MEDIZIN: Originalarbeit
Grundimmunität gegen SARS-CoV-2 in der deutschen Bevölkerung
Immunity against SARS-CoV-2 in the German population
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Hintergrund: Während der SARS-CoV-2-Pandemie wurden in einigen Ländern von Beginn an nationale populationsbasierte Seroprävalenzstudien durchgeführt; dies blieb in Deutschland aus. Insbesondere im Sommer 2022 waren keine Seroprävalenzerhebungen geplant. Im Rahmen des IMMUNEBRIDGE-Projekts wurde die GUIDE-Studie durchgeführt, um die Seroprävalenz auch auf regionaler Ebene einschätzen zu können.
Methode: Um einen statistisch möglichst robusten Überblick über die Anti-SARS-CoV-2-Immunitätslage der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland zu erhalten, wurden serologische Untersuchungen mittels Trockenblutkarten durchgeführt und Daten in einer telefonischen sowie einer Online-Befragung erhoben. Die Blutproben wurden auf die Präsenz von Antikörpern gegen das S- und das N-Antigen von SARS-CoV-2 hin untersucht.
Ergebnisse: Bei 95,7 % der insgesamt 15 932 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden Antikörper gegen das S-Antigen und bei 44,4 % gegen das N-Antigen nachgewiesen. In den Altersgruppen der besonders gefährdeten Personen 65+ und 80+ war die Nachweisbarkeit von Anti-S-Antikörpern mit 97,4 % beziehungsweise 98,8 % besonders hoch. Es traten deutliche regionale Unterschiede in der Verteilung der anti-S- und anti-N-Antikörper zutage. Immunitätslücken bestanden sowohl regional als auch demografisch. So zeigten sich besonders in ostdeutschen Bundesländern hohe anti-N- und in westdeutschen hohe anti-S-Antikörperwerte.
Schlussfolgerung: Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass ein Großteil der erwachsenen deutschen Bevölkerung Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Virus gebildet hat. Abhängig von den Charakteristika der jeweiligen SARS-CoV-2-Variante wird dadurch die Wahrscheinlichkeit von Überlastungsszenarien des Gesundheitssystems durch Hospitalisierungen sowie intensivstationäre Fällen infolge von COVID-19 in den nächsten Wellen im Vergleich zu einer Situation ohne diese Immunitätslage in der Bevölkerung erheblich reduziert.


Bis November 2022 gab es in Deutschland rund 36 Millionen offiziell registrierte SARS-CoV-2-Infektionen (1). Der Anteil unerkannter Infektionen wird auf das 1,5- bis 4-fache der erfassten Fälle geschätzt (2, 3). Der Anteil der nicht erfassten Fälle hat sich mit der Verbreitung der Omikron-Variante wahrscheinlich noch weiter erhöht.
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) haben rund 65 Millionen Menschen (77,9 %) mindestens eine Impfdosis gegen SARS-CoV-2 erhalten, 63,5 Millionen Menschen (76,3 %) mindestens zwei Dosen und 51,9 Millionen Menschen (62,4 %) haben drei Dosen bekommen (4). Auch bezüglich der Impfquote gibt es Unsicherheiten, da Befragungen darauf hindeuten, dass eine Untererfassung von etwa 5 % vorliegen könnte (5). Um die pandemische Gefahrenlage zu bewerten, ist es wichtig, die Zahl der Personen abzuschätzen, die nach Impfung beziehungsweise Infektion gegenüber SARS-CoV-2 exponiert waren.
In der Übergangsphase von einer pandemischen Lage zu einer Phase von wiederkehrenden saisonalen Wellen ist es wichtig, die Grundimmunität in der Bevölkerung zu bestimmen, nicht zuletzt, um die Notwendigkeit von bevölkerungsweiten Infektionseindämmungsmaßnahmen abschätzen zu können. Die bisher durchgeführten Seroprävalenzstudien vermitteln ein Bild über die Antikörperantworten der Bevölkerung gegen SARS-CoV-2 bis Februar 2022, erfassten aber weder die Omikronwellen noch die verschiedenen Immunitätsstadien inklusive hybrider Immunität (6). Die Beurteilung der Immunität in der Bevölkerung ist komplex, da viele Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Pandemie in unterschiedlicher Reihenfolge eine Impfung erhielten und eine Infektion – gegebenenfalls mit unterschiedlichen Varianten des SARS-CoV-2-Virus – durchgemacht haben.
Weiterhin sind regionale und demografische Unterschiede in Bezug auf die Immunität in Deutschland sowie risikospezifische Unterschiede in der Impfempfehlung zu bedenken. Hierbei stehen vor allem ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie Risikopatientinnen/-patienten im Fokus, die bei unzureichendem Immunschutz ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben (7).
Um einen statistisch möglichst robusten Überblick über die anti-SARS-CoV-2 Immunitätslage der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland zu erlangen und regionale sowie demografische Unterschiede bewerten zu können, wurde daher deutschlandweit innerhalb einer Zufallsstichprobe volljähriger Personen die Seroprävalenz gegen das S- und N-Antigen bestimmt. Die Präsenz von Antikörpern gegen das N-Antigen deutet unabhängig vom Impfstatus einer Person auf eine frühere Infektion hin, während das Vorhandensein von Antikörpern gegen das S-Antigen entweder auf eine frühere Infektion oder Impfung hinweist. Die hier vorgestellten Ergebnisse geben einen Überblick über den humoralen Immunitätsstatus in der deutschsprachigen Erwachsenenbevölkerung in Privathaushalten bis September 2022 und decken Immunitätslücken sowohl regional als auch demografisch auf.
Methoden
Stichprobenerhebung
Als Grundgesamtheit wurde die deutschsprachige Bevölkerung ab 18 Jahren in Privathaushalten mit Erstwohnsitz in Deutschland definiert.
Die Studienteilnehmenden wurden über das PAYBACK Online Panel sowie eine telefonische Erhebung (CATI, „computer assisted telephone interview“) ermittelt. Auf Basis vordefinierter Faktoren bezüglich Geschlecht, Altersgruppen, Schulbildung, Bundesland sowie der Regionalverteilung wurden aus mehr als 130 000 Personen (PAYBACK) eine Zufallsauswahl getroffen und 28 965 Einladungen versendet (eGrafik 1). Um die Grundgesamtheit der deutschsprachigen Bevölkerung ab 65 Jahren in Privathaushalten besser abzudecken, wurden zusätzlich die Daten von 1 500 über 65-Jährigen telefonisch erhoben (CATI). Zur Einordnung und Validierung der kombinierten Stichprobe wurden die Befragungsergebnisse mithilfe einer Einwohnermeldeamtsstichprobe am Beispiel Berlin überprüft. Alle drei Stichproben wurden mithilfe verschiedener Ansätze gewichtet. Detailliertere Informationen zur Stichprobenerhebung und Gewichtung finden sich im eMethodenteil und in den eTabellen 1, 2). Für die Durchführung der Studie lag ein positives Ethikvotum der Universitätsklinik Bonn (Antrag 202/22) vor. Die Studie ist unter DRKS00029693 registriert.
Der bei der Befragung der Teilnehmenden verwendete Fragebogen ist im Online-Teil des Beitrags angefügt (eFragebogen). Dort findet man auch detailliertere Informationen zur serologischen Laboranalytik.
Statistische Analyse der Daten
Die Charakteristika der Studienpopulation sowie die Anzahl der angegebenen Impfungen und Infektionen wurden mithilfe einer entsprechenden Gewichtungsvariable alterstratifiziert analysiert und geschätzt. Die Stratifizierung nach Alter erfolgte in den Gruppen 18–29, 30–34, 35–39, 40–49, 50–59, 60–64, 65–79 sowie über 80 Jahre. Die Antikörperprävalenzen gegenüber dem S- und N-Antigen wurden mithilfe einer zweiten speziell für Laborparameter erstellten Gewichtungsvariable altersstratifiziert geschätzt und die geografische Verteilung nach NUTS2- und NUTS3-Regionen (NUTS, Nomenclature des Unités territoriales statistiques; Ebene der Regierungsbezirke sowie der Land- und Stadtkreisebene) dargestellt.
Als positiv wurden Antikörperwerte > 35,2 BAU/mL des anti-S-Antigens und einem Verhältnis ≥ 1,1 für das anti-N-Antigen definiert. Als weiterer Endpunkt galten Personen ohne jegliche Immunität, die im Fragebogen angegeben haben, weder geimpft noch infiziert gewesen zu sein und deren Antikörpertests beide negativ waren. Der Anteil der Personen in der Stichprobe mit zwei Auffrischungsimpfungen entsprechend der aktuellen STIKO-Empfehlung wurde als eine Variable zusammengefasst und nach Altersgruppen darstellt (8).
Alle Analysen wurden mit Stata 17.1 durchgeführt. Die Schätzungen der Gesamtprävalenzen, Mittelwerte, stratifizierten Ergebnisse und entsprechende 95-%-Konfidenzintervalle wurden mithilfe des Survey Data [SVY]-Befehls und der beiden Gewichtungsvariablen implementiert (9). Zweistichproben-t-Tests wurden verwendet, um die Mittelwerte zwischen Gruppen in der Stichprobe miteinander zu vergleichen. Die geografischen Darstellungen (Grafiken 1, 2, eGrafiken 2–5) nach NUTS-Regionen basieren auf Kartendaten von Eurostat (10) und wurden mit dem Stata-Paket SpMap visualisiert. Der ausführliche Methodenbericht zur Stichprobenerhebung und der für die Datenaufbereitung und Analyse verwendete Code in Form von STATA do-files finden sich auf www.github.com/kaischulzewundling/guide.
Ergebnisse
Es wurden insgesamt n = 15 932 Teilnehmende in die Studie eingeschlossen, die zwischen Juni und September 2022 entweder online oder telefonisch den Fragebogen beantwortet und die Trockenbluttestkits an das Labor gesendet haben (Charakteristika der Studienpopulation in Tabelle 1). 1 203 Trockenblutkarten konnten nicht ausgewertet werden, da sie nicht ausreichend mit Blut versehen worden waren. Im Durchschnitt waren die Teilnehmenden 52,0 Jahre alt (95-%-Konfidenzintervall: [51,7; 52,3]) und zu 52,3 % [51,5; 53,2] weiblich. 22,5 % [21,9; 23,2] der Studienpopulation hatten einen Hochschulabschluss und 78,1 % [77,2; 78,9] befanden sich in einem Angestelltenverhältnis. 47,1 % der Teilnehmenden war in Vollzeit und 15,3 % in Teilzeit erwerbstätig, während 27,8 % sich im Ruhestand befanden. Etwa 40 % der Studienteilnehmenden waren aktive oder ehemalige Raucherinnen/Raucher. Die häufigsten Vorerkrankungen umfassten Bluthochdruck (30,6 %), Lungenerkrankungen (12,1 %) und Diabetes (9,9 %).
Bei 95,7 % [95,3; 96,1] der Studienteilnehmenden wurde ein positiver Antikörpernachweis gegen das S-Antigen und bei 44,4 % [43,5; 45,3] ein positiver Antikörpernachweis gegen das N-Antigen festgestellt (Tabelle 2). Insgesamt wurden bei 14 398 Studienteilnehmenden mit auswertbarer Trockenblutprobe positive Antikörper (S- oder N-Antigen) nachgewiesen. Beim anti-S-Antigen waren die Prävalenzen über die Altersgruppen 18–64 hinweg ähnlich, bei den über 65-Jährigen und vor allem bei den > 80-Jährigen mit 98,8 % [97,2; 99,5] deutlich höher. Beim N-Antigen hingegen sank mit steigender Altersgruppe die geschätzte N-Antikörperpositivität kontinuierlich ab (hier hatte die Altersgruppe 80+ den niedrigsten Wert mit 28,5 % [24,4; 33,0]. Die Mehrheit der Teilnehmenden war mindestens dreimal geimpft. 57,4 % der Teilnehmenden gaben an, noch nicht infiziert gewesen zu sein [56,6; 58,3].
Laut COVID-Impfempfehlung der STIKO wird eine zweite Boosterimpfung allen Personen über 60 sowie allen Personen der Altersgruppe 18–59 mit einem oder mehreren Risikofaktoren empfohlen. Insgesamt hatten 46,0 % [45,2; 46,9] der Stichprobe ein oder mehrere Risikofaktoren gemäß Empfehlung oder waren > 60 Jahre alt (Tabelle 3). In den Altersgruppen 18–29, 30–34, 35–39 und 40–49 hatten, je nach Zugehörigkeit, zwischen 16 und 32 % der Personen einen oder mehrere Risikofaktoren für einen schwereren Verlauf. Der Anteil der Teilnehmenden, die weder einen positiven Antikörpernachweis gegen das S- oder N-Antigen noch im Fragebogen eine Impfung oder Infektion angegeben hatten, betrug bei den Studienteilnehmenden insgesamt 1,2 % [1,1; 1,4] (eGrafik 2). In der Altersgruppe der über 80-Jährigen war dieser Anteil mit 0,3 % [0,0; 2,0] am niedrigsten, wohingegen er in der Altersgruppe 40–49 Jahre mit 1,67 % [1,2; 2,3] am höchsten war. Insgesamt erfüllten 27,0 % [25,9; 28,1] der Teilnehmenden die Impfempfehlung einer zweiten Auffrischungsimpfung. Der Anteil der Personen mit einer zweiten Auffrischungsimpfung entsprechend STIKO-Empfehlung war mit 61,7 % [56,9; 66,9] in der Altersgruppe 80+ am höchsten und mit 3,8 % in der Altersgruppe der 30- bis 34-Jährigen am niedrigsten.
Die regionale Verteilung der Grundimmunität in der Bevölkerung auf Ebene der Land- oder Stadtkreise ist ein wichtiger Parameter (Grafiken 1, 2 und eGrafik 2). Die höchsten Anteile des Antikörpernachweises gegen das S-Antigen wurden unter anderem in den Kreisen Coburg, Fürth, Hof, Potsdam, Ravensburg, Rostock oder Tuttlingen mit etwa 100 % beobachtet, während im Hohenlohekreis, Hildburghausen, Kempten, Memmingen oder Suhl der Nachweis von Antikörpern gegen das S-Antigen bei < 80 % lag.
Ähnliche regionale Unterschiede gab es auch bei den Antikörpern gegen das N-Antigen. Während sich in Kreisen wie Deggendorf, Hof, Memmingen, Rhein-Lahn- oder Saale-Orla-Kreis Antikörperprävalenzen von > 75 % gegen das N-Antigen zeigten, war die Antikörperprävalenz zum Beispiel in Ansbach, Baden-Baden, Bremerhaven, Emden, Osterholz oder Wolfsburg mit < 20 % vergleichsweise niedrig. Die regionalen Unterschiede werden bei der Darstellung nach NUTS2-Regionen noch deutlicher (eTabelle 3, eGrafiken 3, 4). Tendenziell lassen sich die höchsten Anteile an positiven anti-S-Antigen-Antikörpern in den westlichen Bundesländern und die höchsten Anteile von anti-N-Antigen-Antikörpern in den östlichen Bundesländern beobachten.
Auch die regional auf Ebene der Land- oder Stadtkreise anhand der STIKO-Empfehlungen durchgeführte Analyse der Impfhistorie ergab große regionale Unterschiede (in eGrafik 5 dargestellt für die Altersgruppe 60+). Tendenziell wurden weniger Impfungen im Südosten und mehr Impfungen im Nordwesten angegeben. Während unter anderem in den Kreisen Bautzen, Darmstadt, Frankfurt/Oder oder Stendal unter 5 % der Teilnehmenden angaben, eine zweite Boosterimpfung zum Erhebungszeitpunkt bekommen zu haben, waren es in Delmenhorst, Offenbach am Main, Rosenheim, Wilhelmshaven oder Worms über 75 % der > 80-Jährigen.
Diskussion
Im Rahmen des IMMUNEBRIDGE-Projekts konnte in der GUIDE-Studie erstmals mithilfe einer „Self-sampling“-Methodik innerhalb kürzester Zeit die Expositionslage gegenüber SARS-CoV-2 in der deutschsprachigen Erwachsenenbevölkerung erfasst werden. Die Seroprävalenz gegenüber dem anti-S-Antigen in der Bevölkerung war mit 95,7 % sehr hoch. Dabei gab es regionale Unterschiede, was zum einen auf ein regional unterschiedliches Infektionsgeschehen hindeutet, aber auch auf unterschiedliche Impfquoten, die besonders in den östlichen Bundesländern niedriger waren. Ebenso fand sich eine anti-N-Antigen-Seropositivität von 44,4 %, die auf eine durchgemachte SARS-CoV-2-Infektion hindeutet.
In Deutschland wurde bisher eine Reihe von anti-SARS-CoV-2-Seroprävalenzstudien durchgeführt (6). Die meisten Studien beschränkten sich jedoch bis dato nur auf eine bestimmte Region, dementsprechend ohne eine Stichprobenerhebung aus allen Gebieten Deutschlands. Darüber hinaus wurden diese zu früheren Zeitpunkten der Pandemie durchgeführt (und berücksichtigen dadurch nicht den Großteil der Infektionen, die durch das Auftauchen der Omikronvariante aufgetreten sind). Des Weiteren konnte in diesen Studien nicht zwischen Antikörpern gegen das S- oder N-Antigen unterschieden werden oder es gab keine weiterreichenden Informationen zu Risikofaktoren oder Anzahl der Impfungen, um die Immunität im Detail abzuschätzen. Das Konzept der Probandenakquise und Probengewinnung mittels „self-sampling“ und Trockenblutkarten hat sich in dieser Studie als außerordentlich effizient und robust erwiesen.
Durch das Design der Studie, die Stichprobenziehung, die Abnahmemodalität sowie den umfangreichen Fragebogen wurde im Rahmen der GUIDE-Studie innerhalb von fünf Monaten eine große Gruppe von Teilnehmenden mobilisiert und eine sehr hohe Rücklaufquote erreicht. Nach unserem Wissen ist die GUIDE-Studie bisher die einzige verfügbare Studie in Deutschland, die in dieser Geschwindigkeit belastbare Verallgemeinerungen auf die Gesamtheit in Bezug auf Seroprävalenz von anti-SARS-CoV-2 untersucht hat. Durch die Kombination von Befragung, anti-S- und anti-N-Antikörper-Bestimmung konnte die Expositionslage unter deutschsprachigen Erwachsenen zudem gut abgeschätzt werden und in aktuelle Szenarienmodellierungen eingehen (11, 12).
Limitationen
Die Studie war auf Erwachsene ≥ 18 Jahre beschränkt und die SARS-CoV-2-spezifischen T-Zell- und Gedächtnis-B-Zell-Antworten, Neutralisationsessays und andere kritische Komponenten der erworbenen Immunität wurden nicht bewertet. Denn auch wenn Antikörperlevel zeigen, dass es einen gewissen Grundschutz gibt, lässt sich die Höhe und Qualität der Immunität daran nicht vollständig abschätzen. In der Tat können auch Personen mit nachweisbaren Antikörpern einen schweren Verlauf von COVID-19 haben, vor allem wenn sie einer Risikogruppe angehören. Zusätzlich zur Antikörperimmunität kann neben einer laborseitigen Untersuchung von T- und B-Zellen die Anzahl der Impfungen am ehesten als weiteres Surrogat über die Immunität und Schutz vor einem schweren Verlauf herangezogen werden. Hierüber können komplexe Endpunkte gebildet werden, die mit Markern des immunologischen Schutzes, wie neutralisierenden Antikörpern, gut korrelieren (12, 13). Weiterhin ist aus verschieden systematischen Reviews und Metaanalysen von epidemiologischen und Impfeffektivitätsstudien bekannt, dass die Immunität gegen eine (Re-)Infektion innerhalb einiger Monate abnimmt, aber gegen schwere Verläufe anhält (14, 15). In einer aktuellen Metaanalyse wird ein hoher anhaltender Schutz gegen schwere Verläufe durch vorherige Infektion sowie hybrider Immunität durch Impfung und Infektion (aber nicht gegen Re-Infektion) gefunden (16).
Darüber hinaus wurden aufgrund des Studiendesigns insbesondere Risikogruppen untererfasst: Die Erhebungen zu den Komorbiditäten beruhen auf den eigenständigen Angaben der Studienteilnehmenden und erlauben nur eine grobe Zuordnung der Begleiterkrankungen, da diese Daten nicht medizinisch-fachlich erfasst wurden. Außerdem wurden Personen ohne Impfung in der Studie möglicherweise untererfasst. Laut Daten des RKI hatten 86 % der erwachsenen Bevölkerung eine Grundimmunisierung, während es in der GUIDE-Studie 94 % waren (4). Im Rahmen der Publikation des 7. Berichtes der COVIMO-Studie wurde jedoch bekannt, dass die Daten des digitalen Impfmonitorings des RKI womöglich die reale Impfquote um etwa 5 % unterschätzen, während die COVIMO-Umfrage die Impfquoten möglicherweise überschätzt (5, 17).
Die aktuellsten Schätzungen der COVIMO-Studie sind denen der GUIDE-Studie sehr ähnlich (COVIMO versus GUIDE 18–39 Jahre: 86 % versus ~90 %; 40–59 Jahre: 94 % versus 95 %; 60+ Jahre: 96 % versus ~97 %) (17). Dementsprechend kann auch im Rahmen der GUIDE-Studie von einer leichten Überschätzung der Impfquote und Untererfassung der Ungeimpften ausgegangen werden. Aufgrund des wahrscheinlich geringen absoluten Unterschiedes zu den realen Werten ändert diese Unterschätzung die Schlussfolgerungen nicht qualitativ. Zusätzlich zu populationsbasierten Ansätzen in einer repräsentativen Analyse wäre in künftigen Studien auch die Datenerhebung im Kollektiv der Risikogruppen als prospektive klinische Studie sinnvoll. Hier könnten neben einer stringenten Ermittlung der Haupt- und Nebendiagnosen auch die serologischen Untersuchungen zur Erhebung der humoralen Immunität sowie die erforderlichen Analysen zur zellulären Immunität erfolgen.
Zudem wurden seit Ende des Erhebungszeitraums nochmals weitere 3,5 Millionen Infektionen offiziell gemeldet, die sich nicht in den Daten widerspiegeln, weswegen die anti-N-Antikörperprävalenz unterschätzt wird.
Resümee
Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein großer Anteil der Allgemeinbevölkerung in Deutschland über eine humorale Immunität gegenüber SARS-CoV-2 verfügt. Abhängig von den Charakteristika der jeweiligen SARS-CoV-2-Variante wird dadurch die Wahrscheinlichkeit von Überlastungsszenarien des Gesundheitssystems durch Hospitalisierungen und die Notwendigkeit intensivmedizinischer Betreuung von Patientinnen und Patienten mit COVID-19 in den nächsten Erkrankungswellen im Vergleich zu einer Situation ohne diese Immunitätslage in der Bevölkerung erheblich reduziert.
Der Schutz gegenüber schweren Verläufen ist zu einem erheblichen Anteil auf eine zelluläre Immunität zurückzuführen, die außerdem robust gegen die Variantenevolution ist (18, 19) und durch wiederholte Expositionen gestärkt wird. Zwar misst die GUIDE-Studie die zelluläre Immunität nicht direkt, jedoch lassen sich durch die gemessenen Antikörperlevel sowie die Angaben zu Impfungen und Infektionen Rückschlüsse auf den anhaltenden Schutz gegen schwere Verläufe ziehen (20). Darauf deutet auch die im Vergleich zu vorherigen Infektionsswellen moderatere Belastung der Intensivstationen während der letzten beiden Omikronwellen im Sommer und Herbst 2022 hin. Voraussagen über die Auswirkungen künftiger Infektionswellen alleine basierend auf der Immunitätslage sind trotz allem nicht möglich.
Förderung
Die Studie wurde über das Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) im Rahmen des IMMUNEBRIDGE-Projekts durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert (FKZ 01KX2121).
Interessenkonflikt
NT ist Vorstandsmitglied der DGPI.
AP ist Sprecherin der FOSA Laboratoriumsmedizin und der UAC NAPKON (beides Gremien des Netzwerk Univeristätsmedizin).
MN ist Sprecher der FOSA-Laboratoriumsmedizin, Sprecher des Fachbeirats und Mitglied in der Steuergruppe der NUM-Forschungsinfrastruktur (NUM-FIS). Darüber hinaus ist er für das NUM-LIMS verantwortlich (alle genannten Institutionen sind Gremien des Netzwerks Universitätsmedizin).
AK erhielt finanzielle Förderung durchDFG, BMBF, BMG, RKI, Landeszentrum Gesundheit NRW, VolkswagenStiftung und Innovationsfonds der G-BA.
BL wurde unterstützt von der Helmholtz-Gemeinschaft, dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union, dem Projekt IMMUNEBRIDGE und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über die Projekte RESPINOW und OptimAgent. Sie ist Sprecherin des Modellierungsnetzwerks für schwere Infektionskrankheiten, stellvertretende Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie, Mitglied des Internen Advisory Board des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung sowie Mitglied des Steering Committee von TBNet.
HS erhielt ein Honorar für die Teilnahme an einer Diskussionsrunde bei einer Johnson&Johnson Open House Veranstaltung. Er war unentgeltliches Mitglied der Scientific Advisory Boards von AstraZeneca und Seqirus. Desweiteren fördert Johnson & Johnson eine von HS geleitete Studie.
Die übrigen Autorinnen und Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 30.12.2022, revidierte Fassung angenommen: 13.03.2023
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Hendrik Streeck
Institut für Virologie
Universitätsklinikum Bonn (AöR)
Venusberg-Campus 1,
Gebäude 63, 53127 Bonn
hstreeck@uni-bonn.de
Zitierweise
Schulze-Wundling K, Ottensmeyer PF, Meyer-Schlinkmann KM, Deckena M, Krüger S, Schlinkert S, Budde A, Münstermann D, Töpfner N, Petersmann A, Nauck M, Karch A, Lange B, Blaschke S, Tiemann C, Streeck H: Immunity against SARS-CoV-2 in the German population. Dtsch Arztebl Int 2023; 120: online first. DOI: 10.3238/arztebl.m2023.0072
Dieser Beitrag erschien online am 06.04.2023 (online first) unter: www.aerzteblatt.de
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
Zusatzmaterial
eMethodenteil, eFragebogen, eTabellen, eGrafiken:
www.aerzteblatt.de/m2023.0072 oder über QR-Code
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), Standorte Bonn – Köln, Hannover – Braunschweig: Dr. Kai Schulze-Wundling, Patrick Frank Ottensmeyer, Axel Budde, Dr. med. Berit Lange, Prof. Dr. med. Hendrik Streeck
MVZ Labor Krone GbR, Bad Salzuflen: Dr. Kristin Maria Meyer-Schlinkmann, Dr. rer. nat. Marek Deckena, Dr. med. Dieter Münstermann, Prof. Dr. Carsten Tiemann
dimap – das Institut für Markt- und Politikforschung GmbH, Bonn: Stefan Krüger, Simon Schlinkert
Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden: Dr. med. Nicole Töpfner
Universitätsinstitut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin, Universitätsmedizin Oldenburg: Prof. Dr. med. Dipl. Biol. Astrid Petersmann
Universitätsinstitut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin, Universitätsmedizin Greifswald, und Deutsches Herz-Kreislauf-Zentrum (DZHK), Standort Greifswald, Universitätsmedizin Greifswald: Prof. Dr. med. Matthias Nauck
Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin, Medizinische Fakultät,
Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Prof. Dr. med. André Karch
Notfallmedizin, Universitätsmedizin Göttingen: Prof. Dr. med. Sabine Blaschke
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