ArchivDeutsches Ärzteblatt13/2023Medizinische Versorgung im Kriegsgebiet: Uneingeschränkter Respekt

SEITE EINS

Medizinische Versorgung im Kriegsgebiet: Uneingeschränkter Respekt

Schmedt, Michael

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Michael Schmedt, Chefredakteur
Michael Schmedt, Chefredakteur

Seit nunmehr 14 Monaten tobt mitten in Europa ein Krieg. An die täglichen Meldungen aus der Ukraine in den Medien hat man sich (fast) schon gewöhnt. Aus dem Blick geraten sind die medizinische Versorgung und die Gesundheitseinrichtungen im Kriegsgebiet. Diese müssen dem Genfer Abkommen zufolge unter allen Umständen geschont werden. Soweit die Theorie. Die Praxis machte schon kurz nach dem Angriff Russlands am 24. Februar 2022 klar, dass man sich nicht an das Abkommen halten würde. Ende März und Anfang April gerieten jeweils ein Krankenhaus in Mariupol und in Mykolajiw unter Beschuss.

Und das war nur der Anfang. So gibt es inzwischen keinen oder nur erschwerten Zugang zu medizinischer Versorgung in den besetzten Gebieten in der Ukraine. „Unsere Teams haben direkt gesehen, wie Häuser, Geschäfte, Spielplätze, Schulen und Krankenhäuser in Schutt und Asche gelegt wurden. Entlang der 1 000 Kilometer langen Frontlinie in der Ukraine sind einige Gebiete einfach von der Landkarte verschwunden“, beschrieb Christopher Stokes, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in der Ukraine, vergangene Woche die Auswirkungen des Krieges. Die Hilfsorganisation arbeitet mit rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Ukraine. Auch habe man Minen in funktionierenden Krankenhäusern in ehemals russisch besetzten Gebieten in den Regionen Cherson, Donezk und in Isjum entdeckt, berichtet die Hilfsorganisation.

Diese Perversität, in einem geschützten Ort Minen zu platzieren, macht einen sprachlos. Aber die Ukraine ist kein Einzelfall. Auch in den Kriegsgebieten in Syrien, Südsudan, Jemen oder Irak wurden Krankenhäuser und Helfer in den vergangenen Jahren zur Zielscheibe. Nur etwa die Hälfte der Krankenhäuser und Gesundheitsstationen in Syrien sind nach den Kriegsjahren noch voll funktionstüchtig. 

Das Prinzip des Genfer Abkommens scheint immer weniger akzeptiert zu werden. Unverständnis herrscht auch, wenn verwundete Kämpfer der einen oder anderen Kriegspartei behandelt werden. Dabei ist gerade die unparteiische Hilfe ein wichtiger Grundsatz des Abkommens und ein Grundprinzip der medizinischen Ethik. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte zudem am 3. Mai 2016 die Resolution 2286 verabschiedet, nach der sich die Mitglieder verpflichten, die Zivilbevölkerung sowie medizinische Einrichtungen zu schützen und damit das Genfer Abkommen nochmals bekräftigt.

Geändert hat dies offensichtlich nichts, obwohl Mitglieder des Sicherheitsrates immer wieder in Angriffe verwickelt sind. Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Ärzte der Welt und viele mehr tragen weiterhin ein extrem hohes Risiko bei ihren Einsätzen. Die Bevölkerung leidet immer mehr, weil die medizinische Versorgung fehlt oder nur noch unter großer Gefahr erreichbar ist. Die Hilfsorganisationen haben neben ihrer ureigensten Aufgabe der unparteiischen Hilfe aber eine weitere, nicht zu unterschätzende Rolle: Sie sind Augenzeugen und damit Berichterstatter der Völkerrechtsverletzungen. Sie legen den Finger in diese Wunde, wie der Bericht von Ärzte ohne Grenzen in der vergangenen Woche zeigt.

Man muss froh sein, dass sich immer noch Menschen finden, die diese gefährliche Arbeit auf sich nehmen und in Kriegsgebieten helfen. Das verdient uneingeschränkten Respekt. Aber es muss noch mehr Stimmen geben, die die Kriegsparteien mahnen, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten.

Michael Schmedt
Chefredakteur

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote