ArchivDeutsches Ärzteblatt13/2023Arzneimittelentsorgung: Die Bürger besser aufklären

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Arzneimittelentsorgung: Die Bürger besser aufklären

Lau, Tobias; Osterloh, Falk

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Die Entsorgung abgelaufener Arzneimittel funktioniert in Deutschland von Kommune zu Kommune anders. Viele Menschen wissen deshalb nicht, was sie mit diesen Medikamenten machen sollen – und entsorgen sie in der Toilette. Bundeseinheitliche Regelungen könnten für mehr Klarheit sorgen.

Eine gesonderte Sammlung abgelaufener Arzneimittel ist in manchen Kommunen vorgesehen. Foto: picture alliance/Ulrich Baumgarten
Eine gesonderte Sammlung abgelaufener Arzneimittel ist in manchen Kommunen vorgesehen. Foto: picture alliance/Ulrich Baumgarten

Viele Deutsche wissen nicht, wie sie abgelaufene Arzneimittel richtig entsorgen sollen. Wie eine Umfrage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) aus dem Jahr 2013 ergab, entsorgten 47 Prozent der Befragten flüssige Arzneimittel über Toilette und Spüle. 50 Prozent erklärten, sie seien nur unzureichend über die Problematik der Arzneimittelrückstände im Wasser aufgeklärt worden ( 12/2018).

Dabei ist das Ausmaß der potenziellen Schäden für die Umwelt schon aufgrund der Zahl der betreffenden Stoffe groß: Von den rund 2 500 Arzneimittelwirkstoffen, die in Deutschland zur Anwendung beim Menschen zugelassen sind, stuft das Umweltbundesamt etwa die Hälfte als umweltrelevant ein. Darunter befinden sich neben verschreibungspflichtigen Substanzen wie Hormonen, Zytostatika oder Röntgenkontrastmitteln auch nicht verschreibungspflichtige Stoffe wie Schmerzmittel, die allesamt in der Natur nachweisbar sind.

„Dass Wirkstoffe in die Umwelt gelangen, ist grundsätzlich nicht zu vermeiden, denn Humanarzneimittel werden ausgeschieden und gelangen so kontinuierlich in unsere Abwässer“, erklärt Thomas Preis, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein (AVNR), dem Deutschen Ärzteblatt. In Kläranlagen könnten auch die verstoffwechselten Reste vieler Wirkstoffe nicht vollständig eliminiert werden. Dass es sich dabei um relativ geringe Mengen handelt, die in der Regel unterhalb der therapeutischen Dosen der Arzneimittelprodukte liegen, sei jedoch kein Grund zur Entwarnung – denn die Folgen der permanenten Belastung von Gewässern und Böden mit Arzneiwirkstoffen seien noch weitgehend unbekannt, betont Preis.

Entsorgung über den Restmüll

„Um zu verhindern, dass ungenutzte Arzneimittel in die Umwelt gelangen, sollten abgelaufene oder überschüssige Präparate nie in der Toilette entsorgt werden“, rät das BMBF. Denn die Wirkstoffe gelangen bei der direkten Entsorgung über die Toilette in hoher Konzentration ins Abwasser, aus dem sie die Kläranlagen nicht ausreichend entfernen können. „Der Goldstandard für die Entsorgung von Arzneimitteln ist der Weg über den Restmüll“, betont das BMBF. Dabei werde eine Umweltgefährdung ausgeschlossen, weil die Präparate mit dem anderen Müll verbrannt werden.

Allerdings solle man bei der Entsorgung über den Restmüll darauf achten, dass die Medikamente nicht in die Hände von Kindern gelangen oder von substanzabhängigen Personen aus dem Müll herausgeholt werden können, mahnt Prof. Dr. rer. nat. Martin Smollich, Fachapotheker für Klinische Pharmazie am Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und außerordentliches Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ). So sollten speziell Opioid-haltige Pflaster durch Falten mit den Klebeflächen aneinandergeklebt und dann verdeckt in die Mülltonne gegeben werden, rät er.

Wer sich nicht sicher ist, wie ein Arzneimittel am sinnvollsten zu entsorgen ist, wirft am besten einen Blick in die Packungsbeilage. Dort findet sich im Abschnitt 5 der spezifische Entsorgungshinweis: Darf das Präparat nicht über den Restmüll entsorgt werden, ist das dort explizit vermerkt. Ein Sonderfall sind Zytostatika, die aufgrund ihrer hohen Toxizität prinzipiell nicht im Restmüll entsorgt werden dürfen.

Allerdings hängt das nicht nur vom Medikament ab, sondern auch vom Aufenthaltsort: In einigen Kommunen werde der Restmüll nicht verbrannt, sondern in einer mechanisch-biologischen Behandlungsanlage konditioniert, erklärt Smollich. „In diesen Fällen dürfen die Arzneimittel nicht über die Restmülltonne entsorgt werden.“ Geeignete Alternativen müsse man dann bei der jeweiligen Kommune – beziehungsweise ihrem Entsorgungsbetrieb – erfragen.

Je nach Kommune gibt es dabei vier Optionen, wie das BMBF auf der Website www.arzneimittelentsorgung.de darstellt: die Entsorgung im Restmüll, die Abgabe in einem Recyclinghof, in einem Schadstoffmobil oder in einer Apotheke, die abgelaufene Arzneimittel zurücknimmt. Dazu waren Apotheken bis 2009 verpflichtet, erklärt Preis. Seitdem würden viele Apotheken die Entsorgung als freiwillige Serviceleistung anbieten. Dort würden sie dann von Dienstleistern abgeholt und fachgerecht entsorgt.

Das hat noch einen weiteren Vorteil, wie Remondis Medison – einer dieser Dienstleister – auf Nachfrage erklärt: Der Zugriff auf die zu entsorgenden Arzneimittel, vor dem auch Smollich warnt, werde dadurch ausgeschlossen. „Um einen Zugriff Dritter zu verhindern, wird eine Abgabe über Apotheken, Kliniken oder Sammelstellen empfohlen“, sagt Ruben Zobel, Abfall- und Gefahrgutbeauftragter bei Remondis Medison. Die Arzneimittel werden dann getrennt gesammelt und von zertifizierten Entsorgungsunternehmen verbrannt: entweder in Müllheizkraftwerken, in denen auch der normale Hausmüll verbrannt wird, oder in Sonderabfallverbrennungsanlagen.

Schaut man bei www.arzneimittelentsorgung.de unter Berlin, erfährt man, dass hier eine Entsorgung über Apotheken auf freiwilliger Basis oder über Recyclinghöfe vorgesehen ist. Auf Anfrage erklären die zuständigen Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR), dass man auf sechs der insgesamt 14 Recyclinghöfen der Stadt abgelaufene Arzneimittel abgeben kann, die dann im BSR Müllheizkraftwerk in Ruhleben verbrannt werden. Den Apotheken, die Altmedikamente sammeln, bietet das Unternehmen Meditonnen an.

Kritik am Flickenteppich

In der Stadt Nürnberg hingegen ist eine Entsorgung über den Restmüll vorgesehen. Hier werden die Arzneimittel direkt in die Müllverbrennungsanlage gebracht und dort verbrannt. „Die thermische Abfallbehandlung findet hier bei Temperaturen von circa 1 000 °C statt“, erklärt die Stadt. „Die Wirkstoffe von Arzneimitteln sind vorwiegend organischer Natur, können aber auch anorganische Träger- und Bindemittel enthalten.“ Die organischen Verbindungen würden zerstört, während die anorganische Bestandteile aufkonzentriert, separiert und einer weitergehenden Verwertung zugeführt würden, zum Beispiel als Ersatz von Kies bei Baumaßnahmen.

Das BMBF erklärt, weshalb die Entsorgung abgelaufener Arzneimittel nicht bundeseinheitlich geregelt ist: „Die Abfallentsorgungssysteme werden aufgrund der föderalen Struktur in Deutschland auf der Ebene der Kommunen und Kreise geregelt.“ Preis vom AVNR findet das falsch. „Wichtig wäre, schon bei der Zulassung eines neuen Wirkstoffs zu klären, welche Umweltbelastungen durch die Einnahme und anschließende Ausscheidung sowie die Entsorgung beziehungsweise nicht sachgerechte Entsorgung entstehen können“, sagt er. „Aktuell besteht ein Flickenteppich, der nicht nur von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Entsorgungsrichtlinien vorsieht, sondern auch innerhalb der Bundesländer je nach Stadt oder Gemeinde variiert.“ Tobias Lau, Falk Osterloh

Sonderfall Diclofenac

Einer der meistverwendeten Wirkstoffe in Deutschland ist das nichtsteroidale Antirheumatikum Diclofenac. Es hat eine hohe ökotoxische Wirkung, kann in den Kläranlagen derzeit aber nur teilweise eliminiert werden. So findet es sich vor allem in Gewässern wieder, wo es bereits in geringen Konzentrationen gesundheitliche Schäden an Gewässerlebewesen verursacht. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesumweltministerium einen runden Tisch initiiert, der empfiehlt, die Bürgerinnen und Bürger über den richtigen Umgang mit Diclofenac aufzuklären. Dazu gehört, die Hände nach dem Auftragen zunächst mit einem Papiertuch abzuwischen, bevor man sie wäscht. Ärztinnen und Ärzte werden gebeten, ihre Patienten darüber aufzuklären.

aerzteblatt.de

Patienten sollen ihre Hände nach dem Auftragen von Diclofenac abwischen, bevor sie sie waschen.

►http://daebl.de/UL15

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