswissenschaftler und SPD-Europaabgeordnete René Repasi dem Deutschen Ärzteblatt. Insbesondere das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) stehe den Plänen entgegen: Da es im Schengenraum keine Grenzkontrollen mehr gibt, verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um Betäubungsmittelhandel zu unterbinden. Dabei wird auch Cannabis explizit aufgeführt. Hinzu komme ein EU-Rahmenbeschluss von 2004, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, Drogenhandel unter Strafe zu stellen.

Repasi sieht dennoch eine Möglichkeit: „Die Kommission könnte ein Gesetzgebungsverfahren zur EU-weiten Legalisierung von Cannabis einleiten und damit signalisieren, dass sie ihren Standpunkt bei dem Thema geändert hat“, erklärt er. „Das würde ihr politisch ermöglichen, den Verzicht auf ein Vertragsverletzungsverfahren nach einer erfolgten deutschen Gesetzgebung zu rechtfertigen. Allerdings müsste die Kommission dazu selbst den politischen Willen aufbringen.“

Lauterbach hatte jüngst erklärt, nach Rücksprache mit der EU-Kommission Anpassungen an den geplanten Regelungen vorgenommen zu haben. Wie die aussehen, verriet er nicht, kündigte aber an, demnächst einen Vorschlag vorlegen zu wollen, der sowohl europarechtskonform ist als auch die Ziele der Bundesregierung – allen voran Qualitätskontrolle und Kinder- und Jugendschutz – erfülle.

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