ArchivDeutsches Ärzteblatt13/2023Krankenhausreform: Von Vorbildern lernen

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Krankenhausreform: Von Vorbildern lernen

Kurz, Charlotte; Osterloh, Falk

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Bund und Länder wollen sich bei der Krankenhausreform stärker an Konzepten aus Nordrhein-Westfalen und der Schweiz orientieren, die bereits Leistungsgruppen definiert haben. Dabei könnten zwei Szenarien für Ärztinnen und Ärzte insbesondere bei der Weiterbildung entstehen.

Nach der dritten Beratungsrunde erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (rechts), dass die Bundesländer jeweilige Krankenhausstrukturen weiter berücksichtigen dürfen. Sein Kollege aus Baden-Württemberg, Manne Lucha (Grüne), betonte, man sei einer Einigung nah. Foto: picture alliance/dpa/Wolfgang Kumm
Nach der dritten Beratungsrunde erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (rechts), dass die Bundesländer jeweilige Krankenhausstrukturen weiter berücksichtigen dürfen. Sein Kollege aus Baden-Württemberg, Manne Lucha (Grüne), betonte, man sei einer Einigung nah. Foto: picture alliance/dpa/Wolfgang Kumm

Bei der geplanten bundesweiten Krankenhausreform gibt es zwar nach wie vor keine konkrete Einigung zwischen Bund und Ländern. Allerdings hat man sich auf eine Strategie geeinigt, wie bis Juli gemeinsame Eckpunkte erarbeitet werden sollen. Im Fokus soll dabei die Krankenhausreform stehen, die bereits seit drei Jahren in Nordrhein-Westfalen (NRW) erarbeitet wird. Das kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vergangene Woche nach der dritten Bund-Länder-Runde zur Erarbeitung einer Reform an.

Grundlage für die bundesweite Reform sollen zunächst die 64 Leistungsgruppen für Behandlungsarten aus NRW (Kasten) sein. „Es kann sein, dass wir mehr Leistungsgruppen dazunehmen, die dort aus unserer Sicht nicht ausreichend abgebildet sind“, erklärte Lauterbach. Die Leistungsgruppen sollen die bislang geltende Fachabteilungsstruktur ersetzen und eine zielgenauere Krankenhausplanung ermöglichen. Die Regierungskommission Krankenhaus hatte im Dezember 2022 die Einführung von 128 Leistungsgruppen vorgeschlagen, um dafür zu sorgen, dass Krankenhäuser nur die Fälle behandeln, für die sie eine entsprechende personelle und technische Ausstattung vorhalten können.

Gute Vorgaben gibt es bereits

Für die Erbringung der Leistungsgruppen in NRW seien zum Teil bereits sehr gute qualitative Voraussetzungen hinterlegt, so der Minister, der das Reformstreben in NRW in der Vergangenheit allerdings immer wieder kritisiert hatte.

In einem Orientierungspapier des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, heißt es, dass das BMG mit Unterstützung des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) unter Beachtung der Vorschläge der Regierungskommission und den Stellungnahmen der medizinischen Fachgesellschaften auch das Leistungsgruppenmodell, das im schweizerischen Zürich Anwendung findet, untersuchen will. Laut BMG-Papier sollen die Details der Leistungsgruppen im Rahmen einer Rechtsverordnung unter Einbeziehung der Länder festgelegt werden.

Darüber hinaus will Lauterbach in einigen Wochen genaue Zahlen zu den möglichen Auswirkungen liefern. Das BMG will bis Ende April 2023 konkretere Umsetzungsvorschläge hinsichtlich der Reformausgestaltung vorlegen. Grundlage der Analyse sollen die NRW-Leistungsgruppen sein. Damit sollen Bund und Länder praktische Folgenabschätzungen vornehmen können.

Über diesen Basisvorschlag solle deutlich werden, wie viele Kliniken profitieren, wie viele Kliniken in Probleme kämen und was das für die Versorgungssicherheit bedeute, sagte Lauterbach. Damit könne die Debatte „konkreter werden“ und die Vorstellung von Eckpunkten bis zur Sommerpause beschleunigt werden. Bislang gebe es nur die Berechnungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), die sich auf die Vorschläge der Regierungskommission Krankenhaus beziehen. „Das ist aber längst nicht mehr der aktuelle Stand“, sagte Lauterbach. Mittlerweile haben sich Bund und Länder bei den geplanten Versorgungsstufen auf Öffnungsklauseln und Abweichungsmöglichkeiten geeinigt. Allerdings ist noch offen, wie konkret diese Ausnahmen aussehen sollen.

Verknüpfung benötigt

Wichtig sei, die geplanten Level und Leistungsgruppen miteinander zu verknüpfen, so Lauterbach vergangene Woche. Im BMG-Papier heißt es dazu: „Es werden hierbei feste Zuordnungen von Leistungsgruppen zu Levels vorgesehen.“ Mit Blick auf ländliche Räume sollen Länder bundeseinheitliche klar definierte Optionen erhalten, um im Einzelfall zur Gewährleistung einer bedarfsgerechten Versorgung auch abweichende Zuordnungen treffen zu können. Das BMG sehe aber Abweichungen von Strukturvoraussetzungen kritisch.

Zu diesen Formulierungen gibt es zwischen Bund und Länder bislang noch keine Einigung, sagte Lauterbach. Die Länder fordern, dass Level und Leistungsgruppen nicht statisch aneinandergefügt werden, betonte der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne). Regionale Bedürfnisse müssten berücksichtigt werden. Um die Versorgung sicherzustellen brauche es Flexibilität, aber umgekehrt müssten die „qualitativen Bedingungen klar definiert sein“, erklärte Lauterbach. Auch er betonte, dass die bereits existierende Krankenhausstruktur mitbedacht werden müsse, „weil wir das Personal nicht einfach umpflanzen können“. Er bekräftigte: „Wir brauchen das gesamte Personal; da haben wir keine Spielräume.“ Entsprechende Formulierungsänderungen werden nun erarbeitet. Lucha betonte allerdings: „Wir sind der Einigung näher als der Nichteinigung.“

Er nehme aus seinem Beteiligungsprozess in Baden-Württemberg mit der Selbstverwaltung, den Krankenhäusern, aber auch mit kommunal verantwortlichen Politikerinnen und Politikern mit, dass die Angebote, auf die sich Bund und Länder verständigen, so finanziert werden müssen, dass sie den Qualitäts- und Quantitätsansprüchen gerecht werden. Damit müssten die Kliniken Planungssicherheit haben und nicht in die Schieflage geraten, in der sie sich jetzt befänden, so der Grünen-Politiker.

Zu den geplanten Vorhaltepauschalen gibt es ebenfalls noch keine Einigung. Lauterbach sprach aber davon, 60 Prozent der Gesamtkosten über die Vorhaltekosten finanzieren zu wollen. Der Bund will künftig zudem die Akteure in der Gesundheitsversorgung stärker miteinbinden. Im BMG-Papier steht, dass ein Konzept zur weiteren Einbindung wesentlicher, betroffener Akteure rund um die Krankenhausreform erarbeitet werden soll. Welche Akteure damit gemeint sind, ist allerdings noch unklar. Insbesondere die DKG hatte immer wieder kritisiert, unzureichend in den Reformprozess miteinbezogen zu werden.

Auch der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. med. (I) Klaus Reinhardt, forderte erneut, dass Bund und Länder die weiteren Schritte im Austausch mit den Partnern in der Selbstverwaltung planen müssten. Er begrüßte aber, dass sich Bund und Länder darauf verständigt haben, von den bereits in NRW entwickelten Konzepten auszugehen. Es sei zudem richtig, dass die starre Verknüpfung von Versorgungsleveln und Leistungsgruppen gelockert werden soll. „Auch das Bekenntnis zu einer höheren Vorhaltefinanzierung und zur Sicherung der Daseinsvorsorge sind gute Signale“, sagte Reinhardt.

Szenarien für Weiterbildung

Was die Reform insbesondere für die Weiterbildung bedeuten könnte, zeigte der Ärztliche Geschäftsführer der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. med. Markus Wenning, vergangene Woche bei einer Fachveranstaltung der BÄK auf: „Zwei Szenarien sind in der Folge der Krankenhausreform für die Weiterbildung möglich.“ Krankenhäuser, die die noch zu definierenden Mindestvoraussetzungen der Leistungsgruppen nicht erfüllen, dürfen diese Leistungen nicht mehr erbringen. „Sie haben dann ein schmaleres Leistungsspektrum und insofern eine eingeschränkte Weiterbildungsbefugnis“, so Wenning. „Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten müssten in der Folge ihre Weiterbildung in verschiedenen Krankenhäusern absolvieren. Das kann zu Zeit- und vielleicht auch zu Einkommensverlusten führen.“

Die Reform könne aber auch dazu führen, dass Krankenhäuser in bestimmte Leistungsgruppen investieren und die entsprechenden Abteilungen ausbauen. „Dann könnte sich die Weiterbildung in diesen Fächern verbessern und mehr Fachärztinnen und -ärzte könnten weitergebildet werden“, sagte Wenning. Es sei zu erwarten, dass beide Szenarien zugleich eintreten.

Der Geschäftsführer Politik der Bundesärztekammer, Ulrich Langenberg, bezeichnete es als naheliegend, dass sich die Leistungsgruppen an den Vorgaben der ärztlichen Weiterbildungsordnung orientieren. So habe es auch NRW gemacht. Denn die Ärzteschaft arbeite kontinuierlich daran, die Fachbereiche in der Weiterbildungsordnung an aktuellen medizinischen Gesichtspunkten auszurichten.

Langenberg betonte, dass die Definition der einzelnen Leistungsgruppen Kern der künftigen Krankenhausplanung sei. Eine Zahl vorab festzulegen, sei aber nicht sinnvoll, betonte Langenberg. Stattdessen müsse man sich vor einer Reform darüber klar werden, was man aus planerischer Sicht mit den Leistungsgruppen erreichen will.

Essenziell sei bei der Reform zudem, wie die einzelnen Leistungsgruppen sinnvoll voneinander abgegrenzt werden. „Diese Diskussion muss geführt werden“, betonte Langenberg. Die Schweiz habe jeder Behandlung nur eine Leistungsgruppe zugeordnet. „Dafür bräuchte man einen Algorithmus“, so Langenberg. „Dafür muss zum Beispiel geklärt werden, welcher Leistungsgruppe ein Patient zugeordnet wird, der seine Hüfte gebrochen hat.“

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) pochte auf eine zeitnahe und konkrete Ausgestaltung der Leistungsgruppen: „Die Leistungsgruppen und ihre Anforderungen sollten durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) definiert werden, denn hier liegt mit der Notfallstufenregelung bereits die Blaupause für bundeseinheitliche Qualitätsvorgaben vor.“ Die Kriterien müssten akzeptiert, legitimiert und rechtssicher sein und sie sollten zudem die Voraussetzung sein, damit Krankenhäuser ihre Leistungen mit den Krankenkassen abrechnen dürfen. Ziel müsse sein, dass zukünftig nur dort behandelt wird, wo es auch die passende personelle und technische Ausstattung gebe, und dass die Krankenhäuser wirtschaftlich zukunftsfähig aufgestellt seien, sagte Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband.

Wenn die Krankenhausreform ein Erfolg werden soll, müssen sich Bund und Länder aufeinander zubewegen, forderte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann. „Die Länder dürfen keine zu starren Vorgaben aus Berlin übergestülpt bekommen, die den Erfordernissen vor Ort nicht gerecht werden.“ Trotzdem brauche es für das Gelingen der Reform eine verbindliche Planungssprache, die auf bundeseinheitlichen Leistungsbereichen und -gruppen basiere.

Reimann sprach sich für einheitlich definierte Leistungsgruppen aus, weil sie eine enge Verzahnung von fallunabhängiger Vorhaltefinanzierung und Krankenhausplanung ermöglichen. „Unterschiedliche Planungssystematiken in den einzelnen Bundesländern würden gleich gerichtete Anreize für die Vorhaltung guter Versorgungsstrukturen erschweren und den notwendigen Modernisierungsschub verhindern.“

Dr. med. Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes, forderte von Bund und Ländern eine Anschubfinanzierung. „Benachbarte Krankenhäuser sollen ja Leistungsgruppen miteinander tauschen“, sagte Johna. „Zum Beispiel könnte sich ein Krankenhaus auf die Gastroenterologie spezialisieren, die das benachbarte Haus aufgibt. Bei der Kardiologie könnte es dann umgekehrt sein.“ Dafür müssten jeweils Kapazitäten aufgebaut werden. Diese Kosten könnten die Kliniken nicht selbst übernehmen und müssten von Bund und Länder finanziert werden.

Anschubfinanzierung benötigt

Um die Krankenhausreform wie geplant umsetzen zu können, brauche es zunächst eine schnelle Stabilisierung des Systems, betonte auch die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DKG, Prof. Dr. med. Henriette Neumeyer. Nur dann könnten die Krankenhäuser die Ressourcen aufbringen, um eine große strukturelle Umstellung des Systems umzusetzen. Deshalb forderte sie ein Vorschaltgesetz vor der Krankenhausreform, das den Krankenhäusern finanziell hilft. Viele Krankenhäuser stehen aufgrund der unzureichenden Investitionskostenfinanzierung der Bundesländer, durch die niedrigen Fallzahlen und der gestiegenen Inflation aktuell stark unter Druck, sagte Neumeyer.

Auch Prof. Dr. med. Christian Karagiannidis von der Regierungskommission Krankenhaus betonte, dass es den Krankenhäusern wirtschaftlich zusehends schlechter gehe. Es sei zu erwarten, dass 60 Prozent der Häuser rote Zahlen schreiben. „Deshalb brauchen wir bis zum Ende des Jahres unbedingt einen Gesetzentwurf für die Krankenhausreform. Ohne eine Reform werden wir es nicht schaffen, die Kliniken zu stabilisieren. Und das heißt: Ein Scheitern ist für Bund und Länder keine Option.“

Charlotte Kurz, Falk Osterloh

Leistungsgruppen in NRW

Der im Herbst des vergangenen Jahres veröffentlichte Krankenhausplan Nordrhein-Westfalen enthält 64 Leistungsgruppen (LG), die 32 Leistungsbereichen zugeordnet sind. Zu dem Leistungsbereich „Viszeralchirurgie“ gehören zum Beispiel die fünf Leistungsgruppen „Bariatrische Chirurgie“, „Lebereingriffe“, „Ösophaguseingriffe“, „Pankreaseingriffe“ und „Tiefe Rektumeingriffe“. In dem Plan wird aufgeführt, welche OPS-Codes mit den jeweiligen Leistungsgruppen assoziiert sind. Zur Leistungsgruppe „Ösophaguseingriffe“ zählt zum Beispiel die OPS-Bezeichnung „Partielle Ösophagusresektion ohne Wiederherstellung der Kontinuität“. Auch eine Bedarfsprognose ist für diese Leistungsgruppe hinterlegt. „Für das Jahr 2024 sind nach der durchgeführten Bedarfsprognose 1 261 Fälle zu erwarten“, heißt es in dem Plan.

Mindestvoraussetzungen der LG Ösophaguseingriffe (Auszüge)
Grafik
Mindestvoraussetzungen der LG Ösophaguseingriffe (Auszüge)

Den einzelnen Leistungsgruppen sind zudem Qualitätskriterien zugeordnet. Wer Leistungen der Gruppe „Ösophaguseingriffe“ erbringen will, muss als Mindestvoraussetzungen zum Beispiel auch Leistungen der Gruppen „Allgemeine Chirurgie“, „Allgemeine Innere Chirurgie“ und „Intensivmedizin“ erbringen. So ergibt sich aus den Leistungsgruppen heraus automatisch die Zusammenstellung eines möglichen Leistungsspektrums für ein Krankenhaus (Grafik). Zu den Qualitätskriterien in der Leistungsgruppe „Ösophaguseingriffe“ gehört darüber hinaus unter anderem, dass das Krankenhaus rund um die Uhr ein Röntgen-, ein CT- und ein MRT-Gerät vorhalten muss, dass ein teleradiologischer Befund möglich ist und dass eine 24-Stunden-Bereitschaft zur interventionellen Endoskopie besteht. Es müssen mindestens drei Fachärzte (Vollzeitäquivalente) für Viszeralchirurgie in der Abteilung beschäftigt sein, von denen mindestens einer die Zusatzweiterbildung „Spezielle Viszeralchirurgie“ hat, sowie zwei Fachärzte für Innere Medizin und Gastroenterologie. Für die Fachärzte für Viszeralchirurgie muss mindestens eine 24/7-Rufbereitschaft bestehen.

Mindestvoraussetzungen der LG Ösophaguseingriffe (Auszüge)
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Mindestvoraussetzungen der LG Ösophaguseingriffe (Auszüge)

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