POLITIK: Aktuell
Krankenhäuser/Gesundheitsreform: Fallpauschalen als Mehrzweck-Waffe


Die Krankenhäuser müssen sich schon kurz- und mittelfristig auf strukturelle Finanzierungsveränderungen einrichten. Das GKV-Gesundheitsreformgesetz setzt die Krankenhausträger ebenso wie die gemeinsame Selbstverwaltung von Krankenkassen und Krankenhäusern zusätzlich unter Druck, weil das bisher geltende Finanzierungs-Mischsystem ab dem Jahr 2003 durch ein einheitliches, mehr preisorientiertes Entgeltsystem auf der Basis von Fallpauschalen umgestellt werden muss. Der Gesetzgeber knüpft an die Umstellung in der Leistungsabrechnung und der Finanzierung (bei fortgeltenden sektoralen Budgets) große Erwartungen, sollen doch die wesentlichen Nachteile und Schwachstellen des Mischsystems (der unverändert dominierenden tagesgleichen Pflegesätze; Abteilungs- und Basispflegesatz; Sonderentgelte und Fallpauschalen) weitgehend ausgeschaltet werden.
Das Bundesgesundheitsministerium hat der Selbstverwaltung vorgeworfen, sie hätte nicht die Kraft und den Mut gefunden, die Chancen der geltenden Finanzierungsrahmenbedingungen zu ergreifen, um das Entgeltsystem auf mehr Qualität, Leistungssteuerung und Transparenz auszubauen. In vieler Hinsicht seien Versorgungsüberkapazitäten im stationären Sektor auch wegen des Schutzschildes der planungsbeaufsichtigenden Länder nicht abgebaut worden. Infolge der nach wie vor dominierenden tagesgleichen Pflegesätze sei eine sinkende Fallzahl regelmäßig durch eine höhere Verweildauer und die durch die Einweisungshäufigkeit bedingte höhere Fallzahl kompensiert worden. Dies soll nun durch Umstellung auf das Diagnosis Related Group-Finanzierungssystem (DRG) alles anders werden.
Der für Fragen der Kranken-hausfinanzierung und -planung zuständige Unterabteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium, Georg Baum, unterstellt einem praxisgerechten Fallpauschalsystem die Eigenschaft einer „Mehrzweckwaffe“, weil gegenüber der bisherigen Finanzierungs- und Leistungsabrechnung mehrere Chancen eröffnet würden:
c Abbau von Anreizen zu hoher Verweildauer;
c maximale Anreize für eine effiziente und wirtschaftliche Leistungserstellung – von der Personalwirtschaft, dem Einkauf über den Materialverbrauch bis zur Prozess-Optimierung;
c das Fallpauschalsystem sei imstande, den Ressourcen-Verbrauch innerhalb eines Krankenhauses und zwischen den Krankenhäusern leistungsorientiert und wettbewerblich zu steuern. Zudem könne die Transparenz des Leistungsgeschehens erhöht werden mit der Möglichkeit, den bereits gesetzlich verankerten Krankenhausvergleich (§ 5 BPflV) effizienter zu gestalten. Zudem könne das Fallpauschalsystem dazu aktiviert werden, die Leistungsstrukturen dem tatsächlichen Kapazitätsbedarf anzupassen, ihn mithin zur Kapazitätssteuerung in den Regionen zu nutzen.
Die Selbstverwaltung steht bei der Entwicklung dieser „revolutionären“ Veränderung der Klinikfinanzierung vor schwierigen Aufgaben. Zudem gibt es hierzulande mit DRG-Systemen kaum Erfahrungen. Sowohl Krankenhausexperten als auch die „Erfinder“ des DRG-orientierten Finanzierungssystems im Bundesgesundheitsministerium sind sich darüber einig, dass keines der im Ausland bereits praktizierten Fallpauschal- und Fallgruppierungs-Systeme lupenrein in das bundesdeutsche Klinikfinanzierungssystem transferiert werden kann. In den USA, in Frankreich, in den skandinavischen Ländern, in Österreich und in Australien gibt es zwar einige Anhaltspunkte und Erfahrungen, jedoch wurden in keinem Land die Krankenhausbudgets zu hundert Prozent mit Hilfe der DRG-Systeme vergütet.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG) legt deshalb Wert darauf, dass das Vergütungssystem die nationalen Besonderheiten berücksichtigt, und zwar sowohl in medizinischer als auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht. Besonders wichtig ist es, dass sowohl die Krankenhausträger, das Management und vor allem die Klinikärzte in den Betriebsführungen wegen ihres Sachverstandes frühzeitig in die Entwicklung des Klassifikationssystems einbezogen werden. Die ungeprüfte Übernahme ausländischer Relationen und Kostengewichte darf nicht infrage kommen; vielmehr erfordert das deutsche System eine entsprechende Patientenklassifikation und Infrastruktur.
Strenge Zeitvorgaben
Das ganze Unterfangen steht unter strengen Zeitvorgaben. Werden die vorgegebenen Limits nach § 17 b Krankenhausfinanzierungsgesetz überschritten, greift der Verordnungsgeber mit einer Ersatzvornahme ein. Die Umstellung des Vergütungssystems soll in drei Schritten erfolgen:
Bis zum 30. Juni 2000 sind zu vereinbaren:
c die Grundstrukturen des Vergütungssystems;
c die Grundstrukturen des Verfahrens zur Ermittlung der Bewertungsrelationen;
c die zugrunde zu legenden Fallgruppen und
c die Grundzüge des Verfahrens für die Aktualisierung und laufende Pflege des Vergütungssystems.
In einem zweiten Schritt bis zum 31. Dezember 2001 sollen auf Initiative der Selbstverwaltung die Bewertungsrelationen sowie die Bewertung der Zu- und Abschläge infolge der besonderen Versorgungsbedingungen des einzelnen Krankenhauses erfolgen. Dabei macht das Gesetz keine konkreten Vorgaben. Schon gar nicht wird vorgeschrieben, dass flächendeckende Kalkulationen in allen Krankenhäusern vorzunehmen sind. Vielmehr können die Festlegungen und die Bewertungsrelationen auf der Grundlage der Fallkosten erfolgen, die aus einer Stichprobe repräsentativer Krankenhäuser gewonnen wurden. Auch können international bereits eingesetzte Bewertungsrelationen übernommen und weiterentwickelt werden. Die Konkretisierung des Systems muss bis Ende 2001 abgeschlossen sein. Bis dann müssen alle stationären Leistungen mit einer Fallpauschale belegt sein. Seitens des Bundesgesundheitsministeriums wird mit einer Krankenhaus-Gebührenordnung mit schätzungsweise 600 bis 800 Positionen gerechnet.
Die Bewertung soll über Punktzahlen erfolgen, die mit einem Punktwert in DM-Beträge transferiert werden. Der Punktwert wird – anders als im geltenden heutigen System – bundesweit festgesetzt. Er kann den Vorgaben zufolge regional differenziert werden. Es soll sich dabei um ein in sich geschlossenes Bewertungssystem handeln. Alle Leistungen sollen aufwandsbezogen zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Damit können Krankenhausvergleiche („Benchmarking“) auf einer transparenteren und einfacheren Grundlage durchgeführt werden, so die Erwartungen.
Dritter Schritt: Das geltende Finanzierungsmischsystem und die Bundespflegesatzverordnung sind mit dem Verfallsdatum 31. Dezember 2002 zu versehen. Ab 1. Januar 2003 ersetzt das neue Vergütungssystem die bisher abgerechneten Entgelte. Die Umsetzung für das Jahr 2003 soll budgetneutral erfolgen. Die Einführungsmodalitäten sollen in der Bundespflegesatzverordnung festgelegt werden. Budgetneutral bedeutet, dass ein krankenhausindividueller Verrechnungspunktwert im Jahr 2003 ermittelt wird. Wie bisher könnte dazu ein krankenhausindividuelles Erlösbudget vereinbart werden. Dabei dürften insbesondere auch die Zuwachsbegrenzungsregelungen gelten. Dieses Budget ist durch die Punktezahl der zu erwartenden Fallpauschalleistungen zu dividieren. Daraus resultiert ein krankenhausindividueller Punktwert, der von dem auf der Bundesebene vereinbarten Punktwert abweichen kann. Ist der Klinikpunktwert höher, hat das Krankenhaus Anpassungsbedarf auf der Kostenseite. Ist er niedriger als der bundesweite Punktwert, dann kann das Krankenhaus dadurch finanziell profitieren.
Finanzielle Anreize
Die Übergangsphase der Umstellung auf das neue Entgeltsystem ist knapp bemessen; die Umstellungsfrist beträgt ein Jahr (im Gesetzentwurf waren ursprünglich drei Jahre vorgesehen). Die ursprüngliche Vorgabe, dass die Punktwerte Höchstpreise sein sollen, ist im Gesetz nicht realisiert worden. Folglich ist für wirtschaftlich und marktgerecht arbeitende Krankenhäuser ein finanzieller Anreiz insoweit geboten, als deren hausindividueller Punktwert unterhalb des bundesweiten Punktwertes Gewinn-Chancen verspricht.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die ursprünglich die Umstellung auf flächendeckende Fallpauschalen skeptisch beurteilte, hat sich inzwischen mit den Realitäten abgefunden. Sie will ihre Chancen in der Selbstverwaltung nutzen und rechtzeitig Einfluss auf die Rahmenbedingungen nehmen. Die DKG knüpft an ihre Mitwirkung einige Vorbedingungen: Das Fallgruppierungssystem müsse so in das geltende Finanzierungssystem eingebettet werden, dass keine unerwünschten Fehlanreize (Mengenexpansion; Überkapazitäten) entstehen, dass die flächendeckende stationäre Versorgung gewährleistet bleibt und die unterschiedlichen Versorgungsaufgaben im Fallgruppierungs- und Entgeltsystem abgebildet werden.
Weiter: Berücksichtigung der Multimorbiditäten und Komplikationen der Krankenhausfälle bei der Festlegung von Fallgruppierungen. Diese müssten prozeduren- und diagnosebezogen erfolgen. Die Fallgruppierungen müssten ausreichend differenziert werden, soll vermieden werden, dass das Vergütungssystem zu einer Verlagerung des Morbiditätsrisikos auf die Krankenhäuser erfolgt. Keinesfalls dürften Fehlsteuerungen insoweit implementiert werden, dass eine Risikoselektion der Patienten erfolgt und schwer kranke Patienten, weil kostenträchtig, abgewiesen werden. Kostenwirksame Nebendiagnosen seien wie in herkömmlichen DRG-Systemen durch ein zweistufiges Upgrading-Verfahren zu berücksichtigen. Es müsse geprüft werden, ob sich dieses Verfahren auch für alle Fachbereiche eignet. Die DKG schlägt vor, aufwendige Fachleistungen „modular“ abzubilden.
Außerdem seien sachgerechte Regelungen für so genannte Ausreißer, Extremfälle und Restgruppen notwendig. Damit soll Krankenhäusern von hoher und höchster Versorgungsstufe Rechnung getragen werden, weil diese einen relativ hohen Anteil multimorbider Langlieger zu versorgen haben. Dr. Harald Clade
Großen Schwankungen unterlagen die Ausgaben für die Investitionskosten der Krankenhäuser (getragen von den Ländern) in den vergangenen 15 Jahren.
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