ArchivDeutsches Ärzteblatt13/2023Post COVID: Die Versorgung wird der Lage nicht gerecht

MEDIZINREPORT: Kommentar

Post COVID: Die Versorgung wird der Lage nicht gerecht

Schieffer, Bernhard

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Abgesehen von einigen Zentren mangelt es an ausreichenden Angeboten für Patientinnen und Patienten, die an Post COVID leiden – dies auf jeder Ebene. Gleichzeitig hinken Forschung und Weiterbildung hinterher, weil auch dafür ebenfalls nur zögerlich Strukturen aufgebaut werden.

Prof. Dr. Bernhard Schieffer, Direktor der Klinik Kardiologie-Angiologie und Internistische Intensivmedizin. Foto: Thomas Stoll
Prof. Dr. Bernhard Schieffer, Direktor der Klinik Kardiologie-Angiologie und Internistische Intensivmedizin. Foto: Thomas Stoll

Angesichts der hohen Prävalenz und Krankheitslast von Post COVID, Post-Vac und ME/CFS-Betroffenen sollte die Erstuntersuchung und Koordination der weiteren Behandlung durch die primärversorgenden Haus-, Kinder- und Jugendärzte und -ärztinnen vorgenommen werden. Mit primärversorgenden Praxen eng assoziierte regionale Schwerpunktpraxen, beispielsweise im Rahmen des PRIMA-Netzwerkes im Landkreis Marburg-Biedenkopf, unterstützen dezentral und indizieren die notwendige Weiterversorgung in einer universitären Spezialambulanz. Durch spezialisierte Versorgungsstrukturen, die bislang nicht flächendeckend verfügbar sind, kann über die Versorgungsforschung und Therapiestudien hinaus auch die Schnittstelle zur translationalen und Grundlagenforschung gewährleistet werden. Die Wissenschaftlichkeit in der Therapie sollte im Mittelpunkt stehen.

In jedem Bundesland können so Netzwerke aus universitären Schwerpunktzentren in enger Interaktion mit hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung die hoch spezialisierte Versorgung sowie die Aus- und Weiterbildung garantieren. Eine enge Nachverfolgung der Betroffenen in einem sektorverzahnenden Modell wird komplettiert durch ein gemeinsames digitales Monitoring, wodurch Betroffene im häuslichen Umfeld verbleiben können. Auch Kindern und Jugendlichen wird so der Zugang zu innovativen Versorgungsstrukturen ermöglicht, was aktuell nicht gewährleistet ist. Komplettiert wird die Matrix der Versorgungsstrukturen durch ambulante oder stationäre Rehabilitations- und Schmerztherapieeinrichtungen. In diesem Zusammenhang sind die 100 Mio Euro, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach diskutierte, ein „benchmarking“. Verschiedene Bundesländer haben eigene Finanzmittel aufgebracht, jedoch sind die Aktivitäten weit entfernt von einer konsentierten Strategie zur Erforschung und Behandlung von Post COVID. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, bis Mitte 2023 ausreichend bundesweite Zentren auszuloben, die sich – unterstützt durch eine Sonderförderung des Bundes zur direkten Patientenbetreuung und miteinander vernetzt – für 10 Jahre mit Post COVID und dessen Folgen beschäftigen. Reine Grundlagenforschung, wie sie etwa durch das Netzwerk Universitätsmedizin angestoßen wurde, könnte diese patientennahe Versorgungsstruktur komplettieren.

Es ist von großer Bedeutung, dass die Betroffenen zeitnah ausreichend Anlaufstellen bekommen, die Auswüchse mit selbst finanzierten Heilversuchen begrenzt werden und die zeitnahe Therapieforschung beginnt, denn die Betroffenen haben keine Zeit, wie uns das viele schwere Krankheitsverläufe immer wieder vor Augen führen – sonst droht den Einzelnen eine weitere Invalidisierung.

Besonderes Augenmerk ist auf die digitale Nachverfolgung der Betroffenen, deren Reintegration in die Berufswelt und die Indikation zu Rehabilitations- oder stationären Schmerztherapie, zu richten. Diese könnten institutions- und fachgebietsübergreifende digitale Fallkonferenzen unterstützen, insbesondere bei Verdacht auf ME/CFS. Telemedizinische Nachsorgeprogramme (inklusive „wearables“) genauso wie die zentrale Übertragung von Patientendaten zur weiteren AI-assistierten Analyse können Ursachenforschung, Patientenclusterung, sowie die Etablierung von Therapieempfehlungen erleichtern. In besonders schweren Fällen muss die Therapie ausschließlich oder überwiegend aufsuchend, telefonisch oder telemedizinisch erfolgen. Die Kompetenz der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) ist nach eigenen Erfahrungen außerordentlich hilfreich.

In einigen Bundesländern wurden bereits einschlägige Modellprojekte etabliert, darunter das Post-COVID-Netzwerk der Charité in Berlin, das Long-COVID-Netzwerk Rhein-Neckar, die Netzwerke der Kassenärztlichen Vereinigungen Bayerns (KVB) und Schleswig-Holsteins sowie das „Post-COVID-Kids-Bavaria-Netzwerk“.

Letztlich sind die aktuellen Versorgungsdefizite auch der unzureichenden Vergütung und des hohen Versorgungsaufwands auf allen Ebenen geschuldet. Viele Post-COVID-Einrichtungen werden im Rahmen von Forschungsprojekten kofinanziert. Angemessene Pauschalen für die Indikationen PCS (ICD-10 U09.9) und ME/CFS (ICD-10 G93.3) wären für die Primärversorgung ebenso wie für die spezialisierte, persönliche und telemedizinische Versorgung durch Hochschulambulanzen, Rehabilitationseinrichtungen oder SAPV-Teams unerlässlich, ohne Budgets zu belasten.

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote