THEMEN DER ZEIT
Long COVID/Post-COVID-Syndrom: Noch viele Fragen unbeantwortet


Long COVID beziehungsweise das Post-COVID-Syndrom werden weltweit intensiv erforscht. Obwohl bereits wichtige Erkenntnisse gewonnen wurden, gibt es noch viel zu tun.
Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens 65 Millionen Menschen weltweit länger anhaltende Symptome der SARS-CoV-2-Infektion haben, die als Long COVID oder Post-COVID-Syndrom (PCS) bezeichnet werden (1). Da nicht alle SARS-CoV-2-Infektionen erfasst worden sind, könnte die Zahl noch höher liegen.
Prof. Akiko Iwasaki, Abteilung für Immunbiologie und Molekular-, Zell- und Entwicklungsbiologie an der Yale University in New Haven, USA, hielt diese Angaben für realistisch, wie sie auf einem internationalen Symposium der Leopoldina berichtete (2). Allerdings gebe es kein ausreichendes globales Monitoring hinsichtlich der langfristigen COVID-19-Folgen. Zudem fehle eine einheitliche Definition von Long COVID, was die Erfassung ebenfalls erschweren würde.
Das britische National Institute for Health and Care Excellence unterscheidet zum Beispiel zwischen einer anhaltenden symptomatischen Erkrankung, wenn COVID-19-Symptome zwischen vier und zwölf Wochen bestehen, und einem PCS, wenn die Beschwerden nach zwölf Wochen noch bestehen oder neu auftreten (3). Der Begriff Long COVID umfasst sowohl die anhaltende symptomatische Erkrankung als auch das PCS.
Prof. Michael Edelstein, Abteilung für Epidemiologie und öffentliche Gesundheit an der Bar-Ilan University in Safed, Israel, hob auf der Leopoldina-Veranstaltung hervor, dass die fehlende einheitliche und eindeutige Definition von Long COVID die Forschung vor große Herausforderungen stelle. Nicht jeder Mensch, der nach einer SARS-CoV-2-Infektion über länger anhaltende Symptome wie Kopfschmerzen oder Fatigue klagt, habe Long COVID.
Aber COVID-19 könnte auch einen Schub für die Erforschung postinfektiöser Syndrome bedeuten. Das sei eine besondere Situation, sagte Professor Marc Lecuit, Abteilung für Infektionsbiologie am Institut Pasteur in Paris, Frankreich. Weltweit hätten sich viele Menschen fast gleichzeitig in einem relativ kurzen Zeitraum mit SARS-CoV-2 infiziert. So häuften sich Symptome wie etwa Anosmie, die sonst eher selten auftreten. Es bestünde die Möglichkeit, Zusammenhänge zu erforschen.
Die Forschung vorantreiben
Denn nicht nur SARS-CoV-2-Infektionen können mit postinfektiösen Syndromen assoziiert sein, wie Iwasaki ausführte, auch andere Erreger wie weitere Viren, Bakterien oder Parasiten kommen als Auslöser für ähnliche Syndrome infrage. Die zugrunde liegenden Ursachen seien vermutlich ähnlich. Die Forscherin betonte, dass Long COVID ein Oberbegriff für verschiedene Subtypen sei. Diese müsse man vermutlich verstehen, um Long COVID angemessen therapieren zu können.
Zum aktuellen Stand der Forschung zum PCS äußern sich in diesem Heft Autorinnen und Autoren um Prof. Dr. med. Bernhard Schieffer (Seiten 566 ff.).
In dem Leopoldina-Symposium nannte Iwasaki etwa die Viruspersistenz, Autoimmunität, Reaktivierung von latenten Viren und/oder durch die akute Infektion bedingte folgenschwere Funktionsstörungen oder Schäden als mögliche, aktuell diskutierte Ursachen. Psychosomatische Faktoren spielten auch eine Rolle, so Edelstein. Auch wenn biologische Ursachen zugrunde lägen, würde jeder Mensch Erkrankungen individuell wahrnehmen und verarbeiten. Das sei abhängig von persönlichen Umständen oder kulturellen Normen. Aber hinsichtlich Long COVID halte er biologische Ursachen für wahrscheinlicher.
Diese Auffassung steht jedoch nicht widerspruchslos im Raum: In einem Essay setzen sich Prof. Dr. med. Frank Erbguth und Kollegen damit auseinander, dass ihrer Meinung nach die psychischen Faktoren nicht ausreichend genug beachtet werden (Seite 563).
Die Diskussion um COVID-19 und die langfristigen Folgen habe die Arbeitsweise der Wissenschaft verändert, betonte Edelstein. Die Kombination aus einer neuen Erkrankung und sozialen Medien, in denen definitive Antworten gefordert werden, erschwerten die Arbeit der Forschenden. Aber es brauche Zeit, um die vielen Fragen zu beantworten. Laut Lecuit sei es zudem wichtig, dass klinische und Grundlagenforschung Hand in Hand gingen. Auf die dringend notwendige Erforschung des PCS ist auch die Bundesärztekammer in einer Stellungnahme (http://daebl.de/YN74) eingegangen (4). Dr. med. Anne-Kristin Schulze
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1323
oder über QR-Code.
1. | Davis HE, McCorkell L, Moore Vogel J, et al.: Long COVID: major findings, mechanisms and recommendations. Nat Rev Microbiol 2023; 21 (3): 133–46 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
2. | Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina: Long Covid besser verstehen. https://www.youtube.com/watch?v=s05BsmIq8mo&t=8s (last accessed on 23 March 2023). |
3. | National Institute for Health and Care Excellence (NICE): COVID-19 rapid guideline: managing the long-term effects of COVID-19. Stand 3. November 2022. https://www.nice.org.uk/guidance/ng188 (last accessed on 23 March 2023). |
4. | Beschluss der Bundesärztekammer über die Stellungnahme „Post-COVID-Syndrom (PCS)“. Dtsch Arztebl 2022; 119 (41): A-1767/B-1475 VOLLTEXT |
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