ArchivDeutsches Ärzteblatt13/2023Gesundheitswesen: Die ambulante Versorgung mehr in den Fokus rücken

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Gesundheitswesen: Die ambulante Versorgung mehr in den Fokus rücken

Haserück, André; Lau, Tobias

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Mangelhafte Einbindung der Ärzteschaft in die aktuellen Reformpläne sowie ein starker Fokus auf die Krankenhäuser – so stellt sich den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten die Arbeit des Bundesgesundheitsministeriums dar. Gesundheitsminister Karl Lauterbach bemüht sich um Ausgleich.

Foto: Zerbor/stock.adobe.com
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Er unterstütze die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte und werde alles tun, um diese „zentrale Säule der Versorgung“ zu erhalten und zu stärken, sicherte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Rahmen des SpiFa-Fachärztetages Mitte März in Berlin zu. Zuvor hatte Dr. med. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes sowie Vorstandsvorsitzender des Spitzenverbands Fachärzte Deutschlands (SpiFa), eine „ambulante Blindheit“ seitens des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) beklagt.

Es gebe „kaum Einbindung in politische Gespräche“ sowie einen starken Fokus auf die Krankenhäuser mit „vielen parallelen Prozessen“, die durchaus Sorgen bereiten würden. Zugleich gebe es vom BMG aber für die Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) einen „Daumen runter“. Viele offene Fragen bestünden auch bei der angestrebten Stärkung der Ambulantisierung – diese dürfe nicht ohne die ambulanten Leistungserbringer gedacht werden. Aus Sicht der Arztpraxen drohe in der Gesamtschau der Entwicklungen eine „Wartelistenmedizin“. Heinrich betonte, man sehe sich in der Pflicht, die Patientinnen und Patienten genau darauf hinzuweisen.

Ambulanter Bereich wird nicht vernachlässigt

In dem erkennbaren Bemühen, Entgegenkommen zu signalisieren, betonte Minister Lauterbach, er schätze „offenen und klaren Umgang“. „Sie werden alle gebraucht“, versicherte er. Die „große Krankenhausreform“ sei aufgrund der Lage im stationären Bereich dringend erforderlich.

Den ambulanten Bereich vernachlässigt man jedoch aus Sicht des BMG nicht. Um gegen den bereits spürbaren Fachkräftemangel im ärztlichen Bereich anzugehen, setze er sich beispielsweise für einen Ausbau der Medizinstudiumkapazitäten ein, so Lauterbach. Zudem habe man bezüglich der sich seit Jahren hinschleppenden Reform der Ärztlichen Approbationsordnung einen Kompromiss mit den Bundesländern erzielt – dieser soll demnächst vorgelegt werden.

Zumindest für einen Teil der Arztpraxen hatte Lauterbach noch eine besondere Ankündigung im Gepäck: Auch für den hausärztlichen Bereich soll eine Entbudgetierung erfolgen. Man werde diesbezüglich Wort halten und sei trotz der schwierigen finanziellen Lage bereit, „da wo sinnvoll“, auch mehr Geld auszugeben.

Die Aufhebung der Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich war im Koalitionsvertrag der Ampelparteien konsentiert worden, ohne dass es bislang zu entsprechenden Initiativen kam. Die sich aus den (Teil-)Entbudgetierungsplänen ergebenden Erfahrungen wolle man, auch mit Blick auf „andere Bereiche“, auswerten, sagte Lauterbach.

Vorsichtig optimistisch bis eher skeptisch zeigte sich Dr. med. (I) Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), auf dem Fachärztetag. Es bleibe abzuwarten, ob die Äußerungen des Gesundheitsministers über reine „Lippenbekenntnisse“ hinausgingen. Er bekräftigte die grundsätzliche Kritik an der Arbeitsweise des BMG, Pläne für komplexe Umstrukturierungen und Neuregelungen „am grünen Tisch“ ohne die Beteiligung von Praktikern zu entwerfen, sei „wenig zweckmäßig“.

Ulrich Langenberg, seit Anfang diesen Jahres Geschäftsführer Politik für die Bundesärztekammer, beklagte ebenfalls eine mangelhafte Einbindung der Ärzteschaft. Das Resultat: „Chaotische Gesetzgebungsverfahren“. Generell fehle für den Zusammenklang aus Ambulantisierung, sektorenübergreifender Versorgung und Krankenhausreform ein „durchdachtes und stimmiges Konzept.“ So sei beispielsweise die vom BMG vorangetriebene Idee der Tagesbehandlungen „gut gemeint“, habe aber nichts mit sektorenübergreifender Versorgung zu tun und drohe zu „kafkaesken Abgrenzungsfragen“ zu führen.

Gesamte Vergütungssystematik modernisieren

Eher zurückhaltend wurden auch die Entbudgetierungspläne aufgenommen. So warnte der Hartmannbund davor, die in Aussicht gestellte weitere Entbudgetierung in der ambulanten Versorgung „scheibchenweise“ vorzunehmen.

„Jetzt müssen wir das Eisen schmieden, solange es heiß ist“, sagte der Vorsitzende des Arbeitskreises Ambulante Versorgung im Hartmannbund, Dr. med. Marco Hensel. Im Gegensatz zum Vorgehen des BMG, einzelne Leistungen oder Facharztgruppen zu entbudgetieren, werde eine „echte Zeitenwende“ in der gesamten ambulanten Vergütungssystematik benötigt.

Der Hartmannbund verwies auf die drohenden Folgen einer sukzessiven Heraustrennung weiterer Einzelteile aus dem Gesamtbudget. In der Konsequenz sei eine noch stärkere Unterfinanzierung für den letztlich immer kleiner werdenden Teil der Gesamtvergütung zu befürchten. Dies könne angesichts des wirtschaftlichen Drucks auf die Praxen beim Versuch, die Unterfinanzierung im budgetären Teil durch extrabudgetäre Leistungen auszugleichen, zu unerwünschten Verschiebungen im Leistungsangebot führen. „Das besondere Schutzbedürfnis für Kinder- und Jugendliche, das vielleicht mit dazu beigetragen hat, dass man bei der Entbudgetierung den Anfang bei den Kinder- und Jugendärzten gemacht hat, muss auch für die Versorgung aller anderen Patientinnen und Patienten gelten“, schrieb Hensel dem Bundesgesundheitsminister ins Stammbuch.

Ein konzeptionelles „Umdenken“ brachte BÄK-Präsident Reinhardt ins Spiel. Die im internationalen Vergleich hohe Anzahl an Arzt-Patienten-Kontakten in Deutschland sei auch der ambulanten Vergütungssystematik geschuldet. Eine Durchbrechung des starren Rasters der Quartalspauschalen in Budgetmodelle könne für mehr Flexibilität und Entlastung beim Termindruck sorgen. In eine ähnliche Richtung argumentierte auch Prof. Dr. med. Wolfram Herrmann, stellvertretender Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Charité. Gewisse durch das derzeitige Vergütungssystem induzierte Fehlanreize könnten durch Anpassungen vermieden werden.

Die von Lauterbach kommunizierte Bereitschaft, konstruktive Kritik und Vorschläge zu berücksichtigen, ist nicht zuletzt auch auf dem Feld der Digitalisierung gefragt. Die aktuelle Gesetzgebungsinitiative zur Neugestaltung der elektronischen Patientenakte (ePA) soll die Vorteile der ePA für die medizinische Versorgung endlich nutzbar machen, sagte der Minister. Derzeit sei die digitale Akte im Alltag „vollkommen irrelevant“. Die Ärzteschaft werde, so die Zusicherung, in die Arbeiten einbezogen. Der Prozess der Datenübertragung aus dem Praxisverwaltungssystem in die ePA müsse „einfach, sicher und schnell gehen, das ist unsere Forderung“, erklärte Thomas Müller, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL).

Digitalisierung nutzerfreundlich umsetzen

Neben der Frage von funktionierenden Schnittstellen zwischen den verschiedenen Praxisverwaltungs- und Krankenhausinformationssystemen, sei der Gesetzgeber auch gefordert, wie geplant den Systemwechsel für Arztpraxen zu vereinfachen. „Das war bisher schlimmer als eine Scheidung, wenn man sein PVS wechseln musste“, sagte Müller. Auch SpiFa-Vorstandsmitglied Dr. med. Norbert Smetak verwies bezüglich des ePA-Einsatzes in den Praxen auf „das Hauptproblem“ Zeitaufwand. Ärztinnen und Ärzten soll bei der flächendeckenden Anwendung der ePA ab dem kommendem Jahr im Arbeitsalltag so gut wie kein neuer Aufwand entstehen, versprach Susanne Ozegowski, Leiterin der BMG-Abteilung Digitalisierung und Innovation.

Ziel des Bundesgesundheitsministeriums sei, dass Medikations- und sonstige Behandlungsdaten weitestgehend automatisiert aus den Praxisverwaltungs- und Krankenhausinformationssystemen in die ePA einfließen. Es sei zwar schon in der vorangegangenen Legislaturperiode der Grundstein für die ePA gelegt worden, aber erst die geplante Umstellung auf das Opt-out-Verfahren werde ihr zum Durchbruch verhelfen, bekräftigte Ozegowski die Einschätzung Lauterbachs.

Zum Durchbruch gebracht werden soll auch das E-Rezept. Hierzu konnte KVWL-Chef Müller Positives Richtung BMG vermelden. „Wir haben in Westfalen-Lippe viele positive Erfahrungen beim E-Rezept-Roll-out gesammelt“, sagte er. Zwar soll der Neuanlauf für eine verpflichtende Nutzung erst ab 2024 greifen, aber: „Ich kann ihnen versichern, wir werden sehr viel früher starten und wollen ab Sommer einen groß angelegten Roll-out machen“. Er hoffe, dass sich andere KVen dem anschließen werden.

André Haserück, Tobias Lau

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