

Einsamkeit hat vielfältige Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit. Betroffen sind nicht nur Menschen im hohen Alter, sondern auch Jüngere unter 30 Jahren. Die Bundesregierung ist auf der Suche nach einer gesamtgesellschaftlichen Strategie.
Einsamkeit kann, insbesondere wenn sie chronisch wird oder über einen längeren Zeitraum andauert, vielfältige negative Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit haben, ebenso wie auf die soziale Teilhabe und damit auf das gesellschaftliche Miteinander. Die britische Regierung hat deshalb bereits im Jahr 2018 die weltweit erste Strategie zur Vorbeugung und Bewältigung von Einsamkeit veröffentlicht. In den Niederlanden startete ebenfalls 2018 das nationale Programm „Vereint gegen Einsamkeit“. Anfang 2022 wurde auch in Deutschland das Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) gegründet, das die Erarbeitung und den Austausch über Präventions- und Interventionsmaßnahmen in Deutschland fördern soll (www.kompetenznetz-einsamkeit.de). Ganz aktuell befördert auch die Bundesärztekammer das Thema. Präsident Dr. med. (I) Klaus Reinhardt spricht in einem Podcast über mögliche Maßnahmen gegen Einsamkeit und den Beitrag der Ärztinnen und Ärzte (http://daebl.de/WT2).
Mehr Einsamkeit im Lockdown
Während sich dem KNE zufolge im Jahr 2017 rund 14 Prozent der Menschen in Deutschland einsam fühlten, stieg diese Zahl durch die Auswirkungen der Coronapandemie deutlich an: Im März 2020, während des ersten Lockdowns, gaben rund 40 Prozent an, sich zumindest manchmal einsam zu fühlen; 2021 im zweiten Lockdown stieg diese Zahl auf über 42 Prozent. Neuere Zahlen gibt es noch nicht.
Ältere und hochaltrige Menschen waren den KNE-Expertisen zufolge 2017 besonders von Einsamkeit betroffen. Im Zuge der Lockdown-Maßnahmen kam es zu einer Umkehr: Während der Pandemie waren insbesondere jüngere Menschen (unter 30 Jahren) vermehrt von Einsamkeit betroffen, wohingegen ältere Menschen, im Vergleich zu anderen Altersgruppen, mit rund 36 Prozent auf nach wie vor hohem Niveau am seltensten einsam waren. Frauen sind über alle Altersgruppen hinweg tendenziell etwas einsamer als Männer, jedoch nicht sehr stark ausgeprägt. Nur im hohen Alter ab 80 Jahren geben Frauen doppelt so häufig an, Einsamkeit zu erleben wie Männer. Diesen Unterschied erklären die Wissenschaftler damit, dass Frauen im Alter häufiger verwitwet sind und somit partnerschaftliche Kontakte fehlen – ein wichtiger Schutzfaktor, neben einem großen sozialen Netzwerk.
Zu den negativen Auswirkungen von Einsamkeit zählen einer Expertise des KNE zufolge, die die wissenschaftlichen Studien ausgewertet hat: depressive Symptome, Suizidalität, Angststörungen, soziale Phobie, Schlafstörungen, problematische Internetnutzung, sucht- und substanzbezogene Störungen und Demenzerkrankungen. Soziale Isolation und Einsamkeit werden aber auch mit schwerwiegenden langfristigen Folgen für die körperliche Gesundheit in Verbindung gebracht, einschließlich eines früheren Todes. So gibt es der Expertise zufolge Zusammenhänge zwischen sozialer Isolation beziehungsweise Einsamkeit und Diabetes Typ 2 für Männer. Außerdem wurden für beide Geschlechter Korrelationen mit kardiovaskulären Erkrankungen gefunden. Einsamkeit führt auch zu mehr Schmerzsymptomen, welche wiederum die Einsamkeit verstärken.
Menschen nicht zurücklassen
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und das KNE haben vor Kurzem eine Onlinearbeitstagung abgehalten: „Auf dem Weg zu einer Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit“. Der Titel zeigt, dass Deutschland mit einer solchen Strategie noch ziemlich am Anfang steht. Warum eine Strategie aber dringend notwendig ist, begründete Andreas Schulze, Leiter der Abteilung „Demografischer Wandel, Ältere Menschen, Wohlfahrtspflege“ beim BMFSFJ, so: „Wir sind in Gefahr, Menschen zurückzulassen. Wir müssen uns auch fragen, wohin sich unser gesellschaftlicher Zusammenhalt entwickelt.“
Einen deutlichen Nachholbedarf in der Forschung sieht Prof. Dr. Susanne Bücker, Psychologisches Institut der Sporthochschule Köln: „In der Forschung liegt der Fokus auf dem hohen Alter, weniger bekannt ist die Wirksamkeit von Interventionen gegen Einsamkeit bei jungen Menschen“, berichtete sie bei der Tagung. Wenig Wissen gebe es auch darüber, wie man psychisch kranke Menschen und auch Geflüchtete aus der Einsamkeit herausholen könne.
Psychologische Interventionen
Dem KNE zufolge sind Menschen in vulnerablen Lebenssituationen einem erhöhten Risiko für Einsamkeit ausgesetzt. Dazu zählen Geflüchtete, queere Personen, Alleinerziehende, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen, Menschen mit Behinderungen, chronisch Kranke sowie Schwerstkranke in der letzten Lebensphase und ihre Angehörigen. Auch kann demnach ein deutlicher Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Armut festgestellt werden.
Hinsichtlich der wissenschaftlich untermauerten Wirksamkeit von Maßnahmen sagte Bücker: „Psychologische Interventionen zeigen die größten Effekte gegen Einsamkeit, gefolgt von Maßnahmen zur sozialen Unterstützung von Betroffenen. Zwischen den beiden gibt es keine eindeutige Überlegenheit.“ Häufig liege der Fokus dabei auf digitalen Interventionen. Für einsame Menschen im hohen Lebensalter sei diese kritisch zu betrachten. Und auch für jüngere Menschen würden digitale Interventionen nur etwas bewirken, wenn sie in persönliche Begegnungen mit anderen Menschen mündeten.
Die internationale Perspektive brachte Prof. Dr. Claus Wendt, Soziologe an der Universität Siegen in die Tagungsdiskussion ein. „In gut funktionierenden Wohlfahrtsstaaten kann besser gegen Einsamkeit geschützt werden“, sagte er. Darüber hinaus schützten Länder, die eine Ganztagsbetreuung in Kitas und Schulen anböten, Alleinerziehende deutlich besser vor Einsamkeit, weil die Kinderbetreuung eine Berufstätigkeit ermögliche. Zudem haben nach Wendts Expertise Länder mit einer funktionierenden Vereinsstruktur deutlich bessere Werte.
„Vereine bringen Menschen zusammen. Deutschland hat sehr gute verästelte Vereinsstrukturen“, betonte Schulze vom BMFSFJ. Die Niedrigschwelligkeit der Angebote sei dabei sehr wichtig. Psychologin Bücker betonte, dass ein breites Angebotsspektrum wichtig sei, ebenso wie eine bessere Bekanntheit der Angebote. „Einsame Menschen wissen oft nicht, wohin sie sich wenden sollen und auch der erste Schritt ist schwierig“, sagte sie. Wichtig ist ihrer Expertise nach auch die Langfristigkeit der Angebote: Projekte gegen Einsamkeit müssten durch Verstetigung durch ausreichende Förderung sichergestellt werden.
Der Soziologe Wendt betonte, dass es gerade bei Interventionen für junge Menschen wichtig sei, mehr professionelle Kräfte mit einzubeziehen, wie Sportlehrer, Psychologen und Sozialpädagogen. Die Frage sei zudem, wie bestehende Strukturen von Vereinen, das Gesundheits- und das Pflegesystem miteinander vernetzt werden könnten. Beispielsweise gehe in der Pflege der Trend auch international immer mehr hin zu häuslicher Pflege. Um Einsamkeit von Pflegebedürftigen und deren Angehörigen vorzubeugen, müssten beispielsweise auch die Nachbarn ermutigt und unterstützt werden, sich um Betroffene zu kümmern.
Als einen weiteren guten Baustein einer Strategie gegen Einsamkeit nannte Wendt „social prescribing“, das in Großbritannien vielfach zum Einsatz kommt. Hausärzte verschreiben dabei vor allem älteren Betroffenen soziale Aktivitäten, wie Tanzen, Vereine, Chor und vieles mehr. Menschen können diese Angebote dann kostenfrei nutzen. Wendt betonte allerdings, dass nur Menschen, die bereits früher entsprechend aktiv waren, dies auch dauerhaft durchhielten.
Entwurf für eine Strategie
Das BMFSFJ hat ein Papier mit einer Regierungsstrategie gegen Einsamkeit vorgelegt, das diskutiert und auch noch mit anderen Bundesministerien abgestimmt werden soll. Folgende Punkte werden dabei in Kurzfassung anvisiert:
- Die Öffentlichkeit wird sensibilisiert und das Thema Einsamkeit besprechbar gemacht, weil es bei vielen Menschen mit Gefühlen der Scham verbunden ist. Dies hindert Betroffene häufig daran, sich
Unterstützung zu suchen. - Das Wissen um die Vorbeugung und Linderung von Einsamkeit im professionellen Kontext und im Engagement wird gestärkt. In der Wissenschaft bestehen einige Forschungslücken, die es zu schließen gilt.
- Die Arbeit von Praktikerinnen und Praktikern in der Sozialen Ar-
beit und im Engagement zur Vorbeugung und Linderung von Ein-
samkeit wird gestärkt. - Einsamkeit wird als gesamtgesellschaftliche Herausforderung
verstanden und die Vorbeugung sowie Linderung von Einsamkeit
sektoren- und bereichsübergreifend fokussiert. Auch psychologische, medizinische und pädagogische Fachkräfte sollten für das Thema sensibilisiert werden. - Menschen mit Einsamkeitserfahrungen erhalten niedrigschwellige und barrierefreie Zugänge zu bedürfnisorientierten Angeboten. Petra Bühring
Definition von Einsamkeit
Einsamkeit ist ein subjektives negatives Gefühl, das „aus einer wahrgenommenen negativen Diskrepanz zwischen gewünschten und vorhandenen Beziehungen resultiert“ (Luhmann 2022). Dies kann sich sowohl auf die Quantität als auch die Qualität von Beziehungen beziehen.
Einsamkeit wird von verwandten Begriffen wie sozialer Isolation und Alleinsein unterschieden. Soziale Isolation wird als objektiver Mangel an sozialen Beziehungen und Kontakten verstanden. Sie geht aber nicht zwangsläufig mit negativen Gefühlen der Einsamkeit einher, erhöht jedoch das Risiko für Einsamkeitsempfindungen.
Alleinsein bezeichnet einen momentanen Zustand, indem andere Menschen abwesend sind. Das Vorübergehende unterscheidet diesen Begriff von der sozialen Isolation. Alleinsein ist nicht unbedingt mit negativen oder positiven Gefühlen verbunden.
Quelle: Luhmann 2022, KNE
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.